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5. Privativer Vorbehalt

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Baums gründliche Recherche lässt sich mit Blick auf den Begriff „Biblische Aufklärung“ noch präzisieren. Hierzu bietet sich eine Stelle an, die als locus classicus für eine natürliche Theologie gilt: „Denn seine unsichtbare Wirklichkeit wird seit Erschaffung der Welt an seinen Werken durch den Verstand wahrgenommen, d.h. seine ewige Macht und Gottheit, so dass sie unentschuldbar sind“ (Röm 1,20). Da Paulus hier von der Erkennbarkeit Gottes ausgeht, wird diese Stelle oft als Schriftbeleg für die positive Erkennbarkeit Gottes aus seiner Schöpfung angeführt. Sie könnte also gerade als Beleg für Baums Annahme dienen, dass die Formen von Negativität als Denkform der Existenz Gottes im Neuen Testament kaum Verbreitung gefunden haben. Allerdings verwendet Paulus diese Stelle als rhetorische Schluss-Argumentation (Enthymem)14 gegen die Abbildbarkeit Gottes: „Sie behaupteten zwar, weise zu sein; aber sie wurden zu Toren. Und sie tauschten die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes ein gegen ein Bild, das einen vergänglichen Menschen, Vögel, Vierfüßler oder Kriechtiere darstellt“ (Röm 1,23).

Paulus’ Schlussfolgerung aus der Erkennbarkeit Gottes dient also gerade der grundsätzlichen Kritik an allen bildhaften Vorstellungen von Gott. Sie passt daher gut in den Rahmen, den Baum für seine Rekonstruktion negativer Theologie mit ihren biblischen Wurzeln abgesteckt hat. Baums Feststellung, „die neutestamentlichen Texte lassen daher auf den ersten Blick nur wenig Rückschlüsse auf die Konstitutionsleistung Negativer Theologie zu“ mag zwar richtig sein, es lohnt sich allerdings ein zweiter Blick, bei dem dann aber auch die Idee einer „Negativität als Denkform“ überprüft werden muss.

In diesem zweiten Blick lassen sich in dem locus classicus natürlicher Theologie Römer 1,20 durchaus sogenannte „negative“ Momente ausmachen: Was erkennbar ist, ist Gottes unsichtbare Wirklichkeit (τὰ ἀόρατα αὐτοῦ). Paulus spielt mit dem griechischen Verb für „Sehen, Schauen“ ὁράω. Gottes unsichtbare Wirklichkeit wird den Werken seiner Schöpfung ab-geschaut: καθορᾶται. Aber diese wird wiederum nur als νοούμενα, als intelligible Wirklichkeit, geschaut. Gelegentlich wird überlegt, ob hier nicht sogar ein Einfluss des platonischen Timaios vorliegt, nach dem der νοῦς die Welt schafft, indem er sie den geistigen Formen, den Ideen, des κόσμος νοητός abschaut.

Paulus geht hier also von einer Wahrnehmung aus, die Sehen und Denken kombiniert. Allerdings scheint an diesem Punkt mit Blick auf die Suche nach einer „biblischen Aufklärung“ als Beitrag zu einem Selbstverständnis Europas auch Baums Idee einer negativen Theologie noch nicht ganz geeignet. Baum hat sie vor allem aus den massiven negativen Beschreibungen von Gottes Existenz in Texten gewonnen, in denen sich biblische Theologie bereits mit dem Mittelplatonismus verbindet. Hier trifft sie auch tatsächlich zu, vor allem auf negative Reihungen in gnostischen Texten wie etwa im Tractatus Tripartitus aus der Bibliothek von Nag Hammadi: „Was aber in seiner Existenz und Seinsweise und nach dem ihm eigenen Wesen anbelangt: kein Verstand vermag ihn zu verstehen, kein Wort kann ihm je entsprechen, kein Auge kann ihn je sehen, kein Körper kann ihn je umfassen aufgrund seiner unerreichbaren Größe, seiner unergründlichen Tiefe, seiner unermesslichen Höhe und seiner unfassbaren Ferne“.15

Für das biblische Sprechen von Gott trifft die Beobachtung der Negativität noch nicht präzise genug. Eckhard Nordhofen hat in diesem Zusammenhang den Begriff der „privativen Vorenthaltung“ geprägt. Er eignet sich besser, um zu erfassen, wie Paulus in der Spätzeit der biblischen Schriften mit der Erkennbarkeit Gottes argumentiert. Die Wahrnehmung von Gottes Existenz in seiner Schöpfung enthält noch einmal ein Moment, in dem sich Gott menschlichem Zugriff entzieht. Wahrgenommen wird eben τὰ ἀόρατα αὐτοῦ (Röm 1,20), seine unsichtbare Wirklichkeit, und sie wird nicht als Gesehenes geschaut, sondern als νοούμενα (ebd.), als geistige Form, als intelligible Wirklichkeit. Hier greifen privative Momente und assertorische Momente im Sprechen von Gott ineinander.

Solche Momente privativer Vorenthaltung finden sich nicht nur im biblischen Sprechen von Gott, sondern auch von Christus. Das noli me tangere ist hierfür ein treffendes Beispiel. Im Griechischen ist es nicht so scharf, wie es im Deutschen klingt, aber auch μή μου ἅπτου (Joh 20,17) will eine versuchte Berührung unterbrechen. Ob es dazu kam, lässt der Erzähler offen, ebenso wie er offen lässt, ob Thomas mit seinen Fingern in die Wundmahle der Nägel und die Seitenwunde gegangen ist. Auch hier ergibt sich ein Ineins von assertorischen Kontakt-Momenten der Begegnung und einer privativen Entzogenheit des Auferstandenen.

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