Читать книгу Tigerflagge heiß vor! - Hans Bartels - Страница 8
Ein „Riesenerfolg“.
ОглавлениеDamit wird ein Teil der vor der Westerplatte liegenden Einheiten der Kriegsmarine für andere Aufgaben frei. „M 1“ erhält daher den Befehl, in der westlichen Ostsee und in der Deutschen Bucht auf U-Boots-Jagd zu gehen. Laut einer durch F. T. verbreiteten Warnung sollen dort englische U-Boote ihr Unwesen treiben, die durch den Belt eingedrungen sind.
Wir sind also fortan auf uns selbst gestellt. Endlich eine Aufgabe, die unseren geheimen Wünschen näherkommt. Alle Befehle, die uns nicht zu einem mechanischen Dienst zwingen, sondern uns Handlungsfreiheit und eigene Entschlusskraft lassen, sind uns willkommen. Wir wollen endlich Krieg und keine Spazierfahrten.
Der F. d. M. ist längst wieder von Bord gegangen. Ohne Zögern können wir daher die Leinen losmachen und mit westlichem Kurs in See gehen. Der Tommy soll sich, wenn er wirklich in die Ostsee eingedrungen ist, was ich gar nicht einmal glauben kann, nicht lange seines Erfolges freuen. Wir werden ihm die Suppe gehörig versalzen. Zusammen mit meinem Stabsobersteuermann entwerfe ich sogleich die Angriffspläne für die nächsten Tage. Wir werden die westliche Ostsee systematisch nach den Briten abkämmen. Es soll mit dem Kuckuck zugehen, wenn wir dabei nicht wenigstens einen dieser Burschen schnappen.
Was nützen dem Kommandanten aber die schönsten Ideen, wenn ihm sein I. W. O. in die Quere funkt: „Herr Kaleu, wir müssen erst Proviant und Brennstoff ergänzen!“
Vor dieser Notwendigkeit ergebe ich mich. „Also Kurs Kiel, wenn es unbedingt sein muss!“
Bis zum Nachmittag verläuft der Marsch in aller Ungestörtheit. Ich finde sogar Zeit, mich wieder einmal an meinen Schreibtisch zu setzen und Unterschriften zu leisten. Die Mappen haben sich inzwischen dort zu Bergen angetürmt. – Dieser elende Papierkrieg! – Ich möchte einmal den Tag erleben, an dem kein einziger Bogen Papier gebraucht wird. An meinem Bedarf können die Papierfabrikanten verhungern. Außerdem liegt mir Scherry seit Tagen in den Ohren: „Herr Kaleu, das Kriegstagebuch und der letzte Gefechtsbericht müssen noch geschrieben werden!“ Eine volle Stunde lang halte ich es hinter dem Federhalter aus. Dann aber packt mich eine Art Verzweiflung. Ich drücke dem Schreiber den ganzen Papierkram in die Arme und steige aufatmend auf die Brücke. Hier gibt es frische Luft und kein Papier!
Es scheint, als sei ich zur rechten Minute auf die Brücke gekommen. Mein IV. W. O., Fähnrich F., kurz „Dixi“ genannt, steht schon seit einiger Zeit hinter seinem Glase und blickt angestrengt in die Ferne. Er hat etwas entdeckt, ohne es richtig erkennen zu können. „Was Neues, Dixi?“ frage ich. „Jawohl, Herr Kaleu! — Das heißt, ich kann nicht klug daraus werden. – Anscheinend ist es ein Sehrohr.“
Ich klemme mir das Glas vor die Augen und blicke nun gleichfalls in die Richtung.
Tatsächlich glitzert dort ein kleiner, metallischer Gegenstand in der Nachmittagssonne. Es bewegt sich unmittelbar über der Wasseroberfläche.
„Alarm!“ – Im Nu sind alle Gefechtsstationen besetzt. Das Sehrohr nicht aus den Augen lassend, jagen wir mit Höchstfahrt darauf los. Also scheint an der Meldung, dass sich englische U-Boote in der westlichen Ostsee befinden, doch etwas Wahres zu sein.
Eigenartigerweise liegt der Tommy unter Wasser still. Sein Sehrohr wandert jedenfalls kaum sichtbar aus. – Wenige Minuten später sind wir so dicht heran, dass wir auch mit bloßem Auge die Bescherung erkennen können. Aus dem einen Sehrohr sind mittlerweile mehrere Dutzend geworden, die sich beim Näherkommen als im Wasser treibende leere Konservendosen entpuppen. „Verdammte Schweinerei!“ brumme ich, als man mir eine dieser Dosen bringt. „Marineverpflegungsamt Kiel“ steht darauf, und darunter: „Leipziger Allerlei“. — „Das ist wirklich allerlei! – Da hat doch bestimmt wieder so ein dämlicher Koch seine sämtlichen leeren Dosen über Bord gekippt. Möchte nur wissen, von welchem Pott sie stammen!“
„Ich vermute, von der „Gneisenau“, Herr Kaleu!“ erwidert der W. O. „Die „Gneisenau“ hat vor etwa 35 Minuten unseren Kurs in nordöstlicher Richtung gekreuzt.“
„Der Teufel soll diese Nachlässigkeit holen. Wahrscheinlich ist die Meldung von der Sichtung englischer U-Boote in der Ostsee auch nur durch diese elenden Dinger entstanden. – Das soll uns kein zweites Mal passieren. – Geben Sie folgenden Funkspruch auf: „An Alle! – Stehe zwischen neunzig treibenden Konservendosen. Bin bei der Versenkung. Unterschrift ,M. 1’.“
Die Zigarre, die das Küchenpersonal der „Gneisenau“ bekommt, wird wahrscheinlich ihren Zweck erfüllen. Die treibenden Blechdosen aber sind in der nächsten halben Stunde das Ziel unserer M. G.-Schützen. Vier bis fünf Schuss auf jede Dose, und blubbernd sinkt sie unter. Eine prachtvolle Übung.
Nachdem auch das letzte Leipziger-Allerlei-Gehäuse abgebuddelt ist, kann „M 1“ seine Fahrt nach Kiel fortsetzen.
Als wir dort einlaufen, kommt von einem im Hafen liegenden Zerstörer ein Winkspruch: „Kommandant an Kommandant! – Gratuliere!“
Ich schüttele verständnislos den Kopf. Ich habe weder Geburtstag, noch hat sich irgendein anderes freudiges Ereignis bei mir eingestellt. Ich lasse daher zurückfragen: Wozu? Die Antwort lautet: „Zur Versenkung der neunzig Sachen!“ – Jetzt hat der Gratulant die Lacher auf seiner Seite. Dass dieser „Riesenerfolg“ am Abend in der Offiziersmesse des „M 1“ bei einem gutgemixten Cocktail entsprechend gefeiert wird, ist bei der Marine Ehrensache.