Читать книгу Seine Frau - Hanne-Vibeke Holst - Страница 5
ОглавлениеNur der innerste Kreis um den noch amtierenden und bald ehemaligen Berater befindet sich am Wahlabend des 20. November 2001 im Staatsministerium. Nicht mehr als ein paar Leute sind sie, die da ihren Wein trinken und von den Leckereien essen, die zu diesem Anlass bestellt worden sind. Der bald ehemalige Berater, der als Einziger das delikate Fischgericht mit gutem Appetit in sich hineinschlingt, wird diese Mahlzeit später mit Galgenhumor Das letzte Abendmahl nennen. Er wird die Stimmung im Büro des Staatsministers, in dem simultan zwei Fernseher laufen, der eine mit DR 1, der andere mit TV 2, schon von dem Moment an als »surreal« bezeichnen, als die ersten Wahlergebnisse jede Hoffnung zunichtemachen, dass die amtierende Regierung mit Per Vittrup an der Spitze entgegen aller Prognosen im Amt bleibt. Mit seinem Sinn für Details wird er Elizabeth Meyers vibrierende Nasenflügel und Gert Jacobsens flammende rote Haarpracht kommentieren, doch zuallererst wird er kopfschüttelnd über die fast autistische Weigerung des Vorsitzenden der Sozialdemokraten berichten, zu der Katastrophe Stellung zu nehmen, die sich vor ihren Augen entfaltet. Weniger als dreißig Prozent der abgegebenen Stimmen – das ist eine so lähmende Ohrfeige, dass nicht einmal die schlimmsten Pessimisten, zu denen auch der Berater gehört, sich eine so vernichtende Niederlage hätten vorstellen können. Was erwartet man von dem verantwortlichen Vorsitzenden in einer solchen Schicksalsstunde? Vielleicht dass er bittet, allein gelassen zu werden? Dass er einen Revolver aus der Schreibtischschublade oder ein Schwert aus der Scheide zieht, um kurzen Prozess zu machen? Oder dass er eine gut vorbereitete Rede hervorholt, um in den Landstingssaal hinunterzugehen und Verantwortung für die Niederlage zu übernehmen, für die, anders als im Fall eines Wahlsiegs, meist niemand Verantwortung tragen will? Alles andere jedenfalls als das, was der ehemalige Berater mit den Worten ausdrückt: »Wie eine kopflose Henne herumgackern und sich weigern anzuerkennen, dass der Kopf ab ist.«
Als das Wahlergebnis feststeht, ist es Elizabeth Meyer, die sich wieder einmal als der mutigste Mann der Regierung erweist. Nur sie hat das Rückgrat, ihm laut die Frage zu stellen, um die die Gedanken aller kreisen:
»Welche Konsequenzen gedenkst du aus diesem Ergebnis zu ziehen?«
»Wie meinst du das?«, fragt der noch amtierende Staatsminister und ruft seinen westjütischen Kreisvorsitzenden an, um zu hören, wie weit sie mit der Auszählung der persönlichen Stimmen sind. Kommen sie unter die Top Five?
Hier distanzieren sie sich, Meyer und Jacobsen, bemerkt der bald ehemalige Berater und lässt die Asche seiner Zigarette in das abgenagte Fischgerippe fallen. Total. Wie ein Paar, das, sich an den Händen haltend, von einem entgleisenden Zug springt.