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11. Schlussfolgerung

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Lässt sich die Logik der Verschiedenheit auf die Spitze treiben, so dass schließlich beides auf einer Ebene steht: das, was zum Leben, und das, was zum Tode führt? Als Philosophen im stillen Kämmerlein können und müssen wir unterscheiden und uns darum bemühen, eher zugunsten des Lebens zu argumentieren als zugunsten des Todes. Damit würden wir uns für den Optimismus und gegen den Pessimismus erklären – eine Alternative freilich, die etwa nach G. E. Moore weiterhin unentschieden ist.31 Intellektuelle sind dazu verpflichtet, in aller Öffentlichkeit darauf hinzuweisen, was die Polis gefährdet. Als private Bürger mögen sie wählen, welches Verhalten für sie selbst das Beste zu sein scheint. Als verantwortliche Führer aber sind sie nachhaltig dazu angehalten, eine den jeweiligen Herausforderungen angemessene Politik zu formulieren oder doch wenigstens nach einer solchen Ausschau zu halten. Und zwar zunächst deshalb, weil das, was das Überleben einer Gesellschaft gefährdet, in der die Intellektuellen eine Führungsrolle übernehmen sollen, sich sehr langsam entwickelt – jedenfalls viel langsamer als jene Zeitspanne, in der die Politiker darauf hoffen können, die Macht zu erringen oder sie zu beeinflussen. Zweitens müssen sich Intellektuelle deshalb öffentlich äußern, weil Politiker (wenigstens in unseren demokratischen Ländern) regelmäßig neu gewählt werden; und nur wenige Wähler werden bereit sein, ihre gegenwärtigen Vorteilen zu Gunsten künftiger Generationen zu opfern. Und drittens ist ihre Stimme deshalb unverzichtbar, weil politische Kompromisse in der Moderne oft dadurch gekennzeichnet sind, dass solche Fragen, die Urteile über letzte Werte implizieren, aus dem öffentlichen Raum ausgeschlossen und in den privaten Raum verwiesen sind.

Fragen hinsichtlich des guten Lebens oder auch hinsichtlich der Güte des Lebens selbst überschreiten den Horizont demokratischer Politik. Um aber zwischen verschiedenen Lebensprojekten in einer Gesellschaft zu unterscheiden, in der Verschiedenheit herrscht, ist es überlebensnotwendig, auf eine höhere Ebene zu wechseln. Diese aber ist ihrer Natur nach eine metaphysische Ebene.32

1 Der Beitrag wird auch in englischer Sprache erscheinen, und zwar in: Michael J. Sweeney (Hg.), Justice Through Diversity? A Philosophical and Theological Debate, Lanham (MD) 2016, Copyright © 2016. Used by permission of Rowman & Littlefield Publishing Group. All rights reserved.

2 William James, Das pluralistische Universum. Vorlesungen über die gegenwärtige Lage der Philosophie [A Pluralistic Universe; 1909], übers. von Julius Goldstein, mit einer neuen Einführung hg. von Klaus Schubert/Uwe Wilkesmann, Darmstadt 2009 (Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1914).

3 Vgl. Odo Marquard, „Lob des Polytheismus. Über Monomythie und Polymythie“ [1978], in: Ders., Zukunft braucht Herkunft. Philosophische Essays, Stuttgart 2003, S. 46–71.

4 Vgl. Max Weber, „Wissenschaft als Beruf“ [1919], in: Ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hg. von Johannes Winkelmann, Tübingen 51985, S. 582–613, hier 608. Dazu Hartmann Tyrell, „»Kampf der Götter« – »Polytheismus der Werte«. Variationen zu einem Thema von Max Weber“, in: Sociologia Internationalis 37 (1999), S. 157–187.

5 Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht [1798], 1. Teil, 1. Buch, §2 (Akademie-Ausgabe, Bd. VII, S. 130).

6 James Madison, The Federalist, n. 50 [February, 5th, 1788], hg. von Isaac Kramnick, London 1988, S. 317.

7 Platon, Politeia, VIII, 557d8.

8 Platon, Politikos, 302e-303b (Platon Werke II/4, Göttingen 2008, S. 63f.); vgl. Aristoteles, Politika IV 2, 1289b 7–9 (Werke 9/III, Berlin 1996, S. 13f.).

9 Polybios, Historíai VI, 4, 4–5.

10 Vgl. Platon, Protagoras, 319b-d (Platon Werke VI/2, Göttingen 1999, S. 24f.).

11 Vgl. Henri Bergson, Die beiden Quellen der Moral und Religion, übers. von Eugen Lerch, Jena 1932, Nachdruck Frankfurt am Main 1992, S. 281 (Les deux sources de la morale et de la religion [1932], cap. 4, Paris 1962, S. 300).

12 Vgl. Hans Poser, Zur Theorie der Modalbegriffe bei G. W. Leibniz, Wiesbaden 1969, S. 67f.

13 Vgl. Talmudic Encyclopedia. A Digest of Halachic Literature and Jewish Law from the Tannaitic Period to the Present Time Alphabetically Arranged [Hebräisch], t. VII, Jerusalem 1968, col. 295–308 (S. Shilo).

