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Auszeit

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Gott hat die interessantesten Ideen für Auszeiten, das muss man ihm lassen. Als mir in der Notaufnahme das Blut oben und unten rauslief, hatte ich nicht viel Zeit zum Nachdenken. Da stand das Gedankenkarussell still. Manchmal glaube ich, dass Gott mit den Augen rollt, wenn er an mich denkt. Liebevoll, aber trotzdem. Dann fragt er sich wahrscheinlich, wie oft er mir die gleichen Antworten noch geben soll, bis ich mir selbst und vor allem ihm endlich nicht mehr im Weg stehe.

Ich möchte dir gerne eine Frage stellen. Sie ist ein wenig persönlich, aber nach den ersten Seiten kennen wir uns ja schon ein wenig. Ich stelle sie dir, weil ich mich dasselbe in diesen Nächten im Krankenhausbett gefragt habe: Lebst du mit einem Glauben, der dich Dinge erleben lässt, wie du sie in der Bibel liest? Lebst du mit einem Glauben, der dir jeden Tag neu die Allmacht und Liebe Gottes zeigt? Bewegst du dich mit der Erwartung durch den Tag, Gott tatsächlich zu begegnen? Egal, was kommt? Vertraust du Gott in den dunklen Tälern deines Lebens genauso wie in den Höhepunkten?

Oder ist dein Glaube eher eine kleine Garnitur deines eigentlichen Lebens? Das Sahnehäubchen auf deinem Alltag?

Oder ist es andersherum: Denkst du, dass Gott Besseres zu tun hat? Denkst du, dass du vielleicht erst einiges an dir ändern müsstest, damit Gott etwas mit dir anfangen kann? Dass er Wichtigeres zu tun hat, als sich mit dir abzugeben? Immerhin ist er der Schöpfer und Erhalter des Universums. Das klingt nach viel Arbeit.

Man weiß nie genau, wann einem die Dinge begegnen, die das Leben verändern. Und ich meine nicht die x-te belanglose Predigt über ein besseres Leben, die eigentlich bloß Self-Help mit ein bisschen christlichem Zuckerguss ist. (Ganz ehrlich: Hättest du mir im Krankenhaus noch eine Predigt über positives Denken, noch eine Liste mit den fünf besten Tipps zum gesegneten Leben oder einen Artikel über gesteigertes Vertrauen in Gott gegeben, hätte ich geschrien.) Mir fehlte etwas Grundlegendes. Deshalb musste Gott bei mir auch grundlegend neu anfangen. Das einzusehen, war gar nicht so einfach.

Im Krankenhaus wurde ich nach einer Nacht in der Notaufnahme in ein Isolierzimmer verlegt, ein Einzelzimmer, das vom Personal nur mit Schutzkleidung und so selten wie möglich betreten wurde. Auf eine schräge Art wurde das Isolierzimmer zu meiner Gebetskammer. Die Ärzte und Schwestern kamen immer mal wieder, um herauszufinden, was mit mir los war. Und ebenso kam Gott durch sein Wort zu mir, um mir in einem viel größeren Horizont zu zeigen, was falsch lief und wie er den weiteren Weg für mich vorbereitet hatte.

Diese absurde Parallelität wurde mir allerdings erst später klar. Als ich dort in meinem Bett lag, ging es für mich erst einmal ums Überleben. Große Fortschritte gab es nicht. Ich konnte nichts bei mir behalten, nahm beinahe zehn Kilo ab und kein Antibiotikum schlug an. Niemand wusste, was zu tun war. Die Ärztin zuckte mit den Schultern und die Schwestern schauten mitleidig drein. Es passte einfach nicht zusammen: Mein Körper behielt nichts bei sich, jeden Morgen war mein Laken blutig und gleichzeitig traten immer wieder Panikattacken auf, die ich aber auch zuvor schon gehabt hatte.

Es dauerte über eine Woche, bis eine endgültige Diagnose stand: MRSA.

Vier kleine Buchstaben, die ich bisher nur unter dem Begriff Krankenhauskeim gekannt hatte. Mehrmals im Jahr hatte ich Beerdigungen von Menschen gehalten, die an einem solchen Keim gestorben waren. Sie waren jedoch alle mindestens fünfzig Jahre älter als ich gewesen. Entsprechend groß war die Verwunderung bei den Ärzten und dem Personal, denn in meinem Alter war es beinahe unmöglich, sich einfach so mit MRSA anzustecken, oder wie mir die Oberärztin erklärte: »Für gesunde Menschen ist MRSA in der Regel ungefährlich. Für immungeschwächte Patienten auf Intensivstationen, Krebskranke, Chirurgie-Patienten, frühgeborene Babys oder Menschen mit chronischen Wunden hingegen können multiresistente Erreger lebensgefährlich werden.«

Bisher war ich mir ganz sicher gewesen, zu keiner dieser Gruppen zu gehören.

Allerdings hatte mein Immunsystem unter dem Stress und der Überarbeitung der letzten Monate mehr als nur gelitten. Es war beinahe verschwunden. Und so lag ich nun in diesem Isolierzimmer und bekam eine Auszeit von allem, was sonst meinen Alltag bestimmte.

In dieser Gebetskammer aus Plastikfolie und Desinfektionsmitteln begann meine Reise hin zu einem intensiven Leben der Nachfolge.

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