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Der Mittelalterbegriff in der finnischen Geschichte

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Die als Mittelalter bezeichnete Epoche umfasst in der finnischen Geschichte einen nur halb so langen Zeitraum wie in der westeuropäischen Geschichtsschreibung. In Finnland wird der Beginn des Mittelalters um 1150 angesetzt, als nach mittelalterlicher Überlieferung ein schwedischer Kreuzzug im Südwesten des Landes anlandete, um die heidnischen Finnen zum Christentum zu bekehren und diese Gebiete dem schwedischen Königreich einzuverleiben. Der Kreuzzug soll zwei Anführer gehabt haben: Bischof Henrik und König Erik Jedvardsson. Der Legende nach starb Henrik bald den Märtyrertod, da ein finnischer Bauer ihn erschlug; Erik kehrte nach Schweden zurück, verlor aber sein Leben im Kampf um die Macht im Lande. Beide wurden bald als Heilige verehrt.

Die mittelalterliche schwedische Überlieferung berichtet für das 13. Jahrhundert noch von zwei weiteren Kreuzzügen nach Finnland. Der zweite fand in den 1230er oder 1240er Jahren statt, der dritte 1293. Damit erreichte der Zugriff Schwedens bereits die östlichen Landstriche am Finnischen Meerbusen.

Der schwedische König und der Fürst von Nowgorod definierten ihre Interessengebiete im Friedensvertrag von 1323, wodurch die finnischen West- und Südgebiete an Schweden fielen, während die nördlichen und östlichen Landstriche – mithin der größte Teil Kareliens sowie das Binnenland und auch das finnische Lappland – zum Einflussbereich Russlands gehörten. Über den genaueren Verlauf der Grenzlinie ergaben sich schon im 15. Jahrhundert Meinungsverschiedenheiten, eine Tatsache, die auch noch die modernen Geschichtsforscher beschäftigt hat. Nach neuesten Interpretationen wurde die Grenze in dem 1323 abgeschlossenen Vertrag gar nicht festgeschrieben, zumindest nicht hinsichtlich des Binnenlandes. Genauere Abmachungen wurden erst später getroffen, als sich die Machtbestrebungen Schwedens und Nowgorods über die Küstengebiete hinaus ins Landesinnere zu erstrecken begannen. Trotz dieser Unsicherheiten hinsichtlich der Grenzziehung betrachtet man den Friedensvertrag als Endpunkt der Kreuzzugsepoche in der Geschichte Finnlands.

In der Periodisierung des finnischen Mittelalters haben die Begriffe Früh-, Hoch- und Spätmittelalter nicht die gleiche Bedeutung wie in der gemeineuropäischen Geschichtsschreibung, wenngleich der Zeitraum nach dem Schwarzen Tod auch für Finnland als Spätmittelalter bezeichnet werden kann. Da schriftliche Quellen weithin fehlen, wissen wir jedoch nicht sicher, ob um die Mitte des 14. Jahrhunderts auch in Finnland die Pest gewütet hat. Erst zu späteren Epidemien liegen Erwähnungen vor. Die Zeit zwischen 1397 und 1520 ist auch in Finnland nach der Vereinigung skandinavischer Staaten als Kalmarer Union bekannt. Das Ende des finnischen Mittelalters wird im Allgemeinen um 1520 angesetzt, als die genannte Union zerbrach. Gustav Wasa bestieg den schwedischen Thron und die Ablösung der katholischen Zeit durch die Reformation nahm auch in Finnland ihren Anfang.

Diese Periodisierungen sind freilich nur grob richtungsweisend, wenn wir kulturelle Strukturen berücksichtigen. Die wirkliche Ereignishistorie der Kreuzzugszeit und andere genaue Datierungen sind durch Mythen und verschiedene Interpretationsansätze späterer Zeiten verdeckt; auch war um 1520 keineswegs schon ganz Finnland protestantisch geworden. Die Christianisierung Finnlands und der Anschluss an Schweden waren langwährende und wechselvolle Prozesse, die einerseits sogar schon vor der sogenannten Kreuzzugszeit (1150–1323) einsetzten, andererseits aber vor allem im Inland noch unvollendet waren, als Gustav Wasa sich daranmachte, seine Politik der Stärkung der königlichen Macht auf Kosten der Kirche und der Aristokratie zu verwirklichen. Die traditionelle Geschichtsschreibung richtete ihr Hauptaugenmerk auf die Geschichte der Verhältnisse und Geschehnisse im westlichen und südlichen Finnland. Für die Russland zugefallenen Gebiete Ostfinnlands und Kareliens ist die Anwendung des Mittelalterbegriffs noch problematischer, da die schwedischen Kreuzfahrer Karelien erst im Jahr 1293 erreichten und das 16. Jahrhundert in der karelischen Geschichte keineswegs die gleichen glaubens- und gesellschaftshistorischen Veränderungen bedeutete wie in den Schweden angegliederten Gebieten. Auch in Nordfinnland und Lappland bleibt das Mittelalter ein sehr interpretationsabhängiger Zeitraum.

Der als Mittelalter bezeichnete Zeitraum brachte auf alle Fälle bedeutsame Veränderungen mit sich: Zum einen, da hiermit die eigentlich historische Zeit in Finnland beginnt. Die frühfinnische, vorchristliche Kultur scheint demnach fast völlig auf mündlicher Überlieferung und Erinnerungswissen zu basieren. Erst mit der Einflussnahme Schwedens und Russlands wuchs die Bedeutung der schriftlichen Kultur. Zum anderen überzog der Christianisierungsprozess während des Mittelalters zumindest oberflächlich das ganze Finnland. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts gab es in Finnland wohl kein erwachsenes Individuum, das vom christlichen Glauben nicht wenigstens etwas gehört hatte, obgleich die Aneignung und Verinnerlichung des Inhalts und der Formen der christlichen Lehre sicherlich regional und individuell stark variierten. Indem sie Mission betrieben, sich Gebiete aneigneten und Staatsbildungsprozesse vorantrieben, brachten die schwedischen wie die russischen Machthaber im Verlauf des Mittelalters die frühfinnische Gesellschaft der gemeineuropäischen Gesellschaftsform und Kultur näher. Gerade dieser Entwicklung soll hier besonderes Augenmerk gewidmet werden.

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