14 Thomas Hobbes, Leviathan, or The Matter, Forme, & Power of a Common-Wealth Ecclesiasticall and Civill [1651], Buch III, Kap. 39 (Hg. von M. Oakeshott, Oxford 1960, S. 306) und Kap. 42 (ebd., S. 378); übers. von Jutta Schlösser, hg. von Hermann Klenner, Hamburg 1996. Das Zitat aus der Apostelgeschichte 5,29 findet sich in Buch II, Kap. 31 (S. 240).

15 Vgl. Arent Jan Wensinck u.a. (Hg.), Concordance et indices de la tradition musulmane, Bd. 4, Leiden 1962, col. 43a.

16 Vgl. den Beitrag von Thomas Meckel in diesem Band.

17 Vgl. Rémi Brague, „Inklusion und Verdauung. Zwei Modelle kultureller Aneignung“, in: Günter Figal/Jean Grondin/Dennis J. Schmidt (Hg.), Hermeneutische Wege. Hans-Georg Gadamer zum Hundertsten, Tübingen 2000, S. 295–308.

18 Vgl. die dreisprachige Ausgabe (Französisch, Russisch, Italienisch): Lev Isaakovič Šestov, Atene e Gerusalemme. Saggio di Filosofia Religiosa, hg. von Alessandro Paris, Mailand 2005.

19 Tertullian, De praescriptione haereticorum, 7 (Corpus Christianorum. Series Latina 1, S. 19332f.). Vgl. Rémi Brague, „Is European Culture ‚a Tale of Two Cities‘?“, in: Suzanne Stern-Gillet/Maria Teresa Lunati (Hg.), Historical, Cultural, Socio-Political and Economic Perspectives on Europe, Lewiston 2000, S. 33–50.

20 Vgl. Rémi Brague, Europa, seine Kultur, seine Barbarei. Exzentrische Identität und römische Sekundarität, Wiesbaden 22012. Der Titel der französischen Ausgabe lautet: Europe. La voie romaine (Paris 1992).

21 Horaz, Epistulae II, I, 156f. (lat./dt. Übers., Düsseldort – Zürich 2000, 230f.); Augustinus, De Civitate Dei VI, 11 (Corpus Christianorum. Series Latina 47, S. 18312). Zitat aus: Seneca, De superstitione, frg. 42.

22 Vgl. Rémi Brague, Die Weisheit der Welt. Kosmos und Welterfahrung im westlichen Denken, München 2006, Einleitung.

23 Vgl. Rémi Brague, La Loi de Dieu. Histoire philosophique d’une alliance, Paris 2005.

24 Numa Denis Fustel de Coulanges, La Cité antique. Étude sur le culte, le droit, les institutions de la Grèce et de Rome [1864], t. V, 3, Paris 1984, S. 453.

25 Augustinus, Confessiones, X, xxix, 40 (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 33, S. 256).

26 Vgl. Wilfred Cantwell Smith, „The Concept of Shari’a among some Mutakallimun“, in: George Makdisi (Hg.), Arabic and Islamic Studies in Honor of H. A. R. Gibb, Cambridge, Mass. 1965, S. 581–602.

27 Jean-Jacques Rousseau, Emile ou de l’éducation, IV, in: Œuvres complètes, vol. 4. hg. von Bernard Gagnebin/Marcel Raymond, Paris 1969, S. 600 (dt. Ausgabe: Jean-Jacques Rousseau, Emile oder über die Erziehung, Stuttgart 2009, S. 593).

28 Vgl. Rémi Brague, „Ist ein anderes Regime als Theokratie möglich?“, in: Dietrich Gottstein/Hans Rainer Sepp (Hg.), Polis und Kosmos. Perspektiven einer Philosophie des Politischen und einer Philosophischen Kosmologie. Eberhard Avé-Lallemant zum 80. Geburtstag, Würzburg 2008, S. 58–73.

29 Vgl. Rémi Brague, „Jew, Greek and Christian. Some Reflections on the Pauline Revolution“, in: Expositions. Interdisciplinary Studies in the Humanities I, 1 (2007), S. 15–28.

30 John Stuart Mill, On Liberty [1859], cap. 3 (ed. A. D. Lindsay, London 1968, p. 15); dt.: Über die Freiheit, hg. von Horst D. Brandt (Philosophische Bibliothek 583), Hamburg 2009, S. 78–106.

31 George Edward Moore, Principia Ethica [1903], Kap. V, §95 (Hg. von Thomas Baldwin, Cambridge 1993, S. 206; dt. von Burkhard Wisser, Stuttgart 1970, S. 223).

32 Vgl. Rémi Brague, Les Ancres dans le ciel. L’infrastructure métaphysique de la vie humaine, Paris 2011. Eine deutsche Übersetzung in der von Christoph Böhr herausgegebenen Reihe „Die Ordnung der Dinge“ ist in Vorbereitung (Springer-Verlag).

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