Читать книгу Tigerflagge heiß vor! - Hans Bartels - Страница 12
Es tut sich was.
ОглавлениеWir schreiben Anfang April 1940. Gestern sind wir aus dem Dock der Stülcken-Werft gekommen. Unser Boot hat einen neuen Vorsteven erhalten. In den nächsten Tagen beginnen die ersten Probefahrten. Dann soll es wieder hinausgehen.
Wir haben die faulen Wochen satt. Hamburg ist zwar eine sehr schöne Stadt, und auch die Hamburger Deerns können sich getrost sehen lassen.
Ein Seemann fühlt sich aber doch am wohlsten, wenn er die Planken seines Schiffes unter den Füßen hat und sich wieder eine frische Brise um die Nase wehen lassen kann.
Außerdem sind wir ja nicht nur Seeleute, sondern auch Soldaten. Und schließlich führen wir Krieg gegen England. Der Brite aber darf an keinem Tage des Jahres zur Ruhe kommen. Er wird so lange gehetzt und gejagt, bis ihm eines Tages die Luft ausgeht und er auf die Fortsetzung des „reizenden“ Krieges mit den „German Raiders“ zwangsläufig verzichtet.
Überdies hat sich die außenpolitische Lage in den letzten Wochen wieder einmal merklich zugespitzt. Irgendetwas ist wieder „im Busch“.
Niemand weiß so recht, was los ist. Dass wir uns aber wieder einmal auf Überraschungen gefasst machen können, ist für uns Seeoffiziere an verschiedenen Dingen zu erkennen.
Ich habe jedenfalls meine Ohren überall, so dass ich schon sehr bald die Gewissheit erlange, dass bereits in den nächsten Tagen ein neuer Schlag gegen England geführt wird. –
Und wir liegen mit unserem „M 1“ noch immer in Hamburg auf der Werft! Wir haben ja nicht nur unser Leck dichten, sondern bei dieser Gelegenheit auch noch einige andere, zwar nicht dringende, aber doch recht bald notwendig gewordene Reparaturen mit ausführen lassen. Wir sind also alles andere als ein seeklares Schiff.
Unsere Befürchtungen, dass wir aus diesem Grunde glatt den Anschluss verpassen können, sind daher nicht aus der Luft gegriffen. Wie aber können wir erfahren, wann der große Einsatz erfolgt? Solche Dinge werden gerade in den letzten Tagen vor dem Start besonders streng geheim gehalten. Auf der Kriegsmarine-Dienststelle in Hamburg ist kein Sterbenswörtchen zu erfahren. Es nützt uns alle ehrliche Absicht und alle Beteuerungen, dass wir nur im Interesse des Dienstes einen bestimmten Wink erhalten wollen, nichts. Die Herren auf der Kriegsmarine-Dienststelle bleiben stumm wie die Karpfen.
Der einzige Ort, wo wir vielleicht durch die Blume etwas erfahren können, ist Cuxhaven. Dort kenne ich verschiedene Kameraden, die an verantwortlichen Stellen sitzen. Sie werden uns sicherlich den Gefallen erweisen und uns einen Wink geben, wann „M 1“ dort gefechtsklar erscheinen muss.
Ich selbst darf natürlich nicht dorthin fahren, denn dann riecht man sogleich den Braten. Der geeignetste Mann hierfür ist Scherry, mein I. W. O.
„Passen Sie auf, Scherry“, flüsterte ich ihm unter vier Augen zu. „Sie fahren jetzt nach Cuxhaven. Dort strecken Sie – natürlich ganz vorsichtig – Ihre Fühler aus. Sobald Sie etwas Positives erfahren haben, schicken Sie mir ein Telegramm. Aber nicht über die Dienstleitung, sondern durch die Post. Der Telegrammbote muss es mir unmittelbar hier an Bord bringen!“
Scherry nickt. Er hat verstanden. Das ist das Prachtvolle an ihm. Ein, zwei kurze Andeutungen – und mein Scherry ist im Bilde.
