Читать книгу Tigerflagge heiß vor! - Hans Bartels - Страница 11
Ein harter Winter.
ОглавлениеDer Kalender zeigt bereits den zweitletzten Tag des Jahres 1939. Bis vor zehn Tagen haben wir – wie alljährlich – zur planmäßigen Überholung des Bootes in der Schichau-Werft in Königsberg gelegen. Jetzt stehen wir in der mittleren Ostsee und haben Kurs auf Kiel. Dort soll Öl und Proviant ergänzt und dann wieder in die Nordsee auf U-Boots-Jagd gegangen werden.
Das „Stehen“ ist fast wörtlich zu nehmen. An ein planmäßiges Fahren ist kaum noch zu denken. Der harte Winter hat aus der weiten Ostsee eine endlose Eiswüste gemacht. Eisschollen, fast so dick wie Klavierkisten, machen unserem Boot, besonders aber unseren Maschinen viel zu schaffen. Obgleich wir gerade aus der Werft kommen, die Maschine also gut intakt ist, und obgleich wir dank unserer neuartigen Antriebsvorrichtung, die weder Schrauben noch Ruder kennt, ganz ausgezeichnete Manövriereigenschaften haben, müssen wir uns ganz gewaltig anstrengen, um durch die endlosen, von der Strömung und starken Winden ständig bewegten Eismassen zu kommen. Haben wir endlich einmal eine eisfreie Stelle erreicht, dann machen uns die starken, wechselnden Winde und der Seegang viel zu schaffen. Gischt und Brecher gehen über das Schiff, um hier sofort an allen Eisenteilen festzufrieren. Nach wenigen Stunden – es ist der 30. Dezember und bisher kälteste Tag dieses Winters – ist vom eigentlichen Boot kaum noch etwas zu erkennen. Alles, was überhaupt an Deck steht, angefangen von der Schanz bis hinauf zur Kommandobrücke, ist mit einer mehrere Dezimeter dicken Eisschicht überzogen. Aus den daumendicken Staks, jenen Stahlleinen, die den Mast an der Reling verankern, sind baumdicke Eispfeiler geworden. Das vordere Geschütz, eine 10,5 cm-Kanone, ist nur noch in seinen ganz groben Umrissen wiederzuerkennen. Und die Kommandobrücke gleicht einem riesigen Eisklotz, aus dem nur die mit einem Beil herausgehauenen und mit Mühe freigehaltenen Löcher für die Fenster heraussehen.
Wer von der Besatzung auch nur eine Minute lang auf der offenen Brücke oder an Deck steht, bekommt sofort einen kräftigen Eisbart im Gesicht, so dass er den Kopf schleunigst wieder unter Deck steckt. Wir kommen uns vor wie die Arktisforscher, die einen verzweifelten Kampf mit den Eismassen führen. Wir müssen aber sowohl Kiel als auch die Deutsche Bucht erreichen und alles daran setzen, um nicht inmitten der Ostsee einzufrieren.
Je dicker aber die Eishaube unseres Bootes wird, umso schwerer neigt es sich bei dem herrschenden Seegang über. Das Schiff läuft Gefahr, bei dem kolossalen Gewicht der immer stärker werdenden Eismassen topplastig zu werden und zu kentern.
„Beidrehen! Alle Mann an Deck zum Eisklopfen!“
Zwei Stunden lang bemühen sich die Jungens, mit allen nur erdenklichen Werkzeugen der Eiskruste Herr zu werden. Mächtige Brocken poltern an Deck. Nach und nach tritt wieder die alte Form des Bootes zu Tage. Kaum aber ist die Arbeit geschafft und das Boot wieder seeklar, als ein starkes Schneetreiben mit sehr schlechter Sicht einsetzt. Es lässt uns von neuem alle unangenehmen Seiten der christlichen Seefahrt fühlen.
Endlich erreichen wir am Silvestermorgen den Kieler Hafen. Ich gönne meinen Leuten eine kurze Ausspannung und eine kleine Feier zum Jahreswechsel. Aber schon der zweite Januar sieht uns wieder draußen in der Deutschen Bucht. Auch hier führt der Winter ein strenges Regiment. Die See aber ist hier zum großen Teil eisfrei. Der starke Salzgehalt des Wassers verhindert eine allzu starke Eisbildung.
