Читать книгу »Echte Kunst ist eigensinnig!« - Hans-Georg Klemm - Страница 11
Elternhaus
ОглавлениеSchon vor seiner Geburt haben die Eltern den Lebensweg vorherbestimmt: durch die Wahl seines Vornamens. Er ist gewissermaßen Programm. So heißt der Großvater, ein überaus erfolgreicher Mann – Hofkapellmeister ist er. Der mittelmäßige Vater hat es verglichen mit ihm zu nichts gebracht. Der ältere Sohn (der nicht zufällig ebenfalls Ludwig hieß) wird es nicht mehr können. Er ist schon kurz nach der Geburt gestorben. Nun soll also der Neugeborene in die übergroßen Fußstapfen des Großvaters treten. Und das ist durchaus auch der Wunsch des kleinen Jungen, denn er bewundert, verehrt und liebt den Opa, der zugleich auch sein Pate ist, über alles. Als angesehener Bürger Bonns betreibt er einen blühenden Weinhandel und macht auch als Geldverleiher gute Geschäfte. Aber jähzornig soll er gewesen sein, der alte Herr. Es heißt, dass er sich einst im Zorn von seinem eigenen Vater getrennt und seine Geburtsstadt Antwerpen zugunsten Bonns verlassen hat. Mag sein, dass er neben dem Namenszusatz „van“ auch diesen vermeintlichen Jähzorn seinem Enkel Ludwig schon mit in die Wiege gelegt hat – und seine Hochempfindlichkeit …
Dieser kann die Liebe des Großvaters nicht lange genießen; ein Schlaganfall setzt dessen Leben ausgerechnet an Heiligabend ein Ende. Da ist Ludwig erst drei Jahre alt; der erste große Schicksalsschlag, der erste große Verlust. Weitere werden bald folgen.
Der Opa ist sein Held, und er wird es bleiben. Ein Porträt des Großvaters hat später seinen Ehrenplatz in Beethovens Wohnung. Bis zu seinem Tod begleitet es ihn – so, wie die sicher wenigen Erinnerungen an einen Mann, von dem er noch als Erwachsener in den höchsten Tönen schwärmt. Ihm eifert er nach, mit ihm identifiziert er sich ein Leben lang. Das geht sogar so weit, dass Beethoven als 53-Jähriger ernsthaft glaubt, wie der Großvater wohl an einem Schlaganfall sterben zu müssen. Selbst beim Tod ist der alte Herr das große Vorbild – der eigene Vater ist es nämlich nie gewesen.
Johann van Beethoven ist, als sein Sohn Ludwig geboren wird, immerhin Mitglied der Bonner Hofkapelle. Seine Leistungen als Tenor und Violinist können so schlecht nicht gewesen sein, denn sein – wenn auch mäßiges – Gehalt ist in den Jahren zuvor stets gestiegen. Auch als Gesangs- und Klavierlehrer sind seine Dienste gefragt. Er gilt als kinderlieber, lebenslustiger und geselliger Mann, der jedoch dem Alkohol alles andere als abgeneigt ist. In dem Punkt ist Johann ganz der Sohn seiner Mutter, einer Trinkerin, die wegen ihrer Trunksucht schließlich sogar in ein klösterliches Hospiz gebracht wird und ihre letzten Lebensjahre dort verbringen muss. Oft sitzt der Vater Ludwigs einfach nur am Fenster und starrt stumpf in den Regen hinaus. Es sei denn, sein Trinkkumpan, Fischhändler Klein, räkelt sich auf der anderen Straßenseite auch gerade zufällig im Fenster. Dann streckt Johann ihm die Zunge raus und macht lustige Gesichter.
Denn zu Scherzen ist er immer aufgelegt. Ansonsten hält ihn zu Hause nicht viel. Mehr und mehr treibt er sich einfach nur herum, verbringt ganze Nächte im Gasthaus oder läuft mit Freunden ziellos durch die Straßen Bonns, um spät nachts oder früh morgens erst heimzukehren. So entkommt er schließlich am besten seiner Familie, vor allem der Ehefