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2. Traditionsgeschichtlicher Hintergrund

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Die Besonderheiten dieses nur knapp skizzierten prophetischen Konzeptes einer göttlichen Friedensvermittlung in der Stadt Jerusalem werden erst erkennbar, wenn man sie auf ihrem traditionsgeschichtlichen Hintergrund betrachtet. Obwohl das semitische Wort für Friede salīmu, salām, šalōm o.ä. in ihrem Namen anklingt, war der Stadt Jerusalem die zugedachte Rolle eines Zentrums für göttliche Friedensvermittlung nicht in die Wiege gelegt. Jerusalem war nie überregionales Heiligtum wie etwa Delphi gewesen, zu dessen Rolle die politische Konfliktschlichtung von alters gehört hätte. In israelitischer Zeit war es vielmehr Staatstempel und königliche Kapelle zuerst des vereinten Davidisch-Salomonischen Reiches und dann des judäischen Königreichs gewesen und darum institutionell und ideologisch fest in diesen Staat eingebunden. Bis zur Zerstörung des ersten Jerusalemer Tempels im Jahr 587 v. Chr. waren dessen Priester königliche Beamte. Und die Jerusalemer Königsund Tempeltheologie diente – in Anlehnung an vorderorientalische Vorbilder24 – primär der Legitimation und Absicherung der davidischen Dynastie und ihres Herrschaftsbereichs.25

Charakteristisch für die ältere Jerusalemer Königs- und Tempeltheologie, die uns vor allem in den Königs- und Zionspsalmen überliefert ist, ist eine fast vollständige Identifizierung JHWHs mit der politischen Herrschaft des Königs. Nach Ps 2,1–6 bändigt und regiert JHWH die aufbegehrende Völkerwelt mit Hilfe des davidischen Königs; und der davidische König führt mit seinen Eroberungskriegen JHWHs Auftrag aus:

Ps 2,8 Erbitte von mir, dann will ich dir Völker zum Erbe geben und zum Besitz die Enden der Welt.
9 Du sollst sie zerschmettern mit eisernem Stab wie Töpfergeschirr sie zertrümmern.

In Erfüllung dieses göttlichen Auftrages setzt der König zugleich die Anerkennung JHWHs in der Welt durch:

Ps 2,10 Doch nun, ihr Könige, werdet klug, lasst euch warnen, ihr Herrscher der Erde!
11a Dienet JHWH mit Furcht,
11b.12aα ‘mit Zittern küsst seine Füße’!
12aβ Dass er nicht in Zorn gerät und ihr umkommt auf (eurem) Weg, denn leicht kann entbrennen sein Zorn.26

Die Bändigung der Völkerwelt war nach dieser Theologie nur in der Weise einer militärischen Unterwerfung vorstellbar.

Weil nun die göttliche Herrschaft über die Welt universale Züge trägt, wurde in der Jerusalemer Königstheologie auch die Herrschaft des davidischen Königs universal konzipiert, wie die Königsfürbitte Ps 72 verdeutlicht:

Ps 72,8 Er möge herrschen von Meer zu Meer, vom Strom bis an die Enden der Erde!
9 Vor ihm mögen knien Wüstenbewohner, und seine Feinde mögen Staub lecken!
10 Die Könige von Tarsis und die Inseln mögen Gaben bringen, die Könige von Scheba und Saba mögen Tribut entrichten!
11 So mögen sich ihm unterwerfen alle Könige, alle Völker mögen ihm dienen.27

Auch wenn die judäischen Könige nur wenig Gelegenheit hatten, eine solche Weltherrschaft auch nur ansatzweise zu realisieren, ließ sich von der Jerusalemer Königstheologie her jeder nur mögliche Angriffskrieg legitimieren.

Auch die Jerusalemer Tempeltheologie trug universale Züge: Der Jerusalemer Tempelberg wird hier als Weltmittelpunkt angesehen und mit dem mythischen Götterberg im Norden gleichgesetzt, der als Weltachse die ganze Erde trägt:

Ps 48,2 Groß ist JHWH und sehr zu preisen in der Stadt unseres Gottes, sein heiliger Berg,
3 der schöne Hügel, die Wonne der ganzen Welt, der Berg Zion im äußersten Norden, die Stadt eines großen Königs.

Weil JHWH in der Gottesstadt Jerusalem als unmittelbar anwesend gedacht wird, erscheint diese als unzerstörbar gegenüber den gegen sie anbrausenden Chaoswassern (Ps 46,2–4) und als unzerstörbar gegenüber den gegen sie anstürmenden Völkern:

Ps 46,5 Eines Stromes Arme erfreuen die Gottesstadt, die heiligste der Wohnungen Eljons.
6 Gott ist in ihrer Mitte, so wankt sie nicht, es hilft ihr Gott beim Anbruch des Morgens.
7 Es mögen brausen die Völker, es mögen schwanken die Königreiche. Er donnert drein, da wogt die Erde.
8 JHWH-Zebaoth ist mit uns, eine Zuflucht für uns ist der Gott Jakobs.

