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1. Absicherung des Textverständnisses
ОглавлениеDie prophetische Heilsschilderung Jes 2,2–5 kommt in ihrem Kern fast wortgleich noch einmal in Mi 4,1–5 vor. Nur die abschließenden Applikationen weichen ab. Heißt es in Jes 2,4: ‚Haus Jakobs, kommt, lasst uns gehen im Lichte JHWHs!‘, so werden in Mi 4,4–5 die Friedensfolgen und die Konsequenzen für die Zionsgemeinde weiter ausgemalt:
Mi 4,4a | Dann wird ein jeder unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum sitzen, und keiner wird da sein, der sie aufschreckt. |
4b | Denn der Mund JHWHs hat es gesprochen. |
5 | Wenn auch alle Völker (ihren Weg) gehen,ein jeder im Namen seines Gottes, so wollen wir doch (unseren Weg) im Namen JHWHs, unseres Gottes, gehen, auf immer und ewig. |
Deutlich wird aus diesen Abweichungen am Ende, dass sich das eigentliche Prophetenwort auf die ersten drei Verse beschränkt (Jes 2,2–4 // Mi 4,1–3). Es gibt in der alttestamentlichen Wissenschaft eine lange Debatte über die Frage, ob der Jesaja- vom Michatext, oder umgekehrt der Micha- vom Jesajatext abhängt, bzw. beide Fassungen auf eine gemeinsame Quelle zurückgehen, die uns nicht mehr erhalten ist.3 Die Streitfrage ist mit zusätzlichen, sich aus der Redaktionsgeschichte des Michabuches ergebenden Argumenten, von Jakob Wöhrle4 in seiner gerade veröffentlichten Habilitationsschrift in der Richtung entschieden worden, dass der Jesaja-Text die ältere Textform darstellt. Ich möchte mich darum auf diese beschränken.
Liest man Jes 2,2–4 in der Übersetzung Martin Luthers in der Weimariana von 1534, die bis in die Lutherbibeln vor der Revision von 1975 – abgesehen von orthographischen Angleichungen – fast wörtlich durchgehalten wurde, dann scheint die prophetische Heilsschilderung kaum etwas mit Friedensvermittlung zu tun zu haben. Sie lautet:5
Jes 2,2a | Es wird zur letzten zeit der berg da des HERRN haus ist/zugericht werden/höher denn alle berge/und uber alle hügel erhaben werden/ |
2b | Und werden alle Heiden dazu lauffen/ |
3a | und viel völcker hingehen/und sagen/Kompt, last uns auff den berg des HERRN gehen/zum hause des Gottes Jacob/ |
3b | das er uns lere seine wege/und wir wandeln auf seinen steigen/Denn von Zion wird das Gesetz ausgehen/und des HERRN wort von Jerusalem/ |
4 | Und er wird richten unter den Heiden/und straffen viel völcker/da werden sie jre schwerter zu pflugscharen/und jre spiesse zu sicheln machen/ Denn es wird kein volck wider das ander ein schwerd auffheben/und werden fort nicht mehr kriegen lernen/ |
Die ganze prophetische Schilderung handelt nach Luthers Lesart von der letzten Zeit, der Endzeit. Die Heiden kommen nach Jerusalem, um über Gottes Wege belehrt zu werden, d.h. über die von Gott geforderten Verhaltensweisen, wie sie in dem Gesetz,6 d.h. dem mosaischen Gesetz, niedergelegt sind. Darauf wird Gott die Heiden einem strafenden Völkergericht unterziehen. Es geht also nicht um irgendeine Art von göttlicher Mediation, sondern um den Vorgang einer Bekehrung und Bestrafung der Völker. Und nur weil die Heiden sich zum Judentum bzw. Christentum bekehrt und das göttliche Gericht erfahren haben, sind sie bereit, auf ihre Waffen zu verzichten. In diesem Sinne deutete noch Otto Kaiser 1978 den Text, wenn er schreibt, Gott werde „einst in der Vollendung der wirren Weltgeschichte als der erscheinen, der allein seiner Menschheit durch sein richtendes und den Menschen seiner Sünde überführendes Wort dauernden Frieden geben kann“7. Auch er versteht den Text ausdrücklich als „eschatologisch“8.9