Tage- und nächtelang durchkreuzen wir auf allen Kursen die Bucht. Unser U-Boot-Horchgerät leistet uns hierbei vortreffliche Dienste. Mehr als einmal stellen wir durch dasselbe die Nähe eines Gegners fest.
Eines Tages glauben wir fest daran, das Sehrohr eines unter Wasser fahrenden U-Bootes entdeckt zu haben. Die Alarmglocke gellt durch das Schiff. Die Bedienungsmannschaften sausen an ihre Geschütze. Die Wasserbomben werden zum Abwurf klar gemacht. – Und mit enttäuschten Gesichtern müssen wir feststellen, dass das, was wir für ein Sehrohr gehalten haben, ein im Wasser aufrecht schwimmendes Stück Rundholz ist.
Trotzdem lassen wir den Mut nicht sinken. Dass feindliche U-Boote in diesem Gewässer ihr Unwesen treiben, erkennen wir in der Nähe von Helgoland an den schmalen, im dünnen Eise hinterlassenen Sehrohrspuren. Wir laufen daher immer wieder nach Ölergänzung in Wilhelmshaven in die Deutsche Bucht aus, um endlich einmal eines Briten habhaft zu werden.
Wenngleich unsere Hauptaufgabe darin besteht, vorhandene feindliche Unterwasserstreitkräfte zu vernichten, so ist die Tatsache, dass wir bisher noch nicht das Glück hierzu hatten, noch lange kein Misserfolg. Unser bloßes Vorhandensein in der Nordsee, das den Engländern ohne weiteres bekannt wird, bringt solche Unsicherheit in die feindliche U-Boot-Waffe, dass sie keine Ruhe zu planmäßigen Angriffen findet. Sie muss sich daher mit Zufallsbegegnungen mit deutschen Schiffen begnügen, die ihnen aber nur höchst selten vor die Torpedorohre kommen.
Eines Mittags aber scheinen wir, ohne dass wir es ahnen, mit einem Engländer in eine unangenehme Berührung gekommen zu sein.
Etwa 15 Seemeilen nördlich von Helgoland gibt es plötzlich einen starken Stoß. Das ganze Schiff erzittert und bäumt sich förmlich auf. Alles stürzt an Deck und rennt, ohne dass überhaupt Alarm gegeben wird, sogleich auf Gefechtsstation. Ein jeder ist der festen Überzeugung, dass wir ein britisches U-Boot gerammt haben.
Ob es wirklich ein feindliches U-Boot ist, wissen wir nicht genau. Fest steht jedoch, dass wir gegen einen harten, dicht unter der Wasseroberfläche schwimmenden Gegenstand gerannt sind. Unser Vorsteven ist dicht unterhalb der Wasserlinie stark beschädigt, so dass die vordere Abteilung vollläuft. Selbstverständlich versuchen wir sofort, das unter Wasser treibende Hindernis zu ergründen. Leider finden wir nicht ausreichende Anhaltspunkte. Die Meinung, es sei ein britisches Unterseeboot gewesen, muss daher nur eine Vermutung bleiben.
Dixi, der in der Brückennock steht, bemerkt dazu in seiner ruhigen, ausgeglichenen Art: „Ob U-Boote oder nicht, sagen wir zunächst doch nur: es war ein schwimmender ‚Stein’.“
Für uns erhebt sich jetzt die Frage, ob wir in die Werft gehen und damit unsere U-Boots-Jagd für längere Zeit abbrechen müssen, oder ob wir noch eine Zeitlang auf See bleiben können.
Die genaue Untersuchung des Lecks durch den Flottillentaucher, den wir zufällig an Bord haben, ergibt, dass der Vorsteven dicht unterhalb der Wasserlinie ein ziemlich großes Loch aufweist, dass das Schiff trotzdem noch seeklar ist.
Also bleiben wir draußen. Ein Mann aber wird von dieser Stunde an in dem vorderen bis zur Höhe der Wasserlinie vollgelaufenen Raum aus Sicherheitsgründen aufgestellt. Er muss ständig den Wasserstand beobachten. Sobald dieser bei hoher Fahrt des Bootes über die siebente Stufe des nach unten führenden Niedergangs steigt, gibt er ein Zeichen. Sogleich müssen wir mit der Fahrt des Schiffes heruntergehen, da sonst der Nachbarraum ebenfalls vollzulaufen droht. Naturgemäß macht uns das Leck, sobald wir in Treibeis kommen, große Sorge. Jede Eisscholle, die gegen den Steven stößt, erweitert es. Aber noch immer denken wir nicht daran, die Jagd abzubrechen. Solange keine unmittelbare Gefahr für das Schiff besteht, wird gefahren.
