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Toleranz, Identität und Anerkennung Probleme mit Toleranz und Integration

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2014 wirbt man in Deutschland wieder einmal um Toleranz. Dies gilt für die politische Prominenz wie Bundeskanzlerin Merkel und Bundespräsident Gauck, die sich wiederholt gegen Antisemitismus, Islamophobie, Ausländerfeindlichkeit, Homophobie, aber natürlich auch gegen religiösen Fanatismus wenden, als auch für die Massenmedien – zum Beispiel bei der „Themenwoche Toleranz“ der ARD im November 2014. Zugleich gilt in zahlreichen Ländern der Welt die Toleranz als Zeichen der Schwäche und moralischen Indifferenz, ja die Toleranz gegenüber der Homosexualität sogar als Zeichen westlicher Verdorbenheit. Wladimir Putin bezeichnete in seiner Rede an die Nation im Dezember 2013 die „sogenannte Toleranz“ als „geschlechtslos und unfruchtbar“, als Indifferenz gegen Gut und Böse, türkische Zeitungen skandalisierten bereits die Absicht, in einer Berliner Moschee Gespräche zwischen Muslimen und Homosexuellen zu organisieren und in der ugandischen Hauptstadt Kampala kam es zu antiamerikanischen Demonstrationen, als Präsident Obama die Verschärfung der Gesetze gegen die Homosexualität in Uganda kritisierte. Von diviersen Minderheiten wird der Aufruf zur Toleranz als Angriff auf ihre kollektive Identität zurückgewiesen.

Doch ist, wenngleich zum Teil aus anderen Gründen, die Toleranz auch in ihren traditionellen Hochburgen nicht unumstritten. In der niederländischen Öffentlichkeit genoss sie etwa im letzten Jahrzehnt keinen guten Ruf. Nachdem man für Jahrhunderte die Toleranz geradezu als Kennzeichen der eigenen politischen und kulturellen Tradition ansah, zurecht auch nicht ohne Stolz darauf verwies, dass bereits einige der großen philosophischen Werke des 17. Jahrhunderts wohl nur in Amsterdam erscheinen konnten, regt sich, so das Statement in einem stilisierten Brief eines Professors aus Utrecht, zunehmend Widerstand gegen eine „Kultur der Toleranz“. Man identifiziere sie mit einer verfehlten, weil inkonsistenten Einwanderungspolitik, die Scharen von Jugendlichen ohne nennenswerte Kenntnisse des Holländischen, ohne Schulausbildung und ohne Chancen auf dem Arbeitsmarkt hinterlasse, mit einer Drogenpolitik, welche die Niederlande zum Hort des mit dem Drogenhandel verbundenen Verbrechens gemacht habe, mit einer Indifferenz gegenüber den „ernsten, möglicherweise gar explosiven kulturellen und religiösen Differenzen zwischen ethnischen Gruppen, religiösen, postreligiösen und antireligiösen Verbindlichkeiten, die gemeinsam das Flickwerk der holländischen Gesellschaft ausmachen.“1

Bereits diese knappe, skizzenhafte Sammlung diverser Stellungnahmen erinnert an die schlichte Feststellung, dass die Forderung nach Toleranz jene nach einem bestimmten Umgang mit in irgendeiner Form gefährlichen Differenzen ist. Nur dort, wo Menschen feststellen, dass „die anderen“ auch anders denken, fühlen, urteilen, handeln oder auch lediglich anders aussehen und wo dies als Ärgernis oder gar als Bedrohung gesehen wird, ist es sinnvoll, einen toleranten Umgang mit diesen Unterschieden zu fordern. Offenkundig gibt es indessen wenig Konsens darüber, wie dieser Begriff in angemessener Weise zu verwenden ist, ob es z.B. auch für den Toleranten „Grenzen der Toleranz“2 geben kann, wo diese Grenzen auf unterschiedlichen Ebenen liegen. Es geht also nicht nur darum, zu klären, wie der Begriff zu verstehen ist (II.), sondern auch, inwieweit sich die Forderung nach Toleranz und ihre moralische Basis rechtfertigen lässt, welchen Einwänden sie zu begegnen hat (III). Da sich ferner immer wieder Gruppen gerade anhand der Differenz zu anderen ihrer Identität zu versichern suchen, für die sie nicht nur Duldung, sondern Anerkennung oder sogar Wertschätzung fordern, wird auch zu fragen sein, inwieweit die Forderung nach Toleranz ein Menschenrecht auf kulturelle Identität impliziert (IV).

