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3. Geschichtliche Wurzeln

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„Verschiedenheit“ und die ihm semantisch benachbarten Begriffe sind nicht nur Gegenstand abstrakter philosophischer Reflexionen. Vielmehr sind sie das Resultat sehr konkreter historischer Ereignisse. Sie versuchen, Antworten auf Probleme zu geben, vor denen Gesellschaften zu ganz bestimmten Zeiten standen. Oft erlangten sie ihre inhaltliche Bestimmtheit in Reaktion auf wenig angenehme Herausforderungen.

Dies gilt etwa für den Begriff „Toleranz“ und damit für jene Tugend, mit deren Hilfe am ehesten noch die Hoffnung verknüpft ist, die Herausforderungen der Verschiedenheit zu meistern. Die Idee der Toleranz wurzelt im späten 16. Jahrhundert und in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Sie entstand im historischen Kontext dessen, was später – vermutlich unangemessen – „Religionskriege“ genannt wurde. In Wahrheit handelte es sich dabei wohl um eine unumgängliche Etappe auf dem Weg der Herausbildung moderner Nationalstaaten. Diese fanden in den absoluten Monarchien in Frankreich und Großbritannien eine erste politische Gestalt. Vorausgegangen waren gescheiterte Versuche, die jeweiligen konfessionellen Gegner zur Konversion zu bewegen oder auch zu vertreiben.

Im Ergebnis führte die Haltung der „Toleranz“ dazu, dass Leute, die voneinander die Auffassung vertraten, dass die jeweils Anderen falschen oder verkehrten Meinungen anhingen, ja dass sie gute Kandidaten für die ewige Verdammnis waren, deren Existenz akzeptieren mussten – und sei es nur deshalb, weil sie schlichtweg keine bessere Alternative hatten. Das erstmals im Jahr 1646 formulierte Prinzip, wonach die Untertanen gehalten waren, die Konfession der jeweils herrschenden Familie zu teilen (cuius regio eius religio), war kaum anderes als ein unbeholfener Kompromiss und eine Notlösung, beendete aber das Blutvergießen. Gläubige, die unter einem Fürsten lebten, der einer anderen Konfession angehörte als sie selbst, standen vor der Wahl, entweder zu emigrieren oder zu akzeptieren, dass sie von den örtlichen Behörden nur „toleriert“ wurden.

Das Ideal wechselseitiger Toleranz in den Vereinigten Staaten von Amerika wurzelt bekanntlich in dem Verlangen, der ungehemmten religiösen Verfolgung in Europa – insbesondere in Großbritannien – zu entrinnen. Ansteckungen waren damit freilich nicht grundsätzlich verhindert. Beispiele hierfür liefern etwa die Schlacht am Severn (1655) und das Niederbrennen katholischer Kirchen in Maryland durch Puritaner.

Um es allgemein zu formulieren: während der Begriff „akzeptieren“ semantisch eher neutral und „autorisieren“ semantisch eher positiv konnotiert ist, ist die Bedeutung von „tolerieren“ eher negativ konnotiert. Insofern ist es nicht ohne Ironie, dass „Toleranz“ im Lauf der europäischen Geschichte allmählich eine Art Tugend bezeichnete. Am Ende erscheint sie sogar als eine der lobenswertesten Tugenden, ja beinahe als die einzige Tugend, die zu propagieren und derer sich zu rühmen sich lohnt. Auf jeden Fall ist sie die einzige Tugend, deren Erwähnung unter ihrer Hörerschaft keine höhnischen Bemerkungen provoziert.

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