Auch wenn hier JHWH fast vollständig mit Jerusalem identifiziert wird, hat die Zionstheologie einen etwas defensiveren Charakter als die Königstheologie, sie zielt vornehmlich auf eine Absicherung der Hauptstadt. Dabei strahlt, wie die letzte Strophe von Ps 46 deutlich macht, Gottes machtvoller Einsatz für seine Stadt auch befriedend auf die ganze Welt aus:

Ps 46,9 Auf, schaut die Werke JHWHs, der Entsetzen verbreitet auf Erden.
10 Der den Kriegen ein Ende macht bis an das Ende der Erde, den Bogen zerbricht und den Speer zerschlägt, die Schilde verbrennt im Feuer.
11 „Lasst ab und erkennt, dass ich Gott bin, dass ich erhaben bin über die Völker, erhaben auf Erden!“

Allerdings unterscheidet sich dieses universale Frieden stiftende Handeln Gottes deutlich von dem in Jes 2.28 Das Zerbrechen der Waffen ist, wie die assyrischen Parallelen belegen,29 eine demütigende Siegerpose, die den schon besiegten und am Boden liegenden Feind noch zusätzlich demütigt. Das Friedensreich der ursprünglichen Zionstheologie beruht somit nicht auf Mediation, sondern – ähnlich wie die Königstheologie – auf einer Unterwerfung und Entmachtung der Völker. Es ist ein Friede unter israelitischer bzw. judäischer Vorherrschaft, der pax assyrica oder der pax romana vergleichbar. Angriffe auf Jerusalem wie auch mögliche Konflikte zwischen den Völkern werden durch das Eingreifen einer überlegenen militärischen Macht einfach erstickt.30

Zu dieser Interpretation passt, dass in dem ältesten Beleg für die Vorstellung, dass sich Völker in friedlicher Absicht in Jerusalem versammeln, es sich um die Abgesandten der unterworfenen Vasallen handelt:

Ps 47,9 König wurde ‘JHWH’ über die Völker, ‚JHWH‘ hat Platz genommen auf seinem heiligen Thron.
10 Die Edlen der Völker sind versammelt, ‘mit’31 dem Volk des Gottes Abrahams.
11 Denn ‘JHWH’ gehören die Schilde der Erde hoch erhaben ist er.

Die Königsherrschaft JHWHs über die Völker und seine militärische Überlegenheit werden daran sichtbar, dass neben seinem eigenen Volk auch die Gesandten der von ihm unterworfenen Völker ihm die Reverenz erweisen.

Diese imperiale Jerusalemer Staatstheologie, die sich eigene Herrschaftssicherung nur mit dem Mittel der kriegerischen Unterwerfung anderer Völker vorstellen konnte, hat schon in der fortgeschrittenen monarchischen Epoche von einigen Propheten scharfe Kritik erfahren. Im 8. Jh. kritisierte etwa Micha das illusionäre Vertrauen auf die Unverletzlichkeit Jerusalems, das ihre Einwohner völlig unsensibel für das in ihr geschehene Unrecht gemacht habe, und sagte der Stadt darum die völlige Verwüstung an (Mi 3,11f.); und Jesaja geißelte unter anderem das Vertrauen auf Waffen als Sünde gegen Gott (Jes 7,4; 30,1–5.15–20; 31,1–3), der Assyrien als „Zornesrute“ gegen sein eigenes Volk herbeigerufen habe (5,25–29; 10,5ff.). Den künftigen König entkleidete er von allen Weltherrschaftsgelüsten (11,1–5).

So verwundert es nicht, dass nach dem Zusammenbruch des judäischen Staates, bei dem auch Jerusalem und sein Tempel in Flammen aufgingen (587 v. Chr.), die Zionstheologie abgewandelt und zunehmend ihrer imperialistischen Spitze beraubt wurde. Auf ein Eingreifen JHWHs in der Geschichte hin, so erwarteten exilische und nachexilische Propheten, würden die Völker in einer Art „Völkerwallfahrt“ freiwillig zum Zion kommen, um etwa die exilierten Judäer zurückzubringen (Jes 43,6; 49,22; 60,4.9), um ihre Schätze nach Jerusalem zu schleppen und damit den Wiederaufbau von Stadt und Tempel zu ermöglichen (60,5–9.11.16f.; Hag 2,7–9) und um JHWH und sein Heiligtum zu verherrlichen (Jes 60,6f.9b.13f.).32 Ja, die Völker würden Israel dadurch dienen, dass sie für es, das als Priestervolk die religiösen Angelegenheiten regeln werde, die landwirtschaftlichen Tätigkeiten übernähmen (61,5f.). Anstelle der durch Waffengewalt erzwungenen Tribute und politischer Unterwerfung treten hier die freiwillige Gabe und religiöse Verehrung.

In die Tradition dieses Völkerwallfahrtsmotivs gehört auch Jes 2,2–4 hinein (vgl. Ps 122,1). Nur ist es hier noch konsequenter aller Weltherrschafts- und wirtschaftlicher Retributionsvorstellungen entkleidet. Die Völker kommen in Jes 2 nicht als Vasallen, sie kommen nicht, um ihre Schätze zu bringen und Israel zu dienen, sie kommen noch nicht einmal, um die Herrlichkeit JHWHs und seines Tempels zu mehren. Die Völker kommen überhaupt nicht, um etwas zu bringen, sondern sie kommen, um sich vom Zion etwas zu holen: die konfliktschlichtende Weisung des dort anwesenden Gottes.

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