Doch dieses Textverständnis hat erstens sachliche Schwierigkeiten: Es kann nicht erklären, warum das göttliche Strafgericht der freiwilligen Bekehrung der Völker noch folgen sollte. Kaisers Erklärungsversuch: „Sie wissen, dass sie nur dort Anleitung für ein Leben finden können, mit dem sie vor dem Gericht Gottes bestehen“10 ist einigermaßen künstlich und würde ja bedeuten, dass das göttliche Gericht nur noch eine reine Formsache darstellt. Auch ist nicht verständlich, warum die Völker mit so betonter Freiwilligkeit zu ihrem Strafgericht auf dem Zionberg erscheinen sollten. Und schließlich bleibt unverständlich, warum Bekehrung und Gericht ausgerechnet eine allgemeine Abrüstung zur Folge haben sollte. Im Gesetz des Mose wird der Krieg zwar eingeschränkt (Dtn 20), aber nicht verboten.11
Zweitens stößt ein solches Textverständnis auf erhebliche philologische Schwierigkeiten: Das gilt besonders für den zentralen Vers 4a, den Luther auf das Endgericht Gottes bezog: Wo Luther unscharf übersetzte ‚Und er wird richten unter den Heiden …‘12 steht im hebräischen Text wešāfaṭ bēn haggōjīm ‚er wird richten zwischen den Heiden‘, oder besser ‚den Völkern‘. Die hebräische Präposition bēn heißt ‚zwischen‘ und nicht ‚unter‘; und an den 14 Stellen, wo sie mit dem Verb šāfaṭ ‚richten‘ verbunden steht, ist gemeint, dass Gott oder ein Mensch zwischen den konkurrierenden Rechtsansprüchen zweier Personen oder Gruppen entscheidet und damit einen rechtlichen Ausgleich zwischen diesen herbeiführt.13 Das heißt, es geht in Jes 2,4a nicht um ein göttliches Gericht an den Völkern, sondern um ein göttliches Schiedsgericht zwischen den Völkern. Dann kann aber auch im parallelen Versteil kein Strafgericht gemeint sein, so wie Luther übersetzte ‚er wird strafen viele Völker‘. Zwar hat das verwendete hebräische Verb hōkīăḥ ( jākaḥ im Hif’il) ein weites Bedeutungsspektrum, das von ‚zurechtweisen‘ (Gen 21,25; Hi 5,17; 6,26 u. ö.), ‚tadeln‘ (Hi 6,25), ‚richten‘ (Gen 31,37[ebenfalls mit ].42; Jes 11,3), ‚rechten‘ (Hi 9,33), ‚beweisen‘ (Hi 19,5) bis hin zu ‚zur Rechenschaft ziehen‘ (2. Kön 19,4; Prov 30,6), ‚züchtigen‘ (Ps 6,2; 38,2) und ‚strafen‘ (2. Sam 7,14; Jer 2,19) reicht und damit auf der Grenze zwischen pädagogischer und juristischer Semantik angesiedelt ist. Doch mit der Präposition lě ‚für‘, die in Jes 2,4 verwendet wird, legt sich die Bedeutung „jemandem Recht verschaffen“ nahe (vgl. Jes 11,4; Hi 16,21).14 Und dabei kann das Partizip des Verbs, mōkīăḥ, mehrfach den Schiedsrichter‘ bezeichnen, der zwischen zwei Personen oder Parteien (Hi 9,33; Ez 3,2615), insbesondere im örtlichen Torgericht (Am 5,10; Jes 29,21) einen gerechten Ausgleich zu erreichen sucht und damit der schwächeren Partei gegen die stärkere ihr Recht verschafft. Auch in diesem zweiten Stichos geht es also um einen rechtlichen Ausgleich zwischen den Völkern, der auch durch Einsatz pädagogischer Mittel erreicht werden kann. Damit hat unser prophetischer Text in der Tat mit Mediation zu tun.
