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a) Anforderungen des Abwägungsgebots

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§ 1 Abs. 7 BauGB ordnet lediglich die Abwägung der berührten Belange an. Darüber hinausgehende Konkretisierungen, welche Anforderungen aus dem Abwägungsgebot erwachsen, enthält die Regelung nicht. Auch die Planerhaltungsregelungen der §§ 214 f. BauGB liefern keine entscheidende Klarstellung. § 214 Abs. 3 BauGB nimmt zwar auf die Abwägung und ihre Mängel Bezug, ohne jedoch festzulegen, worin diese Mängel im Einzelnen bestehen könnten. Allein § 214 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 BauGB lässt erkennen, dass das Abwägungsgebot Anforderungen sowohl an den Abwägungsvorgang als auch das Abwägungsergebnis stellt, ohne diese Einteilung näher zu erläutern. Seit der Änderung durch die BauGB-Novelle 2004 stellt § 214 Abs. 3 S. 2 Hs. 1 BauGB zudem über den Verweis auf § 214 Abs. 1 Nr. 1 BauGB eine Verknüpfung zu den verfahrensrechtlichen Anforderungen im Sinne des § 2 Abs. 3 BauGB her, ohne dass jedoch deutlich würde, wie diese Verweisung zu verstehen ist. Der Gesetzgeber hat sich somit also der Normierung der Anforderungen des Abwägungsgebots weitgehend enthalten. Selbst der grundlegenden Vorschrift des § 1 Abs. 7 BauGB kommt allein deklaratorischer Charakter zu.

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Eine nähere Ausgestaltung und Konkretisierung hat das Abwägungsgebot hingegen durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und die Literatur erfahren[429]. Nach der ständigen Rechtsprechung verlangt das Abwägungsgebot, „dass – erstens – eine Abwägung überhaupt stattfindet, dass – zweitens – in die Abwägung an Belangen eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss, und dass – drittens – weder die Bedeutung der betroffenen öffentlichen und privaten Belange verkannt noch der Ausgleich zwischen ihnen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht.“[430] Das Bundesverwaltungsgericht lehnt damit die Anforderungen an das Abwägungsgebot nicht an die herkömmliche Ermessensfehlerlehre an und betont auf diese Weise die besondere Struktur der Planung als Verwaltungsaufgabe[431].

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Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung werden in der Literatur zumeist vier Stufen des Abwägungsgebotes unterschieden[432], wobei zum Teil die dritte und vierte Stufe zusammengefasst werden[433]. Positiv formuliert verlangt das Abwägungsgebot die Erfüllung folgender Anforderungen[434]:

1. die Gemeinde muss eine sachgerechte Abwägung überhaupt durchführen und darf sich nicht irrtümlich für gebunden erachten;
2. alle nach Lage des Falls relevanten Gesichtspunkte sind zu ermitteln und in die Abwägung mit einzubeziehen;
3. die Bedeutung und Gewichtung der betroffenen Belange muss zutreffend erkannt werden;
4. der Ausgleich zwischen den betroffenen Belangen muss so vorgenommen werden, dass er nicht außer Verhältnis zu ihrer objektiven Gewichtung steht.

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Diese Anforderungen umschreiben einen gestuften Vorgang, der von dem Erkennen des Erfordernisses einer Abwägung über die Ermittlung und Bewertung der Belange bis zur Schaffung eines gerechten Ausgleichs zwischen diesen reicht. Diese positiv formulierten Anforderungen sind Handlungsanweisungen an die planende Verwaltung[435]. Dem Abwägungsgebot kommt darüber hinaus auch eine Rechtsschutzdimension zu. Hinsichtlich der gerichtlichen Überprüfbarkeit werden aus den genannten positiven Handlungsanweisungen vier der jeweiligen Stufe des Abwägungsgebots korrespondierende Abwägungsfehler abgeleitet[436]:

1. Abwägungsausfall, wenn eine notwendige Abwägung gar nicht vorgenommen wird;
2. Abwägungsdefizit, wenn einzelne Belange nicht erkannt bzw. nicht berücksichtigt werden;
3. Abwägungsfehlgewichtung oder -fehleinschätzung, wenn die Bedeutung eines Belanges verkannt wird und
4. Abwägungsdisproportionalität, wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten Belangen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht.

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Innerhalb der durch diese Gebote beziehungsweise Fehler formulierten Grenzen ist die Gemeinde frei in ihrer Entscheidung, welchen der gegenläufigen Belange sie den Vorzug einräumt[437]. Die Gewichtung der Belange ist wesentliches Element der planerischen Gestaltungsfreiheit und als solches der Kontrolle durch die Gerichte entzogen[438]. Insbesondere nehmen die Gerichte keine eigene Abwägung vor, sondern überprüfen die behördliche Abwägung[439]. Dementsprechend bleibt die Umschreibung der Abwägungsfehler hinter der positiven Umschreibung des Abwägungsgebots zurück. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der Abwägung ist auf das Vorliegen eines dieser Abwägungsfehler beschränkt. Dabei hängt die gerichtliche Überprüfungsdichte von der jeweiligen Stufe der Abwägung ab. Auf den ersten beiden Stufen räumt das Bundesverwaltungsgericht der planenden Stelle keinen Beurteilungsspielraum ein. Ob überhaupt eine Abwägung stattfindet und welche Belange abwägungserheblich sind, wird demnach in vollem Umfang gerichtlich überprüft[440]. Insbesondere auf den Stufen (3) und (4) besteht jedoch eine gewisse „Toleranz“. So ist eine Abwägungsfehlgewichtung nicht bereits dann gegeben, wenn auch eine andere Gewichtung des betroffenen Belangs zulässig wäre. Voraussetzung ist vielmehr, dass die vorgenommene Gewichtung unter Berücksichtigung der objektiven Gegebenheiten nicht mehr vertretbar ist[441]. Auch eine Disproportionalität ist nicht schon dann gegeben, wenn das Abwägungsergebnis auch anders hätte ausfallen können. Sie liegt erst dann vor, wenn „das Vorhaben mit Opfern erkauft werden muss, die außer Verhältnis zu dem mit ihm erstrebten Planungserfolg stehen“[442].

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