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Einleitung
ОглавлениеGERD ALTHOFF
Jeder, der heute Schlagworte wie Mediation, Mediator, Vermittlung oder Vermittler in eine Suchmaschine eingibt, wird die Feststellung machen, dass er einem ubiquitären Phänomen auf der Spur ist. Vermittler sind heute national wie international in vielen Bereichen tätig. Sie haben Berufsverbände gebildet und fordern Entlohnung, deren Stundensatz normale Arbeitnehmer schon neidisch machen kann.1 Ihr Wirken konzentriert sich vor allem auf das Umfeld von gerichtlichen Auseinandersetzungen, vom Familienstreit bis zur Fusion oder Zerteilung von Wirtschaftsunternehmen, von Tarifauseinandersetzungen bis zu internationalen Konflikten. Sie ergänzen oder ersetzen gerichtliche Entscheidungen gerade in Bereichen besonderer Sensibilität, da wo die Erfahrung lehrt, dass ein Gerichtsurteil einen Konflikt nicht beendet, sondern seine Durchsetzung neue Konflikte erzeugt. In vielen Bereichen entlasten Vermittler Gerichte auch einfach, indem sie schneller und kostengünstiger Lösungen erreichen, als es der Rechtsweg vermöchte. So gesehen scheint Mediation eine sehr moderne Art und Weise zu sein, auf Schwächen herrschender Praktiken der Konfliktbewältigung flexibel und angemessen zu reagieren. Das Instrument der Mediation erfüllt sowohl Entlastungsfunktionen auf innerstaatlichen Problemfeldern als auch im Bereich der zwischenstaatlichen Beziehungen, die durch weniger dichte rechtliche Regelungen gekennzeichnet sind. Dies erzeugt im Zeitalter der Globalisierung besondere Probleme – von der Durchsetzbarkeit existierender Regeln ganz abgesehen.
Fragt man, welchen Regeln die Tätigkeit von Vermittlern in der Gegenwart unterworfen ist, wo und wie ihre Rechte und Pflichten fixiert sind, macht man die erstaunliche Entdeckung: ihre inhaltliche Tätigkeit wird eher nicht durch schriftlich fixierte Normen bestimmt.2 Vermittler selbst sind davon durchdrungen, für ihre Tätigkeit weitestgehend Freiheiten der Ausgestaltung zu benötigen und nicht zuletzt im Bereich uneingeschränkter Vertraulichkeit zu agieren. Den Typ des modernen Vermittlers prägen international etwa ehemalige US-Präsidenten wie Jimmy Carter oder Bill Clinton, die eher mit Charisma und Prestige zu beeindrucken verstehen, als mit Detailkenntnissen zur Sachlage. Auch im nationalen Vermittlungssektor dominiert eher der Politiker mit dem gesunden Menschenverstand und viel Erfahrung, als der fachlich besonders ausgewiesene Experte. So gesehen scheint der Vermittler ein Phänomen zu sein, das sich Theorien der funktionalen Differenzierung eher entzieht. Er hebt mit seiner Tätigkeit nämlich die Ausdifferenzierung von Teilsystemen, durch die die Gesamtentwicklung in der Moderne gekennzeichnet werden kann, auf, indem er in seiner Arbeit soziale, rechtliche oder politische Lösungsansätze verbindet und sich dabei nicht selten über bestehende Regeln in den Teilbereichen hinwegsetzt. Aus dieser Perspektive scheint der Vermittler eigentlich nicht zur Moderne zu passen und dort eine eher systemwidrige Figur und Institution zu sein.
Er ist denn auch keineswegs eine Institution, die erst in der Moderne erfunden worden wäre. Dies zu zeigen ist nicht zuletzt ein Ziel dieses Bandes, der aus einer Ringvorlesung hervorgegangen ist, die der Münsteraner Forschungsverbund „Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und Moderne“ veranstaltet hat.3 Zu den Forschungszielen dieses Verbundes gehört nicht zuletzt, Phänomene aus den Bereichen Religion und Politik dadurch besser verständlich zu machen, dass man ihre lange Dauer in den Blick nimmt und Charakteristika ihrer Entwicklung unter den unterschiedlichen Rahmenbedingungen vormoderner und moderner Verhältnisse herausarbeitet.
