Читать книгу Seine Frau - Hanne-Vibeke Holst - Страница 10

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Per Vittrup tut, als sei es ein plötzlicher Einfall, dass er nach Marienborg gefahren werden will statt nach Hause in seine Wohnung in der Stockholmsgade. Und er tut so, als würde er bei der Verdi-CD Un ballo in maschera einschlafen, die er den Fahrer gebeten hat, in den CD-Player zu stecken. Und er tut auch, als wolle er die Anrufe auf seinem Handy nicht beantworten, obwohl die Wahrheit ist, dass keine Anrufe eingegangen sind. Erst als er in Marienborg angekommen ist und die Angebote des festen Personals, ihm irgendwie zu Diensten zu sein, abgewehrt hat und endlich allein in dem höhlenartigen Schlafzimmer ist, kann er damit aufhören, zu tun als ob. Erst als er das Jackett, den Schlips, die Schuhe und die Socken fortgeworfen und sich mit einem Mettwurstbrot mit einer dicken Schicht Tafelsenf auf das Bett gesetzt und den ersten Schluck von einem kellerkalten Flaschenbier getrunken hat, kann er sich der Niederlage stellen. Erst hinter den dicken, schützenden Vorhängen sieht er sich die riesigen Dimensionen dieses Verlusts an und tastet die Konturen ab, die sich wie ein Bergmassiv anfühlen. Er hat die Regierungsgewalt verloren. Zum ersten Mal seit 1920 ist die Sozialdemokratie auf den Platz der zweitgrößten Partei im Folketing verwiesen worden. 29,2 Prozent der Stimmen. Daran wird man sich in Verbindung mit ihm erinnern. Wird sich erinnern, dass er versagt hat.

Er tritt einen Schritt von dem Monolithen zurück, will sich von ihm abwenden und stattdessen in Nüchternheit und kühler Analyse Zuflucht suchen. Doch plötzlich spürt er die Schwere der Niederlage wie einen gewaltigen, zentrifugalen Zug in seinem Körper; einen Augenblick lang hat er das Gefühl, als würde alles Blut in seine Beine gepresst, als würden die Eingeweide in seine Brust hochgeschoben, als flatterten die Wangen, und das Herz würde aufhören zu schlagen. Schweiß bricht ihm aus, während die Panik kochend heiß durch seine Blutbahnen schießt. Er lehnt den Kopf gegen das Kopfende. Kneift die Augen zusammen, sodass seine Stirnfalten in einem tief eingegrabenen Muster quer und längs verlaufender Linien hervortreten. Sein Mund öffnet sich, doch der Schrei bleibt aus. Trotzdem beginnt er, kräftig ein- und auszuatmen: eine Hyperventilation, die nur bemerken könnte, wer ihm ganz nahe ist. Und das ist niemand. Denn sie, die bei ihm sein sollte, die Frau, bei der er Trost suchen könnte, steht im Begriff, ihn zu verlassen. Sie ist nicht einmal im Land. Deshalb ist er allein in diesem angsterfüllten Augenblick, in dem er wirklich furchtet zu sterben. Er ballt die Fäuste, hält dagegen. Und nach einigen Sekunden oder vielleicht auch Minuten ist es überstanden. Er öffnet die Augen, räuspert sich und richtet sich im Bett auf. Spült den letzten Rest Mettwurstbrot mit dem Bier hinunter, stellt das Tablett zur Seite und greift nach dem Block, der auf dem Nachttisch liegt. Es gilt, keine Zeit zu verlieren. Einen Schlachtplan zu erstellen. Jetzt müssen sie nach vorn sehen!

Erleichtert glaubt er sich unversehrt, während der Stift über die Seite fliegt, Punkte miteinander verbindet und Namen auflistet. Er ist in Topform, ja, in einer so imponierenden Topform, dass er die unbedeutende Nadel nicht beachtet, die sich in die Membran gebohrt hat und unweigerlich zu einer langsamen, sehr langsamen und fast unmerklichen Punktion führen wird.

Seine Frau

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