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5. Was, wenn Menschen keine Verschiedenheit wollen?

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„Verschiedenheit“ konfrontiert mit der Herausforderung, dass die unterschiedlichen Elemente, die in einer sozialen oder politischen Einheit zusammen kommen, letztendlich irgendwie miteinander vergleichbar sein müssen. Mit anderen Worten: die Möglichkeit des Einen darf nicht die Möglichkeit der Anderen ausschließen. In metaphysischem Kontext hat Leibniz hierfür den Begriff „Kompossibilität“ geprägt.12

Was aber tun, wenn irgendein Element in dem Ganzen sich selbst so versteht, dass es die anderen ausschließt? Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn dieses Element beansprucht, eine Identität zu besitzen, die sich von einem Göttlichen herleitet. Konsequenterweise bedeutet dies nämlich, dass alles andere wesentlich nichtgöttlich ist. Schon insofern kann es – das Andere – innerhalb einer sozialen oder politischen Einheit keine legitimen Ansprüche erheben.

Demgegenüber gründet die politische Philosophie in der Neuzeit auf der Annahme, dass keine Stimme im Konzert irgendeine göttliche Autorität exklusiv zu ihren Gunsten beanspruchen kann. Westliche Demokratien haben deshalb verschiedene konstitutionelle Vorkehrungen getroffen. Sie reichen von der US-amerikanischen „wall of Separation“ bis hin zur französischen unübersetzbaren „laïcité“. Dazwischen gibt es ganz unterschiedliche Modelle – darunter das britische und skandinavische Modell, das Verhältnis zwischen Kirche und Staat zu bestimmen, oder die Regulierung der Beziehungen zwischen Kirche und Staat auf der Grundlage von Konkordaten.

Religionen sind einigermaßen wachsam und auch widerstandsbereit gegenüber solchen politischen Systemen, die sie mit anderen Größen gleichsetzen wollen – seien dies nun andere Religionen oder auch eine säkulare Weltsicht. Definitionsgemäß besitzen Religionen einen Bezugspunkt, der außerhalb – und ihrer Auffassung nach oberhalb – des öffentlichen Bereiches verortet ist. Aber auf der Grundlage dieses Prinzips gelangen sie doch zu recht unterschiedlichen Schlussfolgerungen. Dies kann ein Blick auf jene drei Religionen veranschaulichen, welche beanspruchen, Abrahams Erbe zu teilen.

Das Judentum hat seit der talmudischen Zeit zwischen religiösen Geboten und zivilen Gesetzen klar unterschieden. Das Zivilrecht eines Landes gilt deshalb für die Juden, die dort leben, als bindend (dina de-malkuta dina).13

Vor dem jüdischen Hohen Rat (Sanhedrin) hingegen formuliert der heilige Petrus das Prinzip: „Besser ist es, Gott zu gehorchen als Menschen“ (Apg 5,29). Vor dem Hintergrund der christlichen Tradition hat deshalb in der Neuzeit Thomas Hobbes (1588–1679) die Begründung der politischen Philosophie gerade dadurch sicherzustellen versucht, dass er die Aussage des heiligen Petrus als implizites Ziel seiner Kritik angenommen hat. Selbstverständlich hat er sie nur ein einziges Mal zitiert.14 Denn Hobbes identifiziert den Gehorsam gegenüber Gott mit dem Gehorsam gegenüber zivilen Behörden, die ihre Autorität unmittelbar vom Herrgott erhalten haben. Es ist jedoch eine Tatsache, dass im Christentum der Gehorsam gegenüber Gott niemals bedeutete, dass es eine direkte Intervention Gottes gegeben habe mit dem Ziel, der Gemeinschaft der Gläubigen besondere Regeln aufzunötigen.

Es gibt eine islamische Redewendung, die dem erwähnten Wort des heiligen Petrus sehr ähnlich ist. Den Satz legt die islamische Überlieferung (hadith) dem Propheten Muhammad in den Mund: „Kein Gehorsam, der Ungehorsam gegenüber Gott zur Folge hätte!“ (lā tā ʿata fī ma ʿṣiyati Allah), oder: „Kein Gehorsam dem Geschöpf, der Ungehorsam gegenüber dem Schöpfer zur Folge hätte“ (lā tā ʿata limaḫluq fi ma ʿṣiyati l-ḫāliq) oder noch: „Kein Gehorsam dem, der Gott nicht gehorcht!“ (lā tā ʿata li-man ʿaṣā Allah).15 Das Problem ist nun folgendes: während einige islamische Verhaltensmaßregeln penibel aus dem Koran und vor allem aus dem Hadith hergeleitet werden müssen, weil sie mehrdeutig sind, sind andere Gebote klar und unmissverständlich im Koran formuliert, von dem fromme Muslime glauben, dass Gott ihn dem Propheten Muhammad wörtlich diktiert habe. Das ist der Fall mit dem Schleier, der muslimische Frauen bedecken soll. Er hat in Frankreich besonders leidenschaftliche Auseinandersetzungen verursacht und wurde in der europäischen Rechtsprechung zum Gegenstand unterschiedlicher Gerichtsurteile.16

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