Diese philologische Klarstellung, die schon Hans Wildberger16 in seinem Jesajakommentar vorgenommen hat, ist heute fast allgemein akzeptiert17 und ist in die neuen Bibelübersetzungen übernommen worden.18 Durch sie erhält der Text nach hinten einen klaren Zusammenhang: Weil Gott auf dem Zion den Völkern ihre Konflikte geschlichtet hat, können sie auf ihre Waffen verzichten (Jes 2,4b). Aber auch nach vorne hin zu Vers 3 wird nun ein Zusammenhang erkennbar: Mit der Tora und dem Wort JHWHs, das von Jerusalem ausgeht, ist nicht das Gesetz des Mose, sondern eben die konfliktschlichtende Weisung Gottes gemeint, die den Zion für die Völker so anziehend macht. „Tora“ hat in der hebräischen Bibel ein weites Bedeutungsspektrum: Es kann die Weisung der Mutter an ihren Sohn (Prov 1,8), die Weisung eines Priester an die Laien (Hag 2,10ff.), das (deuteronomische) Gesetz des Mose (2. Kön 23,24), oder aber als zusammenfassender Begriff die Gesetze und Verheißungen der Fünf Bücher Mose (Pentateuch) bezeichnen (Mal 3,22). Hier im Jesajabuch meint der hebräische Begriff tōrāh ‚Weisung‘ neben dābār ‚Wort‘ eindeutig das weisende und klärende Prophetenwort im Namen Gottes (Jes 1,10; 5,24; 30,9; vgl. 8,16). Mit der Wahl dieser Begriffe wird angedeutet, an welche Art der Vermittlung bei der Mediation hier gedacht ist.19 Damit sind aber mit den ‚Wegen‘ und ‚Pfaden‘ Gottes in V. 3a, auf denen die Völker wandeln wollen, nicht die gottgewollten Wege der Frommen (Ps 1,6), sondern schlicht die Wege gemeint, die Gottes konfliktschlichtende Weisung eröffnet. Es geht in V. 3 also gar nicht um eine Bekehrung der Völker.20 Die Völker erklären nur, dass sie die konfliktschlichtenden Weisungen dieses Gottes auf dem Zion akzeptieren wollen, mehr nicht.
Bleibt damit die Zukunftsschau von Jes 2 noch relativ nah an der geschichtlichen Realität einer in politischen Konflikten und religiös gespaltenen Völkerwelt, so will sie darum wahrscheinlich gar nicht von einer Endzeit reden, die jenseits der Geschichte liegt. Die hebräische Wendung bě’aḥarīt hajjāmīm in Jes 2,2 heißt zwar wörtlich ‚am Ende der Tage‘, und konnte auch in späten Texten in eben diesem Sinne verstanden werden (Ez 38,16; Dan 10,14). Doch bevor diese apokalyptische Konzeption einer Endzeit ausgebildet wurde, bezeichnet sie meistens wie auch die parallele babylonische Wendung ina aหrat ūmi einfach eine fernere, noch unbestimmte Zukunft (Gen 49,1; Num 24,14 u. ö.).21
Damit sind die philologischen und sachlichen Probleme von Jes 2,2–4 soweit geklärt, dass der Text – sachgerechter als durch Luther geschehen – folgendermaßen übersetzt werden kann:
Jes 2,2a | Es wird geschehen in zukünftigen Tagen, da wird fest gegründet sein der Berg des Hauses JHWHs an der Spitze der Berge und wird überragen die Hügel. |
2b | Dann werden zu ihm alle Völker strömen,22 |
3a | und viele Nationen werden hinziehen und sprechen: „Auf, wir wollen zum Berg JHWHs hinaufziehen, zum Haus des Gottes Jakobs! |
3b | Dass er uns belehre über seine Wege und wir auf seinen Pfaden wandeln. Denn vom Zion geht Weisung aus und das Wort JHWHs von Jerusalem.“ |
4a | Dann wird er Recht sprechen zwischen den Völkern und Recht schaffen (als Schlichter auftreten) für viele Nationen. |
4b | Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden und ihre Speere zu Winzermessern. Kein Volk wird mehr gegen ein anderes das Schwert erheben, und sie werden nicht mehr das Kriegshandwerk lernen. |
Nach dieser korrigierten Lesart wird in einer fernen Zukunft der Zion, der Jerusalemer Tempelberg, zum höchsten Berg der Region erhöht werden.23 Dann werden alle Völker zu diesem weithin sichtbaren Markierungspunkt der Welt herbeiströmen, um sich dort ihre Konflikte schlichten zu lassen. Und dabei üben die konfliktschlichtenden Weisungen des dort anwesenden Gottes eine solche Attraktivität aus, dass die Völker freiwillig kommen und die göttlichen Schiedssprüche wie selbstverständlich akzeptieren. Darum werden sie – nach Hause zurückgekehrt – selber ihre überflüssig gewordenen Waffen zerstören und die in ihnen gebundenen Rohstoffe in nützlicheres Ackergerät umwandeln. So wird die kriegerische Austragung der Konflikte aufhören und das Kriegshandwerk vergessen werden wie andere überflüssig gewordene Kulturtechniken auch. Der Text handelt also in der Tat von einer wunderbaren göttlichen Friedensvermittlung, einer Art himmlischer UNO in Jerusalem, die mit ihrer gelingenden Mediation alle Schwierigkeiten und Misserfolge unserer irdischen UNO weit hinter sich lässt.