Читать книгу Seine Frau - Hanne-Vibeke Holst - Страница 21
ОглавлениеMan kann nicht gerade sagen, dass Gert Jacobsen ein häufiger Gast im Dachverband der Gewerkschaft ist. Ganz im Gegenteil ist es traditionell Per Vittrups Aufgabe, den Kontakt zu der Gewerkschaft zu pflegen, die nie ihre alte Skepsis gegenüber dem Chefideologen überwunden hat. Man stand trotz eines wachsenden Respekts für den Intellekt unbedingt aufseiten des Schmiedesohns, sodass es allein aus diesem Grund zwecklos gewesen wäre, zu viele Kräfte darauf zu verschwenden, sich bei den Gewerkschaftsbossen einzuschmeicheln. Ehrlich gesagt, war es auch nicht sein Ding, Fassbier in sich hineinzuschütten und Volkstümlichkeit zu demonstrieren, sodass er das nur zu gern Per überlassen hat, der von allem Volkstümlichen und Gemütlichen nicht genug bekommen kann. Doch auch die Gewerkschaftsspitze, die vor Kurzem ein paar Kratzer abbekommen hat, als einer der Gewerkschaftsbosse als Folge eines peinlichen Bereicherungsskandals Selbstmord begangen hat, hat Sinn für Realpolitik und die Notwendigkeit, Resultate vorzuweisen. Und was hilft es, die Lieder des sozialdemokratischen Dichters Oskar Hansen singen, aber keine Wahl gewinnen zu können? Und auch wenn es niemand ausspricht, meldet sich genau dieser Gedanke, als Gert Jacobsen das Gewerkschaftshaus auf Islands Brygge betritt, bewaffnet mit einem riesigen Strauß roter Rosen, den er als Dank für die Einladung zum Weihnachtsglühwein Lonnie, der Zweiten Gewerkschaftsvorsitzenden, überreicht. Sie ist so überrascht, dass sie den Wangenkuss nicht zurückweist, mit dem er das Überreichen der Blumen garniert. Man hat es hier weder mit Küssen noch mit Rosen, und obwohl sie nichts dafür kann, hat sie das Gefühl, den Mann zu verraten, der zur gleichen Zeit mit einer Nikolausmütze auf dem Kopf auf dem Podium steht und lauthals Rudolph the red nose reindeer grölt. Per Vittrup ist so mit seinem Auftritt beschäftigt, dass er die Unruhe im Eingangsbereich nicht bemerkt, wo der Neueingetroffene mit beträchtlich mehr Herzlichkeit als sonst willkommen geheißen wird. Irgendjemand versorgt ihn sogar mit einem Glas Glühwein, um ihm die Mühe zu ersparen, es selbst oben an der Kantinentheke holen zu müssen.
Gert Jacobsen wehrt lächelnd ab.
»Lässt sich der gegen ein Bierchen eintauschen?«, fragt er, und der in der Hierarchie hoch angesiedelte Gewerkschaftsangestellte nickt beifällig, er ist auch nicht für das süße Zeug, und als die Geschichte später die Runde macht, sind alle sich einig, dass das mit Sicherheit das erste Mal war, dass jemand Gert Jacobsen das Wort Bierchen hat in den Mund nehmen hören.
»Was zum Teufel will er?«, fragt Lonnie mit hochgezogenen Augenbrauen, als die Geschichte bei ihr ankommt. Doch ihr Vorbehalt hat kein Gewicht, denn alle im Haus wissen, dass er sie zum Erröten gebracht hat, als sie die fünfzehn roten Rosen und den Kuss auf die Wange entgegengenommen hat, der ihr allem Anschein nach gut bekommen ist. Und wie kann sie auch auf alten Positionen beharren, wenn sie sich noch lange danach an den Duft seines Aftershaves, Armani, und den leichten Druck auf ihrem Oberarm erinnert, von dem gewisse Frauen weiche Knie bekommen. Außerdem muss sie schließlich den anderen recht geben, dass es nichts bringt, an den Sympathien und Antipathien der Vergangenheit festzuhalten. Es ist immerhin ihre Aufgabe, die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten. Allein deshalb müssen sie auf das richtige Pferd setzen. Das mit den überzeugendsten Gewinnchancen.