Scherry gondelt also mit der Bahn nach Cuxhaven. Zwei Tage höre und sehe ich nichts von ihm. Das ist mir sehr angenehm. An Bord gibt es noch reichlich zu tun. Die erste Probefahrt hat noch einige Mängel ergeben, so dass die Handwerker noch einmal an Bord kommen. Solange ich also nichts von Scherry höre, kann ich in Ruhe arbeiten. Er meldet sich erst, wenn es etwas zu melden gibt. –
Der nächste Tag ist ein Sonnabend. – Ob wir den Sonntag noch in Hamburg verleben können? – Mir ist für diesen Sonntag eine nette Einladung zu einer kleinen Abendgesellschaft auf den Schreibtisch geflattert, der zu folgen ich gar nicht abgeneigt bin. Einmal tut eine kleine Abwechslung im angestrengten Einerlei des Dienstes keinen Schaden. Zweitens versteht der Gastgeber einen guten Cocktail zu mixen. Und drittens sind einige gemütliche Stunden dort am Kamin keineswegs zu verachten.
Aber auch meine Jungens schmieden, soweit sie wachfrei sind, Pläne für ein ausgiebiges Wochenende. Einer kommt mir sogar mit der Idee, einen kleinen Rutsch zu seiner angeblichen Schwester nach Berlin machen zu wollen. Den guten Mann schiebe ich allerdings kopfschüttelnd zur Tür hinaus. „Nee, mein Freund, den Zahn lassen Sie sich man ziehen! Hier in Hamburg gibt es auch ganz nette Schwestern!“
Es scheint fast so, als soll das Wochenende ungetrübt bleiben. Es scheint aber nur so. Ein großer Teil meiner Männer ist bereits an Land. Ich überlege auch gerade, ob ich nicht einmal ins Theater oder, was noch besser wäre, in ein Konzert des Philharmonischen Orchesters gehen soll. Da reißt mich der Läufer Deck aus meinem Nachdenken und reicht mir ein soeben von einem Postboten gebrachtes Telegramm.
Hoppla! – Jetzt gibt‘s etwas Neues zu hören! – Und richtig! Der Beamte auf dem Telegraphenamt hat wahrscheinlich über den vermeintlichen Quatsch, den mir Scherry telegraphiert, verwundert den Kopf geschüttelt. Ich aber habe sofort ein klares Bild. Scherry drahtet: „Onkel Fritz noch nicht gesprochen – Onkel Ottchen ist da – Tante Remer einverstanden – Weiteres folgt. – Scherry.“ Sinngemäß übersetzt heißt das: Den Führer der Minensuchboote noch nicht gesprochen. Der Befehlshaber der Sicherung des Nordseebereiches ist da.
Der Admiralstabsoffizier des F. d. M. ist verständigt worden und einverstanden. Weiteres folgt laufend. Unterschrift: Scherry.
Das ist das Signal, unser M-Boot schnellstens seeklar zu machen. Wenn das weitere, das Scherry ankündigt, kommt, dann ist es höchste Zeit, auszulaufen.
Zum Leidwesen meiner Leute muss ich sofort den Landurlaub stoppen und alles, was bereits verschwunden ist, zurückholen lassen. Alle Hände werden dringend gebraucht.
Mit diesem Loch im Vorsteven ist das Minensuchboot
noch wochenlang auf U-Boot-Jagd gegangen
Oberst von Beeren,
der Kommandeur der um Stavanger gelandeten Infanterie-Truppen.
Diese Maßnahme ist keineswegs überflüssig. Noch am Spätabend erhalte ich aus Cuxhaven den Befehl: „Auslaufen, Cuxhaven kommen!“ Jetzt heißt es erst recht: alle Mann zupacken. In der Frühe des nächsten Morgen wollen wir endgültig die Leinen loswerfen und elbabwärts gehen. Von meiner Besatzung ahnt niemand etwas von dem bevorstehenden Großeinsatz der deutschen Kriegsmarine. Die Männer machen sich ihre eigenen Gedanken über meine scheinbar sprunghaften Entschlussänderungen. Die ganze Nacht über wird ohne Pause an dem Klar-Schiff-Zustand des Bootes gearbeitet. Eine unheimliche Arbeit ist zu bewältigen. In normalen Zeiten würde sie mehrere Tage beanspruchen. Aber der Wille meines ausgezeichneten Leitenden Ingenieurs, mir die Maschinenanlage um 6 Uhr früh betriebsklar zu melden, schafft das schier Unglaubliche. Und so können wir am Sonntag, dem 7. April 1940, um 7 Uhr früh die Leinen loswerfen und mit Kurs Cuxhaven den Hamburger Hafen verlassen.