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Jäger und Fischer besiedeln das Land
ОглавлениеDie ersten Menschen kamen im Mesolithikum, also zur Mittleren Steinzeit, um das Jahr 8600 v.u.Z. aus dem Osten und Südosten beziehungsweise von den Ufern des Eismeers im Norden ins nacheiszeitliche Finnland. Die Ankömmlinge im südlichen und mittleren Finnland vertraten die Kunda-Kultur, benannt nach dem Fundort in Estland. Die Gebiete der Kunda-Kultur lagen westlich im Baltikum, östlich in der Umgebung des Onegasees (Äänisjärvi). Die in Verbindung miteinander stehenden Fanggemeinschaften breiteten sich mit dem Rückgang des Glazialeises in die frei gewordenen Landflächen nach Westen und Südwesten zunächst in Estland und Karelien aus, dann an den allmählich entstehenden Ufern der Ostsee. Sie begründeten um 8000 v.u.Z. die nach dem südfinnischen Fundort Suomusjärvi benannte Kultur, die sich sogar über 3000 Jahre bis 5100 v.u.Z. hielt. Die ältesten aufgefundenen Wohnplätze lagen an der aus dem Osten weit in den Westen zum Ancylussee vorgeschobenen Randmoräne Salpausselkä, etwa in der Gegend der heutigen Ortschaften Lahti und Orimattila. Die Besiedlung verbreitete sich dann relativ schnell über das ganze damalige Land.
Die Suomusjärvi-Kultur kannte keine Keramik, sodass sich ihre Wohngebiete hauptsächlich nur mithilfe typischer Steingegenstände ermitteln lassen. Aus der Zeit vor der Entstehung dieser Kultur fand man an den Wohnplätzen vor allem aus Quarz angefertigte Schaber und Schneiden, die zur Bearbeitung von Leder und Horn benutzt und an Holzstücken befestigt wurden, sowie mit Widerhaken versehene Speerspitzen. Für die eigentliche Suomusjärvi-Kultur typische Gegenstände waren primitive Steinäxte und -beitel, gekrümmte oder gerade Meißel, Trichterlochkeulen und blattförmige Schieferspeerspitzen, kleine Pfeilspitzen aus Quarz und Geradmeißel vom sogenannten südfinnischen Typ. In Finnland kommt kein natürlicher Flintstein vor, deshalb war das für Schneidwaffen verwendete Material durch die ganze Steinzeit Chloritschiefer oder Strahlsteinschiefer aus den reichlichen Grundgesteinsvorkommen an den Flussufern des Kemijoki.
Die für Äxte und Meißel verwendete Bezeichnung „primitiv“ charakterisiert diese zweckdienlichen Geräte nur unzulänglich. Die Schneiden der Äxte und Beitel wurden nämlich angefertigt, indem das Materialstück kunstvoll von beiden Seiten durch Schlagarbeit behauen wurde. Die Ränder, Flächen und die Rückseite beließ man dann so und nur die Schneide wurde geschliffen. Dass Teile ungeschliffen blieben, hat nichts mit mangelnden Fertigkeiten des Steinhauers zu tun, vielmehr stellten dieselben Leute beispiels weise auch rundum geschliffene Krummrückenmeißel her und arbeiteten manche Gegenstände künstlerisch aus in Form von Tierköpfen. Die Ansicht, die Menschen der Suomusjärvi-Kultur seien primitive Lebewesen gewesen, speist sich letztlich daher, dass von ihrem mannigfaltigen Leben hauptsächlich nur aus Stein gefertigte Zeugnisse oder Fragmente davon sowie einige im Moor erhaltene Holzobjekte erhalten geblieben sind. Auch die wenigen aufgefundenen Gegenstände beweisen jedoch, wie der Mensch jener Zeit in der neuen Umgebung lernte, die passenden Rohstoffe für den jeweiligen Verwendungszweck zu finden.
