Читать книгу Seine Frau - Hanne-Vibeke Holst - Страница 14
ОглавлениеZwei Männer stehen in einem Fahrstuhl. Sie stehen so dicht beieinander, dass ihre Schultern sich beinahe berühren. Der eine ist größer und kräftiger als der andere, der dafür die Elastizität eines zum Sprung bereiten Raubtiers hat. Dieser Mann ist der jüngere, auch wenn beide reife Männer sind, die nicht nur jeder für sich, sondern auch zusammen viele Kämpfe ausgefochten haben. Dass ihre Schicksale einige Jahrzehnte eng miteinander verbunden waren, so eng, dass der eine die Voraussetzung für den anderen war, hat zu der fehlerhaften Annahme geführt, dass sie Freunde seien. Enge Freunde sogar. Sie haben sich auch verhalten, wie man es von engen Freunden erwartet – sie haben mehrmals am Tag miteinander gesprochen, konnten ihre jeweiligen Gedanken lesen und waren ohne Mühe imstande, diese in Worte zu fassen. Sie haben sich zusammen betrunken, ihre jeweiligen Affären gedeckt, einander einen Schlips oder einen Rasierapparat geborgt und einander mit langen Haaren gesehen. Sie sind zusammen in der Sauna gewesen, haben die gleichen Lieder gesungen und sich leidenschaftlich von denselben politischen Diskussionen fesseln lassen. Sie haben auf denselben Kongressen Seite an Seite gesessen, haben am selben Rednerpult gestanden und gegen dieselben Gegner gewettert. Dennoch sind sie trotz ihrer eingehenden Kenntnis des jeweils anderen nie Freunde gewesen. Sie haben sich nie voreinander eine Blöße gegeben und sie haben einander nie vertraut. Denn sie haben beide gewusst, dass der Unterschied zwischen der Nummer eins und der Nummer zwei ein entscheidender Unterschied ist. Und sie haben beide gewusst, dass der Tag kommen würde, an dem diese Machtbalance zum Vorteil des anderen kippen würde. Der Tag, an dem die Symmetrie in ihrem Kräfteverhältnis schief sein würde. Der Tag, an dem der eine geschwächt und der andere mit daraus folgender mathematischer Logik gestärkt sein würde. In der Praxis würde das der Tag sein, an dem die Nummer eins nicht mehr die notwendige Stärke besitzt, ihren Vorrang zu behaupten.
Und dieser Tag ist jetzt angebrochen. Der eine ist nicht länger Staatsminister, nachdem der Regierungswechsel stattgefunden hat, der andere nicht länger Finanzminister. Natürlich ist der eine formal gesehen noch immer die Nummer eins in der Parteihierarchie, und natürlich hat die Nummer zwei sich noch nicht als Herausforderer geoutet. Doch der Erste kennt das Spiel, und der Zweite weiß, dass der Erste weiß, dass dies die Chance ist, auf die er gewartet hat. Das Entree, das ihn aus den Kulissen hervortreten lässt.
Zwei Männer stehen in einem Fahrstuhl. Sie stehen so nahe beieinander, dass ihre Schultern sich beinahe berühren. So nahe, dass ihre Gerüche sich mischen – Rasierwasser, Schweiß, Wolle. Vielleicht sind sie in diesem Augenblick die beiden Männer, die sich im ganzen Königreich am meisten zu sagen haben. Doch ohne ein Wort steigen sie wie scheidende Liebende aus dem engen Kasten und gehen jeder in seine Richtung.