Zunächst sei jedoch Vorsicht gegenüber der nicht selten vertretenen These angemahnt, Probleme mit der Toleranz gegenüber Minderheiten und seitens derselben verschwänden, wenn diese nur in die Mehrheitsgesellschaft integriert seien. Interessanterweise finden sich gerade in Frankreich mit seiner starken republikanischen Tradition seit Längerem Tendenzen zur „Überwindung des Konzeptes der Integration“3, welches zu einem Mythos geworden sei. Laut Michel Wieviorka krankt es daran „Ziel, Projekt und Verpflichtung zugleich“ sein zu müssen. „Mit dem Begriff ‚Integration‘ assoziiert man eine kulturell einheitliche und zugleich pluralistische Gesellschaft. Man geht davon aus, dass diese beiden Eigenschaften, obwohl sie Gegensätze sind, sich harmonisch vereinbaren lassen.“4 Der grundlegende Gedanke republikanischer Gleichheit für alle werde zur Ausschlussfalle, da sich einige Immigranten gerade dadurch diskriminiert fühlten, dass man sie nicht in ihrer kulturellen Besonderheit berücksichtigt und achtet. Der alte, derartige Differenzen für einige Zeit überdeckende Gegensatz von Arbeiterschaft und Arbeitgebern habe nach dem Ende des Industriezeitalters an Bedeutung verloren. „Der logische Fehler im französischen republikanischen Integrationskonzept“ liegt nach dieser Auffassung darin, dass „eine Zwangsnivellierung der Kulturtraditionen zugunsten einer konstruierten ethnischen nationalen Kultur“ mitunter in der nun einmal nicht kulturell homogenen sozialen Wirklichkeit zu einer De-facto-Diskriminierung bestimmter Gruppen werde. Im religiösen Kontext sei davon gegenwärtig der Islam betroffen.5 Entgegen der verbreiteten Tendenz, insbesondere die Jugendlichen der zweiten Immigrantengeneration in die Rolle der „gefährlichen Klasse“ zu drängen, konstatiert man zumindest auch ein Versagen der traditionellen Institutionen bei der Umstellung auf die veränderte soziale Situation.6 Trotz ihrer französischen Staatsbürgerschaft erleben sich viele dieser Jugendlichen durch den Umgang mit ihnen nicht als Franzosen und die „Schule ist offensichtlich nicht in der Lage, den Immigrantenkindern dabei zu helfen, den Gegensatz zwischen Schule und den in der Familie bzw. im Wohnviertel alltäglich erlebten Erfahrungen psychisch zu verarbeiten.“7 Mit erheblich massiverer rhetorischer Aufladung schlug Recip Erdogan, damals türkischer Ministerpräsident, in einer Rede, die er am 16. Februar 2008 in Köln vor 16.000 in Deutschland und den Nachbarländern wohnenden Landsleuten hielt, in die gleiche Kerbe. Er warnte sie vor dem Verlust ihrer Identität und bezeichnete Assimilation als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.

Während man also in den Niederlanden, gewissermaßen aus Sicht der Alteingesessenen, an der „Kultur der Toleranz“ die Permissivität und Indifferenz kritisiert, die für sozialen Sprengstoff sorge und Phänomene wie den Erfolg eines Pim Fortuyn und später Geert Wilders erst ermögliche,8 geben die französischen Beiträge und Erdogans Kraftrede zu bedenken, dass eine auf angeblich gleicher individueller Toleranz basierende, forcierte Integration aus der Perspektive verschiedener Immigrantengruppen gerade als Nichtachtung gegenüber ihrer kulturellen Identität erfahren wird. Die beobachtbare ethnische und religiöse Intoleranz, bis hin zur Begeisterung für den Djihad, innerhalb derartiger Gruppen lässt sich nach mancher Ansicht auch auf diese Erfahrung vermeintlicher oder tatsächlicher Nichtachtung zurückführen.9 Es gibt demnach bei der Toleranz, wie bei der angeblich die Intoleranz „absorbierenden“ Integration einige Parameter zu berücksichtigen, um weder in eine rücksichtslosen Form des Universalismus noch einer gleichgültigen Variante des kulturellen Relativismus zu verfallen. Wir werden also vorab einige Deutungen der Toleranz anzusehen und dann deren Rechtfertigung gegenüber unterschiedlichen Formen der Kritik zu untersuchen haben, ehe wir uns überlegen können, ob ein Menschenrecht auf Anerkennung kultureller Identität geeignet wäre, diese Art von Problemen zu lösen oder jedenfalls deutlich zu reduzieren.

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