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Um die Rotwildbestände zahlenmäßig in Grenzen zu halten, reichte im geschlossenen Waldgebiet die herkömmliche Einzeljagd nicht aus. Deshalb war es sinnvoll, schwaches oder krankes Wild in den Wintergattern einzufangen und zu töten, ohne die anderen Tiere zu beunruhigen. Minister Eisenmann stimmte dieser Regelung im Dezember 1971 zu. Der Landesjagdverband versuchte mit allen Mitteln, dieses „unwaidmännische Treiben“ zu verhindern. Jagdverbandspräsident Seubert drohte, die Wintergatter aufzuschneiden. Ein hoher Funktionär des Jagdverbandes drohte mir einmal vor Zeugen, er könne nicht mehr für meine persönliche Sicherheit garantieren. In der Rechtsverordnung über den Nationalpark Bayerischer Wald vom 21. Juli 1992 wurde dann 20 Jahre später festgelegt, dass der Rotwildbestand in den Wintergattern reguliert werden kann. Ein vom Landesjagdverband beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gestellter Normenkontrollantrag, die Nationalparkverordnung für nichtig zu erklären, wurde vom Verwaltungsgerichtshof am 5. März 1996 abgelehnt.

Weil der Rotwildbestand in den Wintergattern reguliert wurde, konnte das Rotwild vom Frühjahr bis zum Herbst im Nationalpark ungestört leben. Die ständige Beunruhigung durch die monatelange Trophäenjagd war damit beendet. Schälschäden waren nicht mehr zu beobachten und große Teile der natürlichen Verjüngung – nicht nur der Weißtanne, sondern auch von Bergahorn und anderen Laubbaumarten – wuchsen wieder unverbissen auf. Auch Blumen wie etwa Weidenröschen und Hasenlattich siedelten sich wieder außerhalb von Zäunen an.

Dazu trug auch ganz entscheidend mit bei, dass die Rehwildfütterung im Nationalpark eingestellt wurde und den Rehen im Winter nichts anderes übrig blieb, als sich ihr Futter außerhalb des Nationalparks zu suchen. Die öffentliche Auseinandersetzung über den Umgang mit Rot- und Rehwild im Nationalpark und das Bekanntwerden der unvorstellbaren Schäden im gesamten Staatswald in Bayern führten unter Minister Eisenmann dazu, dass erstmals in einem Waldgesetz in Deutschland der Satz „Wald vor Wild“ festgeschrieben wurde.

Junger Wald kann wieder wachsen

Nach einigen Jahren war das Rot- und Rehwildproblem gelöst. Der Rotwildbestand wurde bis 1975 im Nationalpark auf 120 Tiere im Winter reduziert. Die Rehe wanderten in der schneereichen Jahreszeit ins Vorfeld. Dass wir unsere Pläne umsetzen konnten, war der Entscheidung von Minister Eisenmann zu verdanken, der 1971 die Zuständigkeit für die Tiere des Parks an das Nationalparkamt übertragen hatte.

1974 kam in der Regierung von Niederbayern in Landshut die Idee auf, mit der Abruzzen-Region in Italien ein Partnerschaftsabkommen zu schließen. Der Nationalpark Bayerischer Wald und der Abruzzen-Nationalpark sollten darin eine wichtige Rolle spielen. Mit einem Festakt wurde 1975 im Bayerischen Wald eine Patenschaft zwischen beiden Nationalparken beschlossen. 1974/75 wurden 19 Stück Rotwild als Patengeschenk in den Abruzzen-Nationalpark transportiert. Sie fühlten sich in der Bergregion, in der es noch Wölfe und Bären gab, offensichtlich sehr wohl. Die Hirsche haben sich rasch vermehrt, so dass heute dort wieder einige hundert Stück Rotwild leben. Gemeinsam mit Horst Stern habe ich 1978 in den Abruzzen an einem sonnigen Nachmittag eine eindrucksvolle Hirschbrunft erlebt. Da dort seit Jahrzehnten nicht mehr gejagt wurde, sind die Großtierarten nicht mehr so scheu und lassen sich auch tagsüber beobachten. Sogar ein Bär zeigte sich eines Abends.

Allerdings kam der Transport von Bayerwaldhirschen nach Italien nicht bei allen gut an. Im Magazin „Stern“ wurde darüber berichtet, dass eine Vertreterin des „Kampfbundes gegen den Missbrauch der Tiere“ den für die Ausbürgerung zuständigen Ulrich Wotschikowsky beschimpfte, weil er es wage, „deutsche Hirsche italienischen Wölfen zum Fraß vorzuwerfen.“

Was ich damals noch nicht ahnte und was wir im Nationalpark Bayerischer Wald im Laufe der Jahre lernten, war die Tatsache, dass das Rot- und Rehwildproblem nur für Wirtschaftsforste gilt. In Naturwäldern, in denen Windwürfe und tote Bäume liegen bleiben, können Rehe und Hirsche nicht überall hinsteigen. So können genügend junge Bäume einzeln oder gruppenweise ohne Verbiss aufwachsen. Es entsteht auf diese Weise ein strukturreicher, ungleichaltriger, wilder Wald von viel größerer Stabilität als die Wirtschaftsforste. Naturwälder im Schutzwaldbereich der Hochgebirge dort, wo noch Wirtschaftsforste vorhanden sind, wieder entstehen zu lassen, wäre wohl eine bessere und billigere Lösung als die heute dort übliche „Schutzwaldpflege“, vorausgesetzt, die viel zu hohen Wildbestände würden zunächst aber einmal angemessen reduziert.

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