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DER TIEFPUNKT IN ISOLATION Eine Gebetskammer mit desinfizierten Plastikwänden

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Seid stille und erkennet, dass ich Gott bin!

Psalm 46,11; LUT

Im letzten Jahr habe ich ein Gebet öfter gebetet als alle anderen: »Hier bin ich. Sende mich.«

Es ist ein gruseliges Gebet, besonders für einen Kontrollfreak wie mich. Was ich allerdings noch gruseliger finde, ist ein Leben ohne Gott. Ein leeres Leben. Ein Leben ohne göttliche Überraschungen, die einem den Boden unter den Füßen wegziehen. Und wie so oft: Man kann nicht beides haben. Wenn man will, dass Gott einen überrascht, dann muss man die Kontrolle aufgeben. Und deshalb fängt meine Geschichte mit Tränen an.

Ich saß auf der Kante unseres Bettes und weinte. Meine Frau Anni hatte ihren Arm um mich gelegt. Ich brachte nicht viel raus außer: »Ich kann das alles nicht mehr.« Mehr musste ich auch nicht sagen, denn genau das meinte ich.

Ich war gerade dreißig Jahre alt geworden, war glücklich verheiratet, hoffte auf das erste Kind und diente als Pastor einer wachsenden Kirchengemeinde, die Stück für Stück auf dem Weg zurück zum Evangelium war. Gesundheitlich ging es mir gut, ich genoss ein aktives Leben, und es gab viele Gelegenheiten, in denen ich mich entfalten konnte. Von außen sah alles gut aus.

Aber im Inneren war es anders. Schon seit einigen Jahren waren Hoffnungslosigkeit, Depression, Distanz, Angst und Leere meine täglichen Begleiter. Insgeheim war ich stolz auf meine Fähigkeit, klar zu denken, aber plötzlich rasten Gedanken durch meinen Kopf, die ich nicht aufhalten konnte. Ich hatte regelmäßig Panikattacken und stellte mir vor, dass ich innerhalb der nächsten Monate sterben würde.

Und dann gab es noch die körperlichen Auswirkungen. Oft fiel es mir schwer, Luft zu holen. Meine Arme juckten unaufhörlich und mein Kratzen linderte dieses Gefühl in keinster Weise. Wenn ich nicht gerade das Gefühl hatte, dass ein 200-Kilo-Gewicht gegen meine Brust drückte, empfand ich eine unheimliche Hohlheit. Mein Gesicht brummte. Ich war benommen. Ich verbrachte viele Nächte damit, auf und ab zu gehen, während ich versuchte, zu beten.

Ich konnte nicht mehr essen, nicht mehr schlafen. Ständig war mir schlecht, an den meisten Tagen übergab ich mich direkt nach dem Aufstehen. Und zwischen dem ganzen Heulen und Würgen war ein Gedanke ganz klar: Ich war nicht mehr ich selbst. Schon lange nicht mehr. Hinter meiner Maske lebte ich wie automatisch. Da war kein Funken mehr. Keine Freude. Ich lief durch die Ruinen einer zerbombten Gefühlswelt.

Am einfachsten beschrieb das folgende Wort meinen Zustand: leer. In mir war es einfach leer. Und ganz ehrlich: Mir wäre jedes andere Gefühl lieber gewesen. Wut, Angst, Trauer. Damit hätte ich etwas anfangen können. Bei Wut kann ich mich abreagieren. Gegen Angst kann ich kämpfen. Trauer kann getröstet werden. Von all dem war aber nichts zu spüren. Da war bloß dieses schwarze Loch, das alles unaufhaltsam anzog und nach und nach verschlang.

Ich wusste nicht mehr, wer ich war. Wusste nicht, ob ich am richtigen Ort war. Wusste nicht, ob ich vor Gott genügte. Vielleicht klingt das für einen Pastor ein wenig schräg, aber es war eine sehr dunkle Phase in meinem Leben. Ich war gerade neu in einer Gemeinde angekommen. Seit etwas mehr als einem Jahr war ich der Pastor in einem kleinen Ort kurz vor der dänischen Grenze. Und auch wenn bei uns auf dem Land eigentlich alles immer recht schön und gemütlich ist, war der Teufel offensichtlich bereit gewesen, hier ein ordentliches Schlachtfeld auszurufen, denn der zweite Kampf ging gerade erst los. Nach außen sollte natürlich alles perfekt aussehen. Immerhin konnte ich ja schlecht der neue Pastor sein, bei dem es sofort bergab geht. Zu der Panik mischte sich Scham. Ich schämte mich. Ich schämte mich dafür, zu versagen. Ich schämte mich, dass andere mein Versagen mitbekommen könnten.

