Читать книгу Seine Frau - Hanne-Vibeke Holst - Страница 9

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In dieser Nacht ist seine Wut so groß, dass sie heraus muss. Er muss gehen, muss sich zurückziehen. Fort von den anderen, fort von dem jämmerlichen Scheitern dieses Fests, fort von der Burg. Er beherrscht sich noch, während er die Wandelhalle in Christiansborg durchquert und durch die Schleuse in den inneren Schlosshof geht, wo noch immer einige Presseleute herumschwärmen. Er kommt bis auf die Reitbahn, bevor er in Gebrüll ausbricht.

Gert Jacobsen hat gelernt, sich zu beherrschen. Das musste er, um voranzukommen und seinen in jungen Jahren erworbenen Ruf als cholerischer Hitzkopf hinter sich zu lassen, der sich nicht beherrschen kann, sondern sich immer wieder auf Prügeleien einlässt und alles kurz und klein schlägt. Schon in seinen ersten Jahren als Minister gab es Gerüchte über Kaffeetassen, die hitzig von Besprechungstischen gefegt wurden, und nervlich zusammengebrochene Mitarbeiter, die bei den Fachverbänden Klage einreichten oder aus Protest kündigten, weil der Minister bei dem kleinsten Anlass ausflippte. Damals wurde ihm der Spitzname Goebbels verliehen, den Journalisten zu seinem großen Arger auch heute noch manchmal aus alten Archiven holten. Sein Temperament war so beschwerlich, dass er nach einer Episode mit einem aufdringlichen Pressefotografen, dessen Kamera er auf den Boden geworfen hatte, zu einem »kameradschaftlichen Gespräch« mit dem Arbeiter zitiert wurde, dem damaligen sozialdemokratischen Parteivorsitzenden, der ihm geradeheraus mitteilte, dass er nicht viel von seiner außerordentlichen Begabung haben würde, falls er nicht lernte, sich ordentlich aufzuführen. Was unausgesprochen hieß, dass eine vielversprechende politische Karriere in diesem Fall hier enden würde. Das hat er sich zu Herzen genommen und unter Aufbietung seines ganzen Willens und seiner legendären Disziplin seine Veranlagung so bezwungen, dass es nur noch hin und wieder zu einem Fauxpas kam. Und obwohl er sich vollkommen darüber im Klaren ist, dass er vielleicht nicht bei allen gleich beliebt ist, stellt er mit Befriedigung fest, dass er, um es mit einem weiteren abgenutzten Medienklischee auszudrücken, inzwischen als »runder« angesehen wird. Dass diese Auffassung sich langsam im System durchsetzt und bis in die kleinen Wählervereine reicht, freut ihn nicht nur aufrichtig, es ist auch die Voraussetzung dafür, dass er es eines Tages schafft, die völlig abgenutzte graue Eminenzkutte abzulegen und stattdessen in das volkstümliche Landesvaterkostüm zu schlüpfen, das auszufüllen noch immer von einem sozialdemokratischen Vorsitzenden erwartet wird. Mit anderen Worten: Es ist nicht länger undenkbar, dass er entgegen aller Voraussagen eine Mehrzahl der Stimmen für seine Kandidatur erhält. Denn irgendwo wissen sie alle, dass es so hätte sein sollen. Dass er nach dem Arbeiter die Macht hätte übernehmen sollen. Meyer, deren Format sie zu einer seriösen Konkurrentin machte, konnte der Alte schon allein aufgrund ihrer jüdischen Bourgeoisiemanieren nicht ausstehen, und Per gab es damals so gut wie noch nicht. Er war von Anfang an eine Notlösung, ein Deus ex Machina, der hervorgezaubert wurde, als die Skepsis des Arbeiters dem blitzintelligenten Oberarztsohn gegenüber die Bahn des Kometen änderte. So wurde die Troika zu einem Kompromiss, mit dem zu leben sie alle gezwungen waren, jedenfalls solange diese Konstruktion ihnen die Regierungsgewalt sicherte. Verlören sie diese jedoch, könnten die Karten neu gemischt werden. Indem der König den Thron abtrat natürlich.

Und das kann Gert nicht länger ertragen. Dass Per so tut, als wüsste er das nicht. Dass er die Regeln des Spiels nicht befolgt und abdankt, wie er sollte. Dass Per nicht bereits heute Abend seinen treuen Leutnant zu einem Einzelgespräch einberufen und ihn in den Plan eingeweiht hat, ihm die Krone aufs Haupt zu setzen. Um Zwietracht und Spaltung vorzubeugen, um seinem alten Alliierten Respekt zu erweisen und die Herkulesarbeit anzuerkennen, die er loyal geleistet hat. Er hätte es der Partei zuliebe tun müssen! Sich selbst zuliebe, verdammt! Hier bietet sich ihm die Chance, sich ein Denkmal zu errichten, in Bronze! Warum lässt er zu, dass andere es in Lehm erschaffen? Begreift das einer? Ist das zu verstehen? Ja. Das ist es. Er ist der Erste, der das versteht. Doch das macht seine Frustration nicht geringer.

Vanity, vanity, vanity! Gert Jacobsens Schritte hämmern über die Marmorbrücke. Das Licht der Laternen zerstreut den milchweißen Nebeldunst und wirft einen Schimmer nordischer Winterpoesie über den Kanal von Frederiksholm. Doch er hat kein Auge für blasse Pastelltöne. In seinem Kopf sind die Farben Rot und Schwarz; wie immer, wenn es heraufzieht, hat er einen Stock in der Hand und keine Schuhe an den Füßen. Er spürt die Kälte nicht, die bereits durch die dünnen Ledersohlen dringt, und er sieht auch das Taxi nicht, das langsam mit einem grünen Schild an ihm vorbeifährt. Er geht, geht einfach weiter, am Nationalmuseum vorbei zum H.-C.-Andersen-Boulevard, wo er absichtlich nicht zu den Wahlplakaten hochblickt, von denen nicht wenige ihn selbst zeigen, freundlich lächelnd, was ihn ebenso wütend macht wie das gebrauchte Kondom in einem Hotelzimmer am Vortag. Genau das provoziert ihn so. Dass Per, der ihm mit seinem Goldzahn von einem Plakat am Rathausplatz direkt ins Gesicht springt, ihn zwingt, etwas zu tun, das ihm nicht gefällt. Er will nicht das dumme Schwein sein. Er will nicht der Verräter sein, der Totschläger. Er will nicht der Königsmörder sein. Er will nicht. Aber er kann sehr wohl.

Als er vierzig Minuten später in der Villa im C. R. Richsvej eintrifft und den Schlüssel ins Schloss steckt, ist er ruhig. Das bildet er sich jedenfalls ein. Er zählt sogar bis hundert, wie er es sich angewöhnt hat, und betet ein stilles Gebet, dass sie ihn nicht reizt. Dass sie brav ins Bett gegangen ist, hinter sich aufgeräumt und die Schlafzimmertür abgeschlossen hat. Um ihn nicht in Versuchung zu führen.

Denn Gert Jacobsen hat zwar gelernt, sich zu beherrschen. Aber leider, und das tut ihm wirklich leid, nur nach außen hin.

Seine Frau

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