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b. Bibelauslegung in Qumran und im jüdischen Hellenismus

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Die Pescharim aus QumranDie Schriftauslegung von Qumran verbindet sich vor allem mit einem für diese Gruppierung charakteristischen Genre, den sog. pescharim (sg. pescher; [Traum-]Deutung; vgl. Koh 8,1; Dan 4,3; zum Ganzen ausführlich Stökl Ben Ezra 2016, 228–233; Nitzan 2009; Maier 1996). Diese Texte lassen eine klare Differenzierung in gesetzliches Material (‚Tora-Texte‘) und nichtgesetzliche Texte erkennen. Wie auch später in der rabbinischen Literatur gilt auch hier, dass die (richtige) Praxis, die der ‚Rechtsanweiser‘ (vgl. Maier 1996, Bd. 3, 9) grundlegt, die Basis für die richtige Schriftauslegung darstellt. Gesetzliche Texte werden dabei nie einer pescher-Deutung unterzogen. Die Schriftauslegung von Qumran ist ihrem hermeneutischen Anspruch nach weniger an bestimmte Auslegungstechniken (obwohl man diese durchaus ausmachen kann) gebunden, sondern vor allem an bestimmte Personen und Trägerkreise. Die jachadische* Gemeinde von Qumran (Stökl Ben Ezra 2016, bes. 237–316) sah in den Schriften der Hebräischen Bibel, v.a. in den Propheten, die Ankündigung der Qumran-Epoche, und entsprechend wurden die biblischen Texte ausgelegt. Oberste exegetische Instanz war |20|dabei der sog. ‚Lehrer der Gerechtigkeit‘ (more ha-tzedeq). Der biblische Text enthält ein Geheimnis (raz), das nicht einmal den Propheten offenbart wurde. Auf einer zweiten Stufe, vermittels des pescher (zum Unterschied zwischen pescher als Auslegungstechnik und pescher als Genre vgl. bes. Stökl Ben Ezra 2016, 229), der dem more ha-tzedeq mitgeteilt wurde, erschließt sich das ganze Geheimnis, d.h. die ‚eigentliche‘ Bedeutung des biblischen Verses/Wortes (vgl. z.B. 1QpHab VII,1–5).

Das Judentum in hellenistischer UmweltDie Hebräische Bibel lag mit der Septuaginta* (LXX) beinahe von Anfang an in Übersetzung vor (Tov 2012, 127–147), sie bildete jedoch nie den heiligen Text des rabbinischen, sondern lediglich den normativen Text des hellenistischen bzw. des griechischsprachigen Judentums, und fand nie Eingang in die Rezeptionsgeschichte der Hebräischen Bibel vermittels und in der rabbinischen Traditionsliteratur. Die Auslegungen der jüdisch-hellenistischen Autoren sind daher von den späteren rabbinischen grundverschieden, wie auch ihr intellektueller Kontext ein ganz anderer war. So musste das mosaische Gesetz gegenüber der zeitgenössischen Philosophie gerechtfertigt und seine Observanz dennoch verteidigt werden. Andererseits passte gerade der jüdische Gottesdienst mit seiner Wortbetontheit und seinen ‚unblutigen Ritualen‘ (Siegert 1996, 142) gut zur pythagoreischen und stoischen Weltanschauung.

Demetrios und AristobulBibelauslegungen, wenngleich noch keine vers-chronologischen Bibelkommentare sensu stricto, finden sich bereits bei den jüdischen Autoren Alexandriens wie Demetrios und Aristobul (2. Jahrhundert v.u.Z.; zum Ganzen ausführlich Siegert 2016, 397–405; Bloch 2011, 149–155; Siegert 1996, 154–162, 189–198). Ihre Quaestiones behandeln einzelne biblische Themen wie auch grundsätzliche theologische Fragen wie beispielsweise die Frage nach der Vernünftigkeit des mosaischen Gesetzes oder seiner Kompatibilität mit der philosophischen Lehre Platons. Ihre Werke sind nur fragmentarisch überliefert (Aristobul beispielsweise in den Schriften des Eusebius). Während Aristobuls Auslegungen immer wieder ein metaphorisches Verständnis der biblischen Anthropomorphismen fordern, gehört Demetrius eher zu den „Historikern“ (Siegert 1996, 190), weil sein Hauptaugenmerk auf der biblischen Geschichte liegt.