Hierzu ist die Institution der Vermittler nicht zuletzt deshalb gut geeignet, weil sie soziale, politische und religiöse Wurzeln besitzt. Es genügt darauf hinzuweisen, dass in der christlichen Lehre die Vorstellung, Christus sei Mittler (Mediator) zwischen Gott und den Menschen, fest verankert war. Christus hatte nach dieser Darstellung, die einen Kernpunkt der christlichen Theologie markiert, durch seinen Kreuzestod Gott mit allen Menschen versöhnt und die Erbschuld der Menschen getilgt. Von Christus aber ging diese Funktion, Mittler zu sein, auf seine Stellvertreter auf Erden über – und das waren die Priester und dann im Zuge der Sakralisierung ihrer Stellung auch die Könige.4
Aus dieser Perspektive erscheint es nur folgerichtig, dass schon seit der Spätantike und dem Mittelalter Päpste, Bischöfe und andere Kleriker, aber auch Könige und andere weltliche Machtinhaber auch als Vermittler begegnen, wenn es galt, innerweltliche Konflikte gütlich beizulegen. Dennoch lassen sich von der Spätantike bis zur Gegenwart natürlich deutliche Unterschiede und Veränderungen in den Tätigkeitsfeldern der Vermittler, ihrer Vorgehensweise und ihrer Befugnisse feststellen und es wäre auch sicher verfehlt, die Institution des Vermittlers allein aus christlichen Wurzeln zu erklären. Anthropologisch ethnologische Forschung hat längst herausgearbeitet, dass gerade in traditionalen Gesellschaften, die noch wenig staatliche Strukturen ausgeformt haben, Vermittler vorrangige Institutionen der Friedensstiftung darstellen und zwar gänzlich unabhängig davon, ob diese Gesellschaften mit dem Christentum in Berührung gekommen waren oder nicht.5 Vermittlungstätigkeiten, so wird in den folgenden Beiträgen exemplarisch deutlich werden, lassen sich vielmehr in unterschiedlichen gesellschaftlichen und staatlichen Aggregatzuständen beobachten. Vermittler werden sowohl benötigt, wenn kein staatliches Gewaltmonopol existiert und kein ausdifferenziertes Rechtssystem das Monopol der Streitschlichtung beansprucht. Sie finden aber auch Arbeit im entwickelten Staat und in modernen Staatensystemen, in denen für Konfliktbeilegung eigentlich andere Institutionen zuständig sind. Es macht daher nicht zuletzt das Profil und den Reiz dieses Bandes aus, eine Institution vorzustellen, die ihre Unentbehrlichkeit immer wieder unter ganz unterschiedlichen Rahmenbedingungen bewiesen hat. Damit ist jedoch noch nicht gesagt, ob sie diese Veränderung der Rahmenbedingungen selbst unverändert überstanden hat.
Ehe dieser ungewöhnliche Befund daher näher erläutert wird, scheint es unabdingbar zu klären, inwiefern sich Vermittlung von anderen Formen des Konfliktmanagements und der Schlichtung unterscheidet und worin ihr Wesen im Kern besteht. Das den folgenden Beiträgen zugrunde liegende Verständnis von Vermittlung lässt sich knapp wie folgt formulieren: Mediation (Vermittlung) liegt dann vor, wenn kein Machtgebot, kein Rechts- oder Gerichtsurteil und kein Schiedsspruch einen Konflikt beendet, sondern von einem oder mehreren Mediatoren die Bereitschaft der Parteien erzeugt wird, einer gütlichen Lösung des Konfliktes zuzustimmen, deren Realisierung der Vermittler dann in die Wege leitet, garantiert und absichert.6
Dieser Verzicht auf eine Entscheidung, die ein Ende des Konfliktes bewirkt, unterscheidet den Vermittler ganz grundsätzlich vom Richter und auch vom Schiedsrichter. Und dieser Verzicht bestimmt auch die konkrete Vorgehensweise des Vermittlers: Er sorgt für den Kommunikationsfluss zwischen den Parteien, übermittelt Forderungen und Bedingungen, drängt auf gütliche Lösungen, garantiert die Einhaltung von Absprachen durch beide Parteien, empfiehlt Schritte, die zur Deeskalation und Beilegung des Konflikts führen, etwa wie Genugtuungsleistung und Wiedergutmachung. Aber er entscheidet nicht selbst. Er arbeitet vielmehr nur dann erfolgreich, wenn er die Parteien zur Einsicht in die Notwendigkeit und Vorteilhaftigkeit einer gütlichen Beilegung des Konfliktes bringt. Zur Erreichung dieses Ziels nutzt er vor allem informelle Wege und Worte der Kommunikation; seine Arbeit vollzieht sich in aller Regel nicht öffentlich. Manchmal ist sogar die Tatsache der Vermittlungsbemühungen geheim, immer aber die Details der Versuche, die Parteien zur Einsicht zu bewegen. Mit welchen Versprechungen oder auch Drohungen der Vermittler letztlich die Parteien zur Einsicht und zum Einlenken brachte, wird auch nach dem Ende der Konflikte selten thematisiert. Und wenn, verrät häufig die anekdotische Verformung der Berichte, wie sehr das informelle Geschehen die Phantasie der Zeitgenossen angeregt hatte.