Ständig trug ich den Gedanken mit mir herum, dass ich verstecken musste, wie es mir ging, was alles natürlich nur noch schlimmer und anstrengender machte. Ich dachte: »Immerhin bin ich Pastor! Und wenn sich einer mit Gott, dem Leben und dem ganzen Rest auskennen sollte, dann doch ich!«

In den Monaten zuvor hatte ich mich immer wieder neu zusammengerissen. Immer darum gekämpft, dass nach außen alles stimmte. Ich war in dem Spiel ziemlich gut geworden, kurz vor Champions League. Das Problem war, dass es keinen Pokal zu gewinnen gab. Es ging bloß immer weiter bergab, bis schließlich gar nichts mehr stimmte. Und den Leuten, die mir nahestanden, fiel dies immer mehr auf.

Abgesehen von dem normalen Druck, der auf einem Pastor in seiner ersten Gemeinde lastet, gab es keine offensichtlichen Gründe, warum ich verrückt zu werden schien. Um mögliche Ursachen auszuschließen, vereinbarte ich mit meinem Arzt einen Termin für einen kompletten Check-up. Von Blutentnahme über Herzuntersuchung bis Radfahren mit Messung der Atmung war alles dabei. Die Ergebnisse waren medizinisch negativ, also für mich positiv: Ich hatte nichts, mir ging es »gut«.

Nichts hatte mich auf das vorbereitet, was ich durchmachte. Meine inneren Anschuldigungen, dass Pastoren »so was« nicht passiert, machten mich nur noch verzweifelter. Ich suchte erfolglos nach etwas, das mir den Sieg über das bringen würde, was ich bekämpfte. Ich las in der Bibel, versuchte zu beten, drehte alle möglichen Lobpreisalben auf volle Lautstärke (da kam es mir zugute, dass unsere einzigen Nachbarn auf dem Friedhof liegen). Ich versuchte es mit einer besseren Organisation. Ich erstellte Tagespläne. Nahm mir regelmäßige Auszeiten. Fuhr in den Urlaub. Nichts half.

Schon früh dachte ich darüber nach, mir einen Berater zu suchen, vielleicht sogar einen Psychiater. Mir war bewusst, dass Menschen mit einem hormonellen Ungleichgewicht, einer Schlafstörung oder traumatischen Erfahrungen von einer medizinischen Behandlung profitierten. Ich fragte mich, ob Medikamente mir helfen könnten, wieder auf die Beine zu kommen, um mit dem umzugehen, was ich erlebte.

Ich identifizierte mich auch mit verschiedenen Diagnosen, über die ich gelesen hatte: Nervenzusammenbruch. Burn-out. Angststörung. Depressionen. Was auch immer vor sich ging, es beeinflusste mich emotional, physisch, mental und geistlich. Die Symptome waren zu zahlreich und zu intensiv, um zu denken, dass es sich nur um eine »Phase« handelte.

Aber kein Etikett, das ich meinem Zustand zuordnete, identifizierte die Grundursachen. Wenn das, was ich erlebte, in meinem eigenen Herzen entstand (wie es schien), wollte ich dieses zuerst erforschen. Ich wollte mich an das Evangelium halten, um zu sehen, was mir vielleicht bisher entgangen war.

Vielleicht kennst du so eine Situation. Vielleicht hast du auf die eine oder andere Art etwas Ähnliches erlebt. Hast Nächte hindurch geweint, weil du nicht wusstest, wie es weitergehen soll mit deinem Leben, deinen Beziehungen, deinem Vertrauen auf Gott. Du hast ihn gesucht. Hast nach Gott gerufen, damit er sich dir zeigt. Damit er der Vater ist, von dem die Bibel spricht.

Gleich zu Anfang will ich dir sagen: Damit bist du nicht alleine. Dafür musst du auch kein junger Pastor sein. Landauf und landab erlebe ich Christen und Kirchenbesucher generell, die mich aus ähnlichen Augen anschauen wie die, die ich in meinem Spiegel gesehen habe.

Dann ging alles ganz schnell: Drei Wochen nachdem ich verzweifelt gesagt hatte, dass ich das alles nicht mehr tun und ertragen konnte, ging es nachts mit Blaulicht ins Krankenhaus. Mein Herz raste und ich hatte unerklärliche Blutungen. Panisch zitternd saß ich in der Notaufnahme neben einer Frau im Rollstuhl, die kurz davor war, ein Kind zu bekommen. Der war es egal, ob ich ein erfolgreicher Pastor war oder nur so tat.

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