Philo von AlexandrienAuf der Basis der hellenistischen Hermeneutik, deren Vertretern vor allem daran gelegen war, durch allegorische Auslegung dem Leser die verborgene Lehre Homers nahezubringen, suchte auch Philo von Alexandrien (ca. 20 v.u.Z.–49 u.Z.), die göttliche Weisheit der Tora auf zweifache Weise – durch Allegorie und Auslegung nach dem Literalsinn – darzulegen (Niehoff 2018; Bloch 2017; Amir/Niehoff 2007; Siegert 1996, 162–189). Beide Zugänge zur Schrift haben nach Philo ihren Wert, weil sie auf zwei verschiedene |21|Lesergruppen abzielen: Der Literalsinn ist auf Breitenwirkung ausgerichtet und gilt all denen, die keine philosophische Ausbildung besitzen. Der in der allegorischen Exegese vermittelte tiefere Schriftsinn spricht die intellektuelle Elite an. Dabei bemühte sich Philo, die Durchführung des Gesetzes, fußend auf dem Literalsinn, nicht zugunsten der allegorischen Exegese zu vernachlässigen. Gottes Wille sollte erfüllt und seine tiefere Weisheit erkannt werden: „Das ganze Gesetz (…) ähnelt einem Lebewesen: der Körper sind die Vorschriften in ihrem einfachen Wortlaut; die Seele ist die unsichtbare Bedeutung, die unter den Worten verborgen liegt“ (De Vita Contemplativa 78; zitiert nach Miletto 2009; vgl. auch Siegert 1996).

Philos Bibel war die griechische Septuaginta, obwohl er natürlich wusste, dass diese (ursprünglich) auf Hebräisch vorlag. Seine Auslegungen sind sehr auf den Pentateuch konzentriert (vgl. aber Bloch 2016). Obwohl er nur selten pagane Autoren namentlich zitiert, scheut er sich nicht, Platon als den Heiligsten auszuzeichnen (katà tòn hierótaton Plátona; Siegert 1996, 165), und man sieht deutlich, dass es ihm auch daran lag, die jüdischen Texte den heidnischen Autoren als ebenbürtig an die Seite zu stellen. Philo verfasste Quaestiones zu den Büchern Genesis und Exodus, einen allegorischen Kommentar zum Buch Genesis sowie eine Reihe Abhandlungen zum mosaischen Gesetz. Zu den bekanntesten gehören z.B. De Vita Mosis, De Decalogo, De Specialibus Legibus (Siegert 1996, 166–168). Für Philo galt der biblische Mose als ‚Theologe‘ (theólogos), weil er die Menschen über die göttliche Natur belehrte (Sheridan 2015, bes. 61–77). Von einigen seiner Schriften ist das griechische Original verloren gegangen.

Der jüdische Historiker Flavius JosephusFlavius Josephus (ca. 37/38–nach 100 u.Z., geboren als Joseph ben Matitjahu ha-Kohen) gilt als einer der wichtigsten Repräsentanten des hellenistischen Judentums, und sein Weg von Jerusalem nach Rom spiegelt sich auch in seinen Schriften wider (zum Ganzen Schalit 2007; Mason/Kraft 1996).

Bellum Judaicum ‚Der jüdische Krieg‘Sein bekanntestes und erstes (ursprünglich zunächst auf Aramäisch verfasstes und später dann im Griechischen überarbeitetes) Werk ist die in Rom verfasste Geschichte des Jüdischen Krieges (Bellum Judaicum), in der er die Seleukidenzeit unter Antiochus IV. Epiphanes sowie den daraus hervorgegangenen Aufstand der Makkabäer* schildert.

Antiquitates Judaicae ‚Jüdische Altertümer‘Josephus’ umfassendstes Werk sind die Jüdische[n] Altertümer (Antiquitates Judaicae), die in Ant. 1–11 die Geschichte des jüdischen Volkes von der Schöpfung bis in die nachexilische Zeit schildern und hierbei die Verarbeitung eines großen biblischen Textumfanges (von Gen 1–Esra/Nehemia/Haggai; Mason/Kraft 1996) erkennen lassen. Dieses Geschichtswerk ist keine Bibelauslegung |22|im strengen Sinne; es zeigt vielmehr, dass es Flavius Josephus vor allem darum zu tun war, den nicht-jüdischen Völkern das Judentum als gleichwertige Kultur des Altertums zu präsentieren (Bloch 2011, bes. 23–30). So wählte er den Titel Antiquitates Judaicae in deutlicher Anlehnung an die Antiquitates Romanae des Dionysios von Halikarnassos (ca. 54 v.u.Z.–nach 7 v.u.Z.; Schalit 2007). Die biblischen Erzählungen werden dabei paraphrasiert, und Josephus passt einzelne Geschichten immer wieder an den hellenistischen Literaturgeschmack an (Bloch 2011, bes. 105–120). Dabei integriert er auch Midraschmaterial*, von dem so manche Überlieferung in den Antiquitates ihre einzige bis heute bekannte Quelle hat (Schalit 2007). Obwohl er sicherlich Hebräisch konnte, zeigen seine Schriften eine deutliche Präferenz für die Septuaginta. Josephus hat offenbar sogar Zugang zu samaritanischen* Überlieferungen gehabt (Schalit 2007).

Weitere kleinere (Spät-)Schriften von Josephus sind seine Autobiographie (Vita ‚Biographie‘) und die apologetische Schrift Contra Apionem ‚Gegen Apion‘ (auch: ‚Über die Ursprünglichkeit des Judentums‘; zum Ganzen Siegert 2011; 2008; Schalit 2007).

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