Vermittler benötigen für eine erfolgreiche Tätigkeit aber zu allen Zeiten das Vertrauen der Parteien. Diese Voraussetzung konnte dadurch gegeben sein, dass ihre Neutralität aus unterschiedlichen Gründen außer Zweifel stand, sei es, dass sie enge Beziehungen zu beiden Konfliktparteien hatten. Nützlich und hilfreich war in jedem Fall auch ein hohes Maß an Prestige, aus dem sich die Autorität speiste, die die Parteien sozusagen zur Einsicht zwang. Man wird in vielen Fällen den Faktor nicht unterschätzen dürfen, dass der Vermittler auch die Macht haben musste, die Einsicht zum Frieden zu erzwingen und die Einhaltung der Friedensbedingungen zu garantieren. Doch allein mit Macht ließ sich Vermittlertätigkeit gewiss nicht erfolgreich betreiben.
Der Überblick über fast zwei Jahrtausende Vermittlungstätigkeit erlaubt aber auch weitere Einsichten, die einleitend angesprochen seien. Er provoziert nämlich geradezu die Frage, ob Vermittler nicht in bestimmten Arten von Konflikten mehr Chancen auf Erfolg hatten als in anderen. Diese Frage ist gerade vor dem Hintergrund interessant, dass in den letzten Jahrzehnten mehrfach Vermittlungsbemühungen scheiterten, weil sie sich als ungeeignet erwiesen, extreme Gewalt- und Tötungsbereitschaft, ja den Willen zum Genozid zu bändigen.
Erinnert sei an das Scheitern des UN-Generalsekretärs Kofi Annan 1994 beim Völkermord in Ruanda. Aber auch in Konflikten in Palästina, auf dem Balkan oder in Tschetschenien hatten Vermittler keine Chance auf erfolgreiche Tätigkeit.7
Man wird daher in Rechnung stellen müssen, dass die Institution des Vermittlers nur in bestimmten Typen von Konflikten geeignet ist, für ein gütliches Ende zu sorgen. Dies sind Konflikte, in denen ein großes Maß an Übereinstimmung und geteilten Grundwerten zwar gestört ist, aber existiert. Die Beispiele gelungener Vermittlung, die in diesem Band behandelt werden, weisen in aller Regel diese Wesenszüge auf. In Fällen starker rassischer, ethnischer, religiöser oder sozialer Unterschiede und daraus resultierender Gewaltbereitschaft ist es dagegen einigermaßen naiv, auf die Überzeugungskraft von Vermittlern zu setzen. Diese Erfahrung sollten die politisch Verantwortlichen bedenken, ehe sie Vermittler aussenden, ohne dass es eine Basis für ihre Arbeit gäbe.
