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1 |VISIONEN UND VISIONÄRE WIE DIE GESCHICHTE IHREN ANFANG NIMMT

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Manchmal werden Wünsche und Träume wahr. Oft ist es schwer, neue Ideen durchzusetzen. Mitunter scheint es unmöglich. Und doch – es lohnt sich, für seine Träume zu kämpfen – umso mehr, wenn man vom Sinn einer Sache überzeugt ist. Immer wieder gibt es Menschen – Visionäre –, die etwas weiter sehen als andere und für machbar halten, was andere für unerreichbar erklären. Nicht selten werden solche Visionäre verlacht oder sogar angefeindet. Dennoch halten sie fest an ihrem Ziel und setzen sich mit ihrer ganzen Kraft dafür ein. Sie verkraften Rückschläge und stecken Niederlagen weg. Sie stehen immer wieder auf. Oftmals schaffen solche Visionäre etwas von bleibendem Wert. Sie schreiben ein Stück Geschichte. Unzählige solche Geschichten gibt es, und eine davon nahm ihren Anfang vor über einhundert Jahren. Es ist die Geschichte des ersten deutschen Nationalparks, des Nationalparks Bayerischer Wald.

Am 30. März 1898 – das Deutsche Reich wurde vom machtbesessenen Kaiser Wilhelm II. regiert – bewies ein preußischer Parlamentarier beeindruckenden Weitblick. In einer aufsehenerregenden Rede vor dem preußischen Abgeordnetenhaus forderte er den gezielten Schutz der bedrohten Natur. Wilhelm Wetekamp hieß der Mann, der in Zeiten massiver Aufrüstung und drohender Kriegsgefahr das Parlament aufforderte, „…gewisse Gebiete unseres Vaterlandes zu reservieren, (…) in „Staatsparks“ umzuwandeln, (…) Gebiete, deren Hauptcharakteristik ist, dass sie unantastbar sind.“

Damit wurde der Reformpädagoge Wetekamp einer der Begründer der deutschen Naturschutzbewegung. Ihm ist die Einrichtung der ersten deutschen Naturschutzbehörde, der „Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege“ in Preußen 1906 zu verdanken. Nur drei Jahre später, am 23. Oktober 1909, wurde in München der „Verein Naturschutzparke e.V.“ gegründet und 1911 der Bayerische Wald erstmals als geeignetes Gebiet für ein großes Naturreservat benannt. Bedingt durch die Abgeschiedenheit und klimatische Rauheit der Gegend, hatte eine intensive Forstwirtschaft im Bayerischen Wald viel später als anderswo in unserem Land begonnen, weshalb ursprüngliche Wälder noch großflächig erhalten waren.

Im selben Jahr – 1911 – rief Dr. Emmerich in einem Beitrag der „Niederbayerischen Monatshefte“ zum Widerstand gegen den materialistischen Zeitgeist auf. Er demonstrierte eine Einsicht, die uns auch heute gut zu Gesicht stünde: „Wir haben ein Recht zu leben, aber wir haben nicht das Recht, unser Vaterland zu einer Wüste zu machen, unseren Kindern und Enkeln ein verödetes, schematisiertes, von Paragraphen und Nützlichkeitstheorien, die so schnell vergehen, wie sie gekommen sind, regiertes Land zu hinterlassen. Zur wirksamen Abhilfe gibt es nur ein Mittel: Die Schaffung großer Naturschutzparke, in denen die gesamte, in diesen Gebieten einheimische Tier- und Pflanzenwelt ein dauerndes Asyl erhält“.

Doch wie so oft, folgte darauf zunächst nichts. Jahre gingen ins Land. Die Menschen kämpften während des Ersten Weltkrieges und in den Folgejahren der Weltwirtschaftskrise ums eigene Überleben. Der Schutz der Natur musste warten. Zwar meldete sich 1928 ein weiterer Visionär zu Wort, der Waldbaureferent der Bayerischen Staatsforstverwaltung, Geheimrat Dr. Karl Rebel. In blumigen Worten beschrieb er seine Vision bei einem Vortrag vor dem Bund Naturschutz. Er erträumte sich einen Nationalpark nach internationalem Vorbild, „wo keine Axt hallt, keine Sense klingt, kein Schuss fällt, kein Vieh weidet“. Doch wie die Axt im Wald, so verhallte auch dieser Ruf.

Den Preußischen Ministerpräsidenten und engen Vertrauten von Adolf Hitler, Hermann Göring, trieben andere, egoistische Visionen an, als er nach Hitlers Machtergreifung 1933 die Zuständigkeit für Forstwesen, Jagd und Naturschutz an sich riss und in einem „Reichsforstamt“ organisierte. Die von ihm in der Folge geschaffenen Reichsnaturschutzgebiete in der Schorfheide, auf dem Darß, in der Rominter Heide und im Elchwald ähnelten zwar von der Größe her späteren Nationalparken, in Wahrheit dienten sie Göring und seinen Freunden aber ausschließlich als feudale Jagdgebiete, betreut durch die Oberste Jagdbehörde. Es war die Fortsetzung eines jahrhundertealten Umgangs mit den tierischen Bewohnern unserer Landschaften. Darauf will ich an anderer Stelle noch ausführlicher eingehen. Vorerst genügt es festzuhalten: Naturschutz – Fehlanzeige! Ab 1941 wurden die Gebiete zu Staatsjagdrevieren erklärt, welche direkt Görings „Reichsjagdamt“ unterstellt waren. Doch während für Göring der Naturschutz als Deckmäntelchen für eigene Interessen diente, gab es auch zu dieser Zeit ernste Absichten zur Errichtung von Nationalparken.

Der Naturschutzbeauftragte der Regierung von Niederbayern, Oberstudienrat Eichhorn, legte 1937 dem Berliner Reichsforstamt einen Kartenentwurf vor, in dem der bayerischböhmische Grenzgebirgskamm als Nationalpark vorgeschlagen wurde. Heute unvorstellbare 100.000 Hektar sollte das Reservat umfassen!

Am 8. Dezember 1938 stand die Einrichtung eines Nationalparks noch einmal auf der Tagesordnung, und zwar bei einer Dienstbesprechung der Reichsstelle für Naturschutz unter dem Vorsitz von deren Leiter, Dr. Lutz Heck. Der Wille zur Errichtung eines ersten Nationalparks war vorhanden. Doch der Zweite Weltkrieg machte derartige Pläne zunichte. Der Plan für einen Nationalpark im bayerischböhmischen Grenzgebiet ging zusammen mit dem Dritten Reich unter. Die Idee blieb jedoch bestehen.

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