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Die Jäger und der König des Waldes

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Seit jeher galt der Rothirsch als König der deutschen Wälder. Kaum ein anderes Tier ist hierzulande in Märchen und Legenden derart präsent. Hirsche zählen zum Hochwild. Sie zu jagen, die sogenannte „hohe Jagd“ auszuüben, war im Mittelalter das Vorrecht der Landesherren. In Bannforsten und bewaldeten königlichen Jagdreservaten frönten sie dieser Leidenschaft. Der von Adligen und Landesherren erhobene Anspruch auf den Wald als ein aristokratisches Revier endete zunächst mit der Revolution von 1848. Im Dritten Reich aber erlebte diese Geisteshaltung unter dem Reichsjägermeister Hermann Göring eine erstaunliche Renaissance. Die Vorstellung einer Jagd nach Gutsherrenart wurde von Göring sogar in das Reichsjagdgesetz übernommen. Wesentliche Inhalte aus jener Zeit haben unverändert in das heute gültige Bundesjagdgesetz Eingang gefunden.

Manche Tierarten sind, weil der Adel sie bevorzugte, in den vergangenen 200 Jahren gewissermaßen zu jagdlichen Lustobjekten avanciert. Das heißt: Sie wurden einseitig gehegt, damit eine möglichst große Zahl der Trophäen wegen „waidgerecht“ erlegt werden konnte. Die Unterscheidung zwischen Nutzwild wie Hirsch, Reh oder Gams und den sogenannten Schädlingen wie Bär, Wolf, Luchs, großen Greifvögeln oder Kolkraben führte zur Ausrottung letzterer, während sich erstere so stark vermehrten, dass sie zu einem Problem für die deutschen Wälder wurden.

Die jagdlichen Interessen hatten in der Auseinandersetzung um den Nationalpark große Bedeutung. Zumal die Anliegen von Jagd und Naturschutz im Wald extrem unterschiedlich sind. Die Staatsforstverwaltung war einerseits nicht Willens, auch nur ein Prozent der Fläche des Bayerischen Staatswaldes für den ersten deutschen Nationalpark freizugeben. Andererseits wurden bis in die 80er Jahre ein bis zwei Prozent eben dieser wertvollen Wälder für die Umwandlung in Wildäsungsflächen reserviert.

Das Rotwildvorkommen im Bayerischen Wald war bis Ende des Zweiten Weltkrieges unbedeutend geblieben. Weshalb, darüber wird in Kapitel 3 ausführlich berichtet. Das änderte sich, als Anfang der 50er Jahre Oberforstmeister Dr. Götz von Bülow die Leitung des Staatsforstamtes St. Oswald übernahm – Herzstück des späteren Nationalparks. Für von Bülow war der Verlust der Rotwildvorkommen in Ostpreußen durch den verloren gegangenen Krieg ein nationales Unglück. Er wob eine mystische Aura um die Bayerwald-Hirsche und stilisierte das Grenzgebirge zu einem bedeutenden Rotwild-Lebensraum hoch. Entsprechend hochtrabend beschreibt er seine Arbeit als Forstamtsleiter: „Die Betreuung unseres Edelwildes erfordert Mühe, Arbeit und Opferbereitschaft. Sie erscheint aber als verpflichtende kulturelle Aufgabe! Lohn ist oft allein der so seltene Anblick des Königs dieser Wälder, der jedem Besucher zum unvergesslichen Erlebnis wird. (…) Lohn ist aber auch nicht zuletzt die Genugtuung, den Wald gesund und die Biozönose im Gleichgewicht erhalten zu haben. (…) Wem ist mehr Leben in solcher Vielfalt in die Hand gegeben als dem Forstmann und wem ist hier mehr Sorge und Verantwortung aufgebürdet als ihm? Wer ist aber auch – um mit Adalbert Stifter zu sprechen – in der weiten Stille dieser Wälder der göttlichen Offenbarung teilhaftiger als er?

Diese neue Heilslehre wurde von der örtlichen Jägerschaft unterschiedlich aufgenommen. Die bäuerlichen Jäger lehnten die Verherrlichung des Rotwildes ab. Die Freibauern im Lamer Winkel lebten von den Einnahmen aus ihren tannenreichen Plenterwäldern und hielten das Gebiet nordwestlich des Arbermassivs frei von Rotwild. Im Winter 1952, als die hohe Schneelage im Staatswald dem Wild entlang des Grenzkammes schwer zu schaffen machte, wurden etliche Hirsche, die in tiefer gelegene Gebiete abwanderten, erlegt. Für Götz von Bülow war das „wahllose Zusammenschießen im Flachland“ eine Katastrophe. Er sah sich und seine mitjagenden Herrenjäger als „Besitzer und Beschützer“ der Hirsche. Um sie während des Winters von den Flinten der Bauern fern zu halten, ließ er mit einem enormen Aufwand an Steuergeldern Futterkrippen im Staatswald anlegen. Er sorgte dafür, so beschreibt es Georg Sperber, „dass keines der ein Jahrzehnt und länger herangehegten Edeltiere von einem angrenzenden Bauernjäger unstandesgemäß umgelegt wird.“

Wer sich bemühte, Reh- und Rotwild zahlenmäßig im Zaum zu halten, wie die bäuerliche Jägerschaft, aber auch wie Kämpfer für eine naturgemäße Waldwirtschaft, etwa der Leiter des Staatsforstamtes Zwiesel-Ost, Konrad Klotz, sah sich dem Vorwurf der „Jagdfeindlichkeit“ ausgesetzt. Götz von Bülows Jagdideologie fand dagegen an höherer Stelle der forstlichen Hierarchie Zustimmung. Der Wald um Lusen und Rachel war zu einer der ersten Adressen in Trophäenjägerkreisen geworden.

Als es ernst wurde mit dem Nationalpark im Bayerischen Wald, setzte sich die Bayerische Staatsforstverwaltung immer heftiger zur Wehr. Sie behauptete zum Beispiel, die im Nationalpark zu erwartenden großen Mengen an Rot- und Rehwild würden den Wald auf längere Sicht vernichten. Sie befürchtete Schälschäden größten Ausmaßes und in der Folge Borkenkäferkalamitäten, die Vernichtung des Unterwuchses bis hin zur völligen Vernichtung des schönen Landschaftsbildes. Gegen diese Vorstellungen argumentierte Bernhard Grzimek in einem Schreiben an Ministerpräsident Dr. Alfons Goppel: „Offensichtlich werden hier Verhältnisse, wie sie in engen eingegatterten Wildgehegen mit zu hohem Wildbestand herrschen, mit einem Nationalpark verwechselt (…). Es kann selbstverständlich keineswegs die Absicht sein, das Rotwild zu überhegen und dadurch das Aufkommen des Waldes in Frage zu stellen. (…) Der Herr Forstpräsident betonte immer wieder, wenn die Besucher überhaupt Rotwild sehen können sollten, müssten gewaltige Mengen dieses Wildes vorhanden sein. Diese Aussage widerspricht jedoch völlig den Erfahrungen, die wir allerorten in Nationalparken gemacht haben. Große Scheu der derzeitigen Wildbestände ist die Folge der jahrhundertelangen Bejagung (…) Es kann keineswegs Ziel eines Nationalparks sein, einseitig die Wildbestände in biologisch ungesunder Weise zu vermehren auf Kosten der Vegetation, also primär auch des Waldes. Es soll sich ja ein naturgemäßes Gleichgewicht einstellen, das einen Ausschnitt der deutschen Landschaft (…) zeigt, (…) in der die Eingriffe des wirtschaftenden Menschen auf das unbedingt Notwendige verringert werden.“

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