In diesem Band liegt der thematische Schwerpunkt auf dem Vorhaben, sowohl die lange Geschichte von Vermittlung und ihre vielfältigen Ausformungen wie auch ihre Familienähnlichkeit mit modernen Erscheinungen von Mediation zu veranschaulichen. Die Beiträge sind chronologisch gereiht und beginnen mit dem sehr grundsätzlichen Versuch William Millers (Michigan State University), Genese und Eigenart von Vermittlung aus den Bedingungen menschlicher Kommunikation und Verhandlungen abzuleiten, die nicht immer direkt zwischen zwei Parteien vonstatten gehen kann, sondern Dritte benötigt. Mit einem Dritten in der Kommunikation wachsen die Chancen wie die Unwägbarkeiten, was sich in den unterschiedlichsten Sprachen und ihren Bezeichnungen für diese Dritten manifestiert. Miller arbeitet die Ambiguität der Position dieses Dritten zu Recht deutlich heraus, der einerseits eine positive moralische Rolle übernimmt, andererseits aber zu List, Täuschung oder Drohung genötigt sein kann, um Erfolg zu haben. Mit einem breiten empirischen Horizont aus biblischen und anderen antiken Exempeln sowie aus mittelalterlichen und modernen Beispielen macht er einsichtig, wie schwer wirkliche Unabhängigkeit von den Parteien durchzuhalten ist. Die meisten Chancen hierzu hat anscheinend der Vermittler, dessen Macht groß genug ist, um ungefügigen Parteien gefährlich zu werden.
Zwei Beiträge bieten Fallstudien zur Antike. Rainer Albertz (Münster) analysiert die prophetische Aussage im Alten Testament (Jes. 2,2–5), dass die Völker ihre Waffen zu Pflugscharen und Winzermessern umschmieden würden, eine Aussage, die bis in die Gegenwart zum festen Repertoire von Friedensbewegungen gehört. Die Kontextualisierung der vielzitierten Aussage ergibt, dass erst nach Gottes Reinigungsgericht über Jerusalem diejenigen, die diesem Gericht entgangen sind, Protagonisten einer Frieden stiftenden Konfliktschlichtung sein können. Erst sie verfügen über die Eigenschaften, die Mediatoren benötigen, wie Integrität und Distanz zu eigenen politischen Interessen. Deshalb kommen nach dem Prophetenwort die Völker freiwillig nach Jerusalem und unterwerfen sich der richterlichen Funktion dieser Mediatoren, auch wenn diese keine Zwangsmittel haben, ihr Urteil durchzusetzen. Ihre Funktion ist göttlich legitimiert.
Alfons Fürst (Münster) thematisiert die Versuche gewaltloser Konfliktregelung in der und durch die frühchristliche Kirche. Die allgemeine Lage war wohl dadurch gekennzeichnet, dass der römische Staat nicht gewohnt war, Konflikte auf dem Wege der Vermittlung zu lösen oder lösen zu lassen. Insofern sind vorsichtige Ansätze, dass auf Kirchensynoden unterschiedliche Meinungen diskutiert und so Ursachen von Dissens erkannt und dieser so beigelegt werden konnte, als erste Spuren von Vermittlungslösungen ernst zu nehmen. Friedenstiftende Funktionen übten daneben auch Briefe aus, mit denen Schritte zur Versöhnung eingeleitet und in Ruhe geprüft werden konnten. Auch lassen sich an vereinzelten Aktivitäten von Bischöfen Bemühungen ablesen, durch persönliches Engagement Konflikte gütlich beizulegen, doch ändert das nichts Grundsätzliches am Ergebnis dieser Studie, dass es „Mediation im technischen Sinne (in der alten Kirche) nicht gegeben hat.“ Die Zeit, in der es zur cura pastoralis der Bischöfe gehörte, in ihrer Diözese aufbrechende Konflikte persönlich und gütlich beizulegen, wie wir es in der Merowingerzeit beobachten können, war noch nicht gekommen.8
Die Fallstudien zum Mittelalter zeigen dann, dass es in dieser Zeit eine etablierte Praxis von Mediation gegeben hat, die zwar durch die von W. Miller hervorgehobene Ambiguität charakterisiert ist, dennoch auch viele gemeinsame Merkmale aufweist, die sich vom hohen zum späten Mittelalter nicht mehr entscheidend veränderten. Charakteristisch blieb die Beteiligung kirchlicher Würdenträger an weltlichen Vermittlungsbemühungen, ebenso die Vertraulichkeit der Arbeit von Vermittlern, und nicht zuletzt das hohe Ansehen, dass auf diese Weise gefundene Lösungen in der Gesellschaft genossen. Gerd Althoff (Münster) untersucht die Rolle der Vermittler im hohen Mittelalter (10. bis 12. Jahrhundert), und dokumentiert sie insbesondere mit Fällen, in denen Könige eine der Konfliktparteien waren. Hier zeigt sich, dass es weltlichen wie vor allem geistlichen Vermittlern von den Königen schwer gemacht wurde, die Unabhängigkeit ihrer Stellung zu wahren. An Versuchen der Könige, Einfluss auf die Arbeit von Vermittlern zu nehmen und diese mit ihrer Ungnade zu belegen, wenn sie nicht in ihrem Sinne agierten, hat es nicht gefehlt. Aber nicht immer waren sie erfolgreich. Man kann sagen, dass gerade von Bischöfen diese Unabhängigkeit von den Königen im Hochmittelalter erfolgreich durchgesetzt worden ist.