Aus organischen Materialien fabrizierte Gegenstände aus dieser Zeit sind außerordentlich wenige erhalten. Insbesondere aus den Schlittenfunden ist aber ersichtlich, dass die Menschen Binde- und Knotentechniken beherrschten, die eine leichte und elastische Bauweise ermöglichten. Im Moor konservierte eiszeitliche Schlittenkufen beweisen, dass auch große Holzstücke bearbeitet werden konnten. Die Rekonstruktion von Schlitten zeigt ferner, dass deren Erbauer über großes technisches Verständnis für die Rohstoffe der Umgebung verfügt haben müssen. Bei dem ältesten Schlittenmodell, das von der Suomusjärvi-Kultur bis zur Zeit der frühen Kammkeramik, also bis etwa 3300 v.u.Z. benutzt wurde, hatte der große Rumpf sogar bis zu vier, fünf Meter lange Kufen in der Art eines Einbaums.
Die Fanggemeinschaft besorgte sich den Unterhalt aus der umgebenden Natur durch Jagen, Fischen und Sammeln. Die bei der Jagd verwendeten aktiven Fangmethoden mit Waffen, also Speeren, Keulen, Pfeilen und Bögen, waren ziemlich uneffektiv. Die Jagd mit ihnen war mühsam, weil man die Beute erst finden, sich sodann ihr annähern und sie schließlich auch noch treffen musste. Mit weniger Aufwand erreichte man ein besseres Ergebnis durch zeitunabhängige passive Methoden mit Fallgruben, Schlingen und Fallstricken, zu denen oft eine Art Gasse führte. Ganz ähnlich war die Situation beim Fischen: Das wirksamste System war Fallenstellen mit Zuführung an schmalen Stellen wie Landengen und Stromschnellen. Festzuhalten ist, dass ein Großteil der Gewässer für die damaligen Angelgeräte und -verfahren über Jahrtausende hinweg viel zu tief war.
Die Möglichkeiten, Nahrungsmittel zu lagern, waren lange Zeit sehr gering. Man brauchte zunächst eine geschützte Stelle, an die hungrige große oder kleine Tiere nicht herankamen, und außerdem musste alles Essbare ja irgendwie frisch bleiben. Fleisch und Fisch konnten erst in der Neuzeit gesalzen werden, also kamen nur Trocknen, Räuchern und Säuern oder Gärung in Frage. Im Winter ließ sich die Beute auch vereisen – einfrieren.
Wer im Winter auf die Jagd ging, konnte seinen Weg nicht frei wählen, denn er musste ja über ein rechtzeitig angelegtes Netz von Stützpunkten verfügen. Er musste wissen, wo er in der langen Zeit der Dunkelheit einen Unterschlupf für die Nacht hatte, wo dann vorher eingelagerter Proviant bereitstand für den Fall, dass er unterwegs keine Beute fand. Das Vermögen des Menschen, Lasten zu tragen oder zu ziehen, war nämlich relativ gering. Zwar konnten Hunde dabei hilfreich sein, aber die brauchten ja auch ihr Futter. Die im Winterdorf verbliebenen Leute lebten derweil von den zuvor erbeuteten und gelagerten Jagdvorräten.
Aufgrund von Knochenfunden an eiszeitlichen Wohnstätten hat man festgestellt, dass sich in der Zeit der Suomusjärvi-Kultur die Nahrung der Bevölkerung an der Küste von der im Binnenland unterschied. In den Küstengebieten war der Robbenfang eine einträgliche Erwerbsquelle, im Inland wiederum Jagd und vor allem Fischfang. Die Analyse von Knochenfunden aus dem mittelfinnischen Saarijärvi ergab, dass Hunde als Schlitten-Zugtiere und Jagdhilfe in der Gefolgschaft des Menschen lebten. Jagdobjekte waren in erster Linie Biber, Elche, Bären, Wölfe, Marder und Vögel. Knochen vom Waldren (Rangifer tarandus) konnten für die Zeit der frühen Kultur von Suomusjärvi nicht entdeckt werden, sie finden sich erst später und während der kammkeramischen Kultur, als eine atlantische, also vom Meer beeinflusste Klimaphase herrschte.
