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1. Vokabular 1.1. „Abendland“

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Die Formel „Christliches Abendland“ zielt nicht auf „christlich“, sie zielt auf „lateinisch christlich“. In vielen Gebrauchssituationen dieser Phrase werden die griechischen Christen genau dort lokalisiert, wo auch die muslimischen Kulturen sind – im Morgenland. „Abendland“, darin ist das Gros der Literatur einig, war immer ein Kampf- und Ausgrenzungsbegriff gegen die arabischen islamischen Kulturen und gegen jene Kultur, die man „Byzanz“ nennt. Die Bezeichnung „Byzanz“ hat sich – nach sporadischem Gebrauch seit dem 16. Jahrhundert – erst im späten 19. Jahrhundert durchgesetzt zur Bezeichnung der letzten gut tausend Jahre der Römischen Kaiserzeit (von den ersten christlichen Kaisern bis 1453), eben jener tausend Jahre nach dem Untergang der westlichen Hälfte des Imperiums im 5. Jahrhundert. In dieser langen Spätphase des Römischen Imperiums gab es weiterhin vieles, was wir mit „Rom“ verbinden: Wagenrennen,2 den Senat,3 den „Kaiser der Römer“ (Βασιλεὺς τῶν Ῥωμαίων) – ganz selbstverständlich die Selbstbezeichnung als „Römer“ (Ρωμαίοι) und „Römisches Imperium“ (Ρωμανία). Auch die Nachbarn – Perser, Türken und Araber – bezeichneten dieses Imperium am Bosporus als „Rom“. In der fränkischen Welt nannte man die Nachbarn am Bosporus wegen ihrer Sprache „Griechen“. Noch im 18. Jahrhundert erschien die monumentale historische Darstellung jener tausend Jahre in 27 Bänden von Charles Le Beau unter dem Titel Histoire du Bas-Empire („Geschichte des späten Imperiums“). Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verschwand dieses späte römische Imperium mit dem „neuen Rom“ am Bosporus aus den Konzepten der Historiker und wurde nun als „Byzanz“ sprachlich abgegrenzt von jenem „Abendland“, das sich seinerseits auf Rom berief;4 othering nennt man solche Ausgrenzungsverfahren seit der breiten Rezeption von Edward Said und Gayatri Spivak.

Es geht also nicht um „Christentum“ oder „christlich“, sondern um eine bestimmte Ausprägung davon, um die römisch-lateinischen Kirche. Als akademischer Konzeptbegriff ist „Abendland“ weitgehend ausgestorben; allenfalls als Verlagsidee oder als eine aus stilistischen Gründen eingestreute Vokabel taucht das Wort in der Mittelalterforschung nach den 1970er Jahren noch auf. Weshalb wird es überhaupt im akademischen Feld benutzt? Was fehlt, wenn man es streicht? Wenn „Abendland“ aus dem akademischen Wortschatz verschwindet – als ein nicht erst durch PEgIdA („Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“) und die AfD („Alternative für Deutschland“) vergiftetes Wort – dann gilt es zu fragen, ob die Kulturen/Gesellschaften/Zivilisationen, die mit diesem Terminus zusammengefasst werden, auch jenseits dieses Kampfwortes etwas verbindet. Und sollte dies der Fall sein, so bleibt zu diskutieren, wie dieses Verbindende in eine akademisch (und damit auch politisch) vertretbare Sprache zu bringen ist.

Weshalb also nicht „Abendland“? Es mag hier ausreichen, die Frage mit einigen einschlägigen Zitaten zu beantworten. Das Konzept „Abendland“, um mit den Worten von Wolfgang Benz zu beginnen, „steht für eine Wertegemeinschaft, die griechisch-römische Philosophie mit christlichem Denken verbindet und den Eindruck erweckt, als habe sich die Antike im Christentum vollendet. Dabei ist der Begriff immer als Kampf- oder Ausgrenzungsbegriff verwendet worden.“ Noch einmal Benz: „Der Geschichtsphilosoph Oswald Spengler veröffentlichte 1918/20 sein kulturpessimistisches Hauptwerk Der Untergang des Abendlandes. Er gilt als einer der Wegbereiter des Nationalsozialismus. Für ihn war Abendland der Gegenbegriff zu den demokratischen und kapitalistischen Staaten Frankreich und England sowie zum bolschewistischen Osten“.5 Bei Benz wie generell in der ideengeschichtlichen Forschung steht die Denkfigur „Abendland“ für „antimodern“, „antiliberal“, „antipluralistisch“. Die große Zeit des Terminus „Abendland“ waren die 1950er und 1960er Jahre, also die Zeit des Kalten Krieges und der Neuorientierung nach dem Nationalsozialismus. Der Kürze halber sei diese Konjunkturzeit von „Abendland“ mit Axel Schildt summiert: „Unentwegt wurde in Sonntagsreden Bonner Politiker, pathetischen Appellen von Kulturfunktionären, in Programmen von Unternehmerund Vertriebenenverbänden ebenso wie von Professoren oder Gymnasiallehrern […] das ‚christliche Abendland‘ beschworen, das es gegen den ‚bolschewistischen Dämon‘ aus dem Osten zu verteidigen gelte.“6

Die beiden Zitate von Benz und Schildt dienen der Abkürzung von kaum umstrittenen Deutungen. Christopher Dawsons Buch Die Gestaltung des Abendlandes, ein erstmals im Jahr 1932 als The Making of Europe publiziertes Buch, das in den 1960er Jahren in deutscher Übersetzung Furore gemacht hat, ist ein bekanntes und oft herangezogenes Beispiel für die antiliberale, antipluralistische Abendlandsemantik.7 Heute ist der Terminus in ganz andere, viel offensichtlichere Zusammenhänge gewandert. „Unser Kurs ist klar: Abendland in Christenhand“ – mit diesem Slogan blies die FPÖ („Freiheitliche Partei Österreichs“) auf Wahlplakaten im Jahr 2009 zum „Tag der Abrechnung“. Rechte Versandhandel bieten schwarze Hoodies mit dem Slogan „Abendland in Christenhand“ über einem großen Kreuz. Eine Rockband namens „Abendland“ bietet auf Youtube „Rock against Mohammed“ für die German Defense League, „the new movement against the Islamization of Europe“.

Mehr Beispiele sind nicht nötig. Das Konzept „Abendland“ kommt als akademisches Lösungsangebot für einen historischen und projektiven Entwurf Europas nicht in Frage. Ein Wort, das immer ein Kampfwort war, das seit Generationen im antimodernen, antipluralistischen, antiliberalen Diskurs zu Hause war, und dessen aktuelle Heimat im harten rechten Milieu alles andere als neu ist – vom Nationalsozialismus über die FPÖ bis PEgIdA und die German Defence League – ein solches Wort kommt als ernst zu nehmende akademische Deutungskategorie nicht in Frage. „Abendland“ ist auch kein sinnvolles Objekt von Umsemantisierungshoffnungen. Man kann ein Wort, das so lange eindeutig in einschlägigen Milieus beheimatet war, nicht so umsemantisieren, dass es als akademisches Konzeptwort taugt – nicht einmal als Auflockerungswort im Interesse sprachlicher Abwechslung.

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