Hermann Kamp (Paderborn) akzentuiert gleichfalls die starke Stellung von Fürsten, die dafür sorgte, dass auch im Spätmittelalter in Konflikten auf Vermittler zurückgegriffen und keine auf der Macht einer Partei gründende Entscheidung gefällt wurde. Er konkretisiert diese Einschätzung an drei Beispielen aus dem spätmittelalterlichen Burgund, und damit aus einem Reich, dem es gelungen war, seine Selbständigkeit zwischen dem Kaiserreich und Frankreich aber auch gegenüber Frankreich und England zu etablierten. Obwohl die drei Beispiele ganz unterschiedliche Konfliktparteien mit unterschiedlichen Vermittlern zusammenführen, flandrische Städte und Grafen, England und Frankreich, Burgund und das Reich, scheinen alle Akteure ähnliche Spielregeln für die Arbeit von Vermittlern zu kennen und in der Regel auch zu akzeptieren.
Mit den Vermittlungsbemühungen bei den Verhandlungen zum Abschluss des 30jährigen Krieges in Münster und Osnabrück thematisiert Barbara Stollberg-Rilinger (Münster) ein Paradebeispiel für Schwierigkeiten, die der Arbeit von Vermittlern in der Vormoderne entgegenstanden. Als Vermittler fungierten ein Gesandter des Papstes, Fabio Chigi, und ein Gesandter der Republik Venedig, Alvise Contarini, und damit das ranghöchste und das rangniedrigste Mitglied in der Gemeinschaft der europäischen Mächte. Die ausgezeichnete Quellenlage dieses Falles lässt vor allem die Bedeutung und die Schwierigkeit der zeremoniellen Fragen in den Vordergrund rücken, da Begegnungen der Gesandten oder gar Plenarversammlungen deshalb so gut wie unmöglich waren, weil schon bei der Ankunft, Begrüßung und bei der Sitzordnung Entscheidungen anstanden, die als Präzedenzfälle zu werten waren. Diese Ausgangslage reduzierte die Tätigkeit der Vermittler weitgehend auf eine Botentätigkeit, so dass es im Nachhinein fast als ein Wunder erscheint, dass die Verhandlungen zu einem erfolgreichen Abschluss kamen. Dennoch zieht die Autorin ein wichtiges Fazit: Der Westfälische Friede schärfte das Bewusstsein für die Souveränitätsfrage. Zwischen Souveränen gab es nicht mehr die Möglichkeit der Schiedsgerichtsbarkeit, sondern nur noch die der Vermittlung.
Der Beitrag von Martina Wagner-Egelhaaf (Münster) akzentuiert an einem berühmten Beispiel das Reflexionspotential, das Literatur für historische und andere Fragestellungen bereithält. Mit Lessings ‚Nathan‘ analysiert sie den Beitrag, den dieses „Drama des Ausgleichs schlechthin“ (Max Kommerell) für die Frage nach den Eigenarten von Mediation bietet. Wie in vielen anderen Exempeln geht es auch Nathan nicht darum zu urteilen, er muss wie jeder Mediator die zusammenbringen, die ohne seine Hilfe nicht mehr miteinander sprechen. Mit seiner Herstellung einer Gleichberechtigung der Ansprüche gewinnt er die Grundlage für neue Ordnungen. So könnte man das Wirken vieler Mediatoren unterschiedlicher Zeiten charakterisieren.