Mit Blick auf die Nahrungsressourcen ist zu bemerken, dass die Einwohnerzahl Finnlands erst an der Wende zum 19. Jahrhundert auf über eine Million anstieg. Zu der Zeit, für die man erstmals mithilfe von Dokumenten die Bevölkerungszahl schätzen kann, das heißt um 1700, betrug sie 400.000 Personen. Mit dieser Zahl als Ausgangspunkt lässt sich rückschließen, dass es am Ende der Eisenzeit etwa 50.000 Einwohner gab, zur Zeit der Jagdgemeinschaften der Steinzeit dürften es nur etwa 10.000 gewesen sein. Obwohl zu jener Zeit im Winter nur wenig Biomasse verfügbar war, ermöglichten die dünne Besiedlung und die weiten Jagdgebiete ein hinreichendes Leben in den Stammesgebieten.
Die Umgebung bildete den Rahmen für die Erwerbstätigkeit der Jagdgemeinschaften, die ihrerseits das Weltbild und den Glauben der Menschen jener Zeit bestimmten. Der Glauben war in dem Sinne naturbezogen, dass es überall „Kräfte“ gab. Die mit den Köpfen von Bären, Elchen und Schwänen verzierten steinzeitlichen Gegenstände lassen vermuten, dass die Geschlechter glaubten, von kraftvollen Vorväter- oder Urmuttertieren abzustammen. Da Jagen und Fischen weniger ein Nehmen denn ein Bekommen bedeuteten, strebte der Mensch danach, sein Glück durch Zaubersprüche, Hexerei und Opfer zu zwingen. Auf diese Riten verweist auch der in kammkeramischer Zeit angenommene Brauch, mit Rotockerfarbe die Steilwände schroffer Uferfelsen mit Felsmalereien zu versehen, die hauptsächlich Elche, Boote und Menschen abbilden. Malereien von Schwänen oder solche, die man als Bären interpretieren kann, gibt es nur selten. Dagegen ist der Schwan das übliche Bildmotiv für geritzte Felszeichnungen an den Seeufern im heute russischen Karelien.
Der Bär ist ein ausgezeichnetes Beispiel für die Wirkung der Natur auf die menschliche Kultur. Er wurde als Gegenkraft des Menschen akzeptiert, als kräftigstes Tier, das gleichwohl wie der Mensch ein Verwerter von Mischnahrung war. Seine größte Bedeutung lag aber ursprünglich ganz woanders. Er war im besten Fall der Retter der Fanggemeinschaft, ihr Befreier aus der Hungersnot! Der Bär half nämlich auf zweierlei Weise, den akuten Nahrungsmangel des Menschen zur Winterzeit zu beheben. Er sammelt erstens zur schneefreien Zeit eine Menge Nahrungsreserven für den Winter und hält zweitens in der kalten Zeit an einem geschützten Platz Winterschlaf, wobei er die Energie zehrenden Lebensfunktionen auf ein Minimum herabschraubt. Der weibliche Bär gebiert auch seine Jungen in der Höhle.
Das Auffinden einer winterlichen Bärenhöhle bedeutete für die Jagdgemeinschaft höchstes Glück. Jetzt konnte man in aller Ruhe auf den geeigneten Augenblick warten, denn der von Oktober/November bis März/April schlafende Bär war ja im Prinzip eine Frischfleischkonserve. Erst wenn sich der eigene Nahrungsvorrat dem Ende zuneigte, zugleich aber rechtzeitig vor dem Erwachen des Bären, begab man sich mit vielen Männern zur Höhle und tötete das Tier, das sich dort kaum verteidigen konnte, obwohl es sonst stark und durchaus auch schnell ist. Beim Aufbruch zum Bärenfang begann eine Abfolge von Riten, die im Jagdfest kulminierten und mit dem Schädelpfahl endeten. Während der Riten wurde der Bär sowohl getäuscht als auch besänftigt. Insgesamt war der Bär also zur Zeit der Fanggemeinschaften ein besonders positives Tier. Erst mit dem Wandel in den Erwerbsmöglichkeiten und verstärkter Landwirtschaft wurde der Bär (und alle anderen größeren Fleischfresser) zu einer negativen Erscheinung: ein böses Raubtier, Vernichter der Herden.