Wir bringen noch ganz andere Dinge fertig. Als wir am 31. Januar wieder einmal im Helgoländer Hafen zur Ölübernahme liegen, bemühen sich zwei Schlepper vergebens, ein auf Fernfahrt gehendes deutsches Unterseeboot unter Führung des bewährten Kapitänleutnant Herbert Schulze aus dem Packeis des Hafens zu ziehen. In seiner Not ruft uns der Kommandant des U-Bootes um Beistand an. Wir laufen sofort zur Unterstützung aus und bahnen trotz unseres Lecks dem deutschen U-Boot einen Weg durch die schier undurchdringlichen Eismassen. Das Unternehmen gelingt. Kapitänleutnant Schulze kann mit seinem Boot auslaufen und — wie wir später erfahren — dem Engländer auf dieser Fahrt erhebliche Tonnageverluste zufügen.
Als wir uns dann aber unseren Vorsteven besehen, steigen uns doch die Haare zu Berge. Nun wird es doch höchste Zeit, Kurs auf Hamburg zu nehmen, um bei Stülcken in Behandlung zu gehen.
Also machen wir am nächsten Tage Dampf auf und schippern vorsichtig nach der Elbmündung. Kaum haben wir nach Einbruch der Dunkelheit die Cuxhavener Reede erreicht, fordert uns ein Morsespruch der dortigen Signalstelle auf, unser Boot, besser abzublenden.
Diese Ermahnung wirkt auf mich, der ich höllisch aufpasse, dass wir immer gut abgeblendet fahren, wie der Stich einer Wespe. Ich schicke sogleich meinen Wachoffizier durch das ganze Boot, um den Übeltäter auf frischer Tat zu ertappen. Der W. O. kommt aber nach einigen Minuten mit Toni, unserer Seemännischen Nr. 1, dem Mann, der für die Ordnung auf dem Schiff verantwortlich ist, unverrichteter Dinge zurück. Beide melden mir, dass das Boot vorschriftsmäßig abgeblendet sei.
„Dann möchte ich wissen, wo die Signalstelle bei uns Licht sieht! - Fragen Sie mal an!“
Prompt kommt die Antwort: „Am Bug!“
Jetzt eile ich selbst nach vorn, gefolgt von dem I. W. O. und Toni. Er versichert mir noch einmal, dass er erst vor zehn Minuten alle Luks und Bulleys auf richtige Abblendung hin überprüft habe. Den Mann trifft tatsächlich keine Schuld.
Als ich mir nämlich das Vorschiff näher besehe, entdecke ich, dass aus der dreiviertel vollgelaufenen, aber noch erleuchteten vorderen Abteilung ein Lichtschein durch das inzwischen auch über der Wasserlinie sichtbar gewordene Leck auf das Wasser fällt.
Ich habe das unbestimmte Gefühl, dass wir hierdurch etwas komisch wirken. Unser Leck gleicht jetzt dem Rachen eines Menschenhais. Es fehlen nur noch die weißen Zähne.
Trotzdem bringen wir es abermals fertig, zwei auf der Unterelbe im Eis festsitzende Fischdampfer loszubrechen und ihnen bis Hamburg eine Fahrrinne zu bahnen.
Als wir dann endlich bei der Stülcken-Werft festmachen, schlägt der Chef-Ingenieur der Werft beim Anblick unseres Vorstevens die Hände über dem Kopf zusammen. „Und damit sind Sie ohne Eisbrecherhilfe die Elbe heraufgekommen?“
„Im Gegenteil! Wir haben sogar selbst noch Eisbrecher gespielt und sind noch über einen Monat lang mit dem Loch unseren gestellten Aufgaben entsprechend in der Nordsee herumgekreuzt!“
Da wendet sich der Mann beleidigt von uns ab. Wahrscheinlich glaubt er, wir wollen ihn zum Besten halten. Mir aber hat die Erfahrung gezeigt, dass die vorbildliche deutsche Schiffbaukonstruktion unübertrefflich ist.