Bereits ins 20. Jahrhundert führt Hubert Wolfs (Münster) Untersuchung über eine Friedensinitiative Papst Benedikts XV. im Ersten Weltkrieg – und über die Rolle, die der Nuntius in Deutschland, Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII., dabei spielte. Die Untersuchung zeitigt das wichtige Ergebnis, dass sich die Aktivität Benedikts in all die Probleme verstrickte, die die Tätigkeit von Mediatoren immer mit sich bringt: die Frage der Neutralität und der Eigeninteressen, die Abhängigkeit des Friedensstifters von Informationen beider Parteien, der Spagat zwischen christlichen Werten und der nötigen Neutralität. Ihre besondere Bedeutung bekommt die Untersuchung zudem durch die Frage, wie die Erfahrungen des Nuntius Pacelli sich auf die spätere Haltung des Papstes Pius XII. hinsichtlich möglicher Vermittlungsaktivitäten in der Zeit des Nationalsozialismus ausgewirkt haben.
Ulrich Willems (Münster) skizziert die breite Palette von Verfahren der Konfliktregulierung seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts, die unterschiedlich große Familienähnlichkeit mit der klassischen Mediation aufweisen. Hierzu vergleicht er Praktiken und Initiativen zur Konfliktregulierung in den USA, die teilweise als direkte Vorbilder fungierten, mit solchen in der Bundesrepublik. Willems akzentuiert den Tatbestand, dass die Idee der Vermittlung in den 70er Jahren und in den USA quasi neu erfunden wurde, was unter intensiven wissenschaftlichen Anstrengungen zur Normierung und Professionalisierung der Vermittlung vonstatten ging. Trotz der quantitativen Zunahme und der qualitativen Verbesserung der Mediationsverfahren ergaben theoretische Debatten wie empirische Untersuchungen jedoch den Befund, dass diese Verfahren alles andere als „Allheilmittel“ sind. Je deutlicher Auseinandersetzungen den Charakter von Wertkonflikten haben, desto weniger Chancen kann man der Vermittlung einräumen. Einen Ausweg aus diesem Dilemma bietet allenfalls die Möglichkeit, Wertekonflikte in Interessenkonflikte zu transformieren. Dies aber ist in kulturell und moralisch pluralen Gesellschaften der Gegenwart gewiss keine leichte Aufgabe.
Christian Walter (Münster) verfolgt die Geschichte der Vermittlung in internationalen Beziehungen, die Barbara Stollberg-Rilinger mit dem Westfälischen Frieden und dem Souveränitätsanspruch der Staaten bereits akzentuiert hatte. Dabei konzentriert er sich auf den Prozess, der die souveränen Staaten zu einer internationalen Rechtsgemeinschaft zusammen zu fügen versuchte. Auf diesem Wege erlitt die Souveränität der Staaten deutliche Einbußen, es erhöhte sich aber der Stellenwert von Vermittlung, die als ‚weiches‘ Instrument die Freiwilligkeit staatlicher Zugeständnisse und Kompromisse in den Vordergrund rückt und so die Einbußen von Souveränität erträglicher macht als es etwa schiedsgerichtliche oder sogar gerichtliche Entscheidungen vermöchten. Folglich gibt es zahlreiche Beispiele für den Einsatz von Vermittlern im modernen Völkerrecht – aus dem „Schatten des Rechts“ haben sie sich aber nicht lösen können.
Die Problematik seines Themas als Sonderfall spricht Christian Tomuschat (Berlin) selbst an: Kann man Vermittlung ex post betreiben? Er beantwortet diese Frage selbst dahingehend, dass nicht nur der Krieg in den Köpfen beginnt, auch der Frieden ist nicht denkbar ohne eine innere Bereitschaft. Und die kann nachhaltig behindert werden, wenn lediglich ein Ende der Gewalt herbeigeführt, die Bereitschaft zum Frieden dagegen nicht fest verankert wird. Insofern hat die Arbeit von Wahrheitskommissionen einen deutlichen Zusammenhang mit Friedensstiftung, wenn sie auch nicht als Vermittlungsarbeit zu bezeichnen ist. Die Funktionen solcher Wahrheitskommissionen, die in mehreren Ländern Südamerikas nach dem Ende von Diktaturen und in Südafrika eingesetzt wurden, haben denn auch nur zum Teil Entsprechungen in Funktionen, die Vermittler haben. Nicht ihre Berichts- und Straffunktion, sondern die Versöhnungsfunktion bringt sie in die Nähe der Vermittlungsarbeit. Auch die Anforderungen an Mitglieder solcher Kommissionen ähneln den Anforderungen an Vermittler durchaus. Insofern stellen die Wahrheitskommissionen eine benachbarte Art der Friedensstiftung dar, die durchaus Familienähnlichkeit mit der Vermittlung aufweist, jedoch auch gewichtige Unterschiede. Deshalb kommen Wahrheitskommissionen auch nicht im Konflikt zum Einsatz sondern erst nach dessen Ende. Und sie sind insbesondere dann nötig, wenn Versöhnung ohne die Aufdeckung vorheriger Verbrechen nicht denkbar ist.
Seine persönlichen Erfahrungen als Vermittler im israelisch-palästinensischen Konflikt, die er als Außenminister der Bundesrepublik Deutschland sammelte, brachte Joschka Fischer (Berlin) in das Unternehmen ein, verband sie jedoch mit historischen Reflexionen über die Ursachen der langen Dauer und der scheinbaren Unlösbarkeit des Konflikts. Die unmittelbare Aktualität seines Vortrags ergab sich auch aus der Tatsache, dass zur Zeit seines Vortrags (Januar 2009) der Konflikt gerade wieder eskaliert und die israelische Armee in den Gaza-Streifen einmarschiert war. Seine Erfahrungen führten aber auch zu grundsätzlichen Bemerkungen über Möglichkeiten und mehr noch über Grenzen von Vermittlung, die sich mit den Gesamtbefunden anderer Beiträge decken.
Hans-Georg Soeffner (Konstanz) beginnt seinen soziologischen Beitrag, der sich gut als Abschluss des Bandes eignet, mit einem philosophischen Gedanken, der vor Vermittlungseuphorie warnt: Mit Kant und Simmel macht er deutlich, dass der Mensch ‚von Natur aus‘ zur Zwietracht neigt, einen Oppositionstrieb und -instinkt besitzt. Erst in (aus)differenzierten Gesellschaften werde das „Prinzip des destruktiven Gabentausches: Auge um Auge, Zahn um Zahn“ durch ein größeres Interesse am „Konfliktlösungspotential“ ersetzt. Hierzu gehört, neben den Kategorien Sieg und Niederlage, auch die von Versöhnung und Kompromiss ins Kalkül einzubeziehen. Dabei ist von Gewicht zu erkennen, dass Versöhnung etwas Individuelles und Einmaliges ist, dass es sich nicht als Kategorie der Konfliktbeendigung von großen Kollektiven wie Völkern eignet. Für die bleibt nach Soeffner nur der Kompromiss. Es ist allerdings in Rechnung zu stellen, dass Konflikte je nach ihren Ursachen unterschiedliche Möglichkeiten des Kompromisses bieten. In jedem Fall ist die Suche nach einem vermittelnden Dritten ein naheliegender und gangbarer Weg, auch wenn die Einführung einer neutralen Instanz immer eine beträchtliche Konstruktionsleistung erfordert. In der Moderne ist dies zudem der „mediale Dritte“, der in sich zerstritten und schon deshalb zur Kompromissbildung kaum fähig ist. Wer auf so etwas setzt, „muss ständig mit der Aufrechterhaltung der eigenen Illusionsbildung kämpfen“.
Am Anfang (Miller) und am Ende dieses Bandes (Soeffner) steht also die Skepsis des Anthropologen und des Soziologen, ob der neutrale Dritte, der ‚go-between‘, der Vermittler mehr sein kann als Konstrukt und Illusion. Dazwischen haben aber Historiker, Literaturwissenschaftler und Juristen eine Menge Fallbeispiele diskutiert, in denen Versuche der Konfliktbeendigung mehr oder weniger erfolgreich waren. Beide Sichten sind sicherlich begründet – sie machen die Spannung und das Erkenntnispotential dieses Bandes aus, der Kompetenzen zusammenführt, die die Möglichkeiten eines Einzelnen weit überschreiten. Es war nicht zu erwarten, dass die Dinge dadurch einfach werden, dass sie aber aspektreich geworden sind, ist nicht zu bezweifeln.