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Alte Weisheiten

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Man weiß nie genau, wann einem die Dinge begegnen, die das Leben verändern werden. Es gibt ein kleines Gebet, das sich mehrmals in der Bibel findet. Es ist ziemlich einfach. Die kurze Variante besteht auf Deutsch aus drei Worten, die lange aus fünf. Man kann es sich also leicht merken. Bewusst habe ich diese drei Worte zum ersten Mal in meinem zweiten Semester an der Universität gehört, in einer Vorlesung über Kirchengeschichte. Unser Professor hatte die Angewohnheit, die manchmal recht trockene Vorlesung alle paar Minuten mit guten und weniger guten Witzen zu unterbrechen. Dann blickte er schief grinsend über den Rand seiner Brille, um einen Lacher einzusacken.

Um welches Thema es an diesem Tag ging, weiß ich beim besten Willen nicht mehr. Das sagt wahrscheinlich einiges über mein Gedächtnis und noch viel mehr über die Gründlichkeit meiner Mitschriften aus. Ich würde meine Notizen aus der Vorlesung nicht mal finden, wenn mein Seelenheil dran hinge – Gott sei Dank tut es das nicht. Vermutlich ging es um irgendeine Figur der frühen oder mittleren Kirchengeschichte. Und es ging darum, dass Gott spricht, denn diese Information war das Set-up für den Witz. Insgesamt geschah etwa Folgendes:

Professor (plötzlich und mitten in einem Satz über die Erlebnisse eines armen Menschen aus dem Mittelalter, an den ich mich beim besten Willen nicht erinnern kann): »Wissen Sie eigentlich, dass es nur ein hebräisches Wort gibt, dass Sie sich wirklich merken müssen?«

Kurs (in Erwartung des Witzes stumpf dreinblickend): »…«

Professor: »Ich war ja nie wirklich gut in Hebräisch. Aber ein Wort habe ich mir gemerkt. Wenn Gott zu jemandem spricht, ist die Antwort, die man gibt, ein einziges Wort. Hineni. Mehr nicht. Das ist Hebräisch für Hier bin ich. Und da Gott ja offensichtlich vor allem Hebräisch spricht, habe ich mir schon als Student gedacht, dass es vielleicht ganz sinnvoll wäre, sich wenigstens das zu merken. Man weiß ja nie.«

Ich weiß nicht, ob und wie oft Gott zu meinem Professor für Kirchengeschichte gesprochen hat. Oder wie die Gespräche gelaufen sind, wenn man bedenkt, dass sein hebräischer Wortschatz anscheinend ziemlich begrenzt war und dies seine Hauptgebetssprache war. Aber vielleicht war das ja auch nur Ironie. Doch dieser eine Satz wurde für mich lebensverändernd. Denn genau dieses kleine Gebet benutzte Gott, um mich in den Wochen und Monaten nach meiner Aufnahme im Krankenhaus »auf links zu krempeln«.

Ich schlief nachts auf meiner Bibel ein. Versuchte, so viele Verheißungen Gottes wie möglich aufzusaugen. Wie ein ausgetrockneter Schwamm lechzte ich danach, Gott als Heiler und Tröster zu erleben. Und immer wieder stolperte ich über diese Worte:

Hier bin ich. Hier bin ich. Hier bin ich.

Ich betete. Laut, leise, mit Tränen. Es ging inzwischen gar nicht mehr so sehr um die Zeit im Krankenhaus. Mit einem Mal war das Ganze deutlich größer geworden.

»Hier bin ich« ist eine alte Weisheit. Viel älter als du oder ich. Älter als unsere Kirche. Sie steht schon ganz am Anfang der Geschichte Gottes mit uns Menschen. Diese Art zu leben, führt uns an den Beginn unseres Menschseins. Und gleichzeitig ist sie neu, weil Gott unser Leben ständig und beständig erneuern wird. Wir Menschen sind so oft auf der Suche nach dem neusten Trend oder dem letzten Schrei. Auch ich dachte: Es muss doch ein Konzept geben, das mein Problem X löst. Aber jedes Mal warteten nur neue Enttäuschungen auf mich.

Nun war es an der Zeit, loszulassen. Es war an der Zeit, dass ich mich ganz in Gottes Gnadenmeer fallen ließ mit der festen Hoffnung, dass er mich nicht ertrinken lassen würde.

Damals begriff ich: Gott hatte mir die Auszeit gegeben, weil er etwas von mir wollte. Er wollte Veränderung. Er wollte mich. Und das war schmerzhaft, weil ich mir eingestehen musste, dass ich auf dem falschen Weg war. Dass ich viel zu lange eine ganze Menge an Masken getragen hatte. Weil ich perfekt erscheinen wollte. Weil ich geliebt werden wollte. Weil ich meine Bestätigung immer an den falschen Orten gesucht hatte. Es war die Sünde, perfekt sein zu wollen. Wie ein Bollwerk hatte ich diese Mauer um mich herum hochgezogen. Und dann zerbrach Gott all das.

Ich ahnte noch nicht, dass die nächsten zweieinhalb Jahre die härtesten meines Lebens werden würden. Aber gleichzeitig waren es zweifellos die besten Jahre, denn ich habe in dieser Zeit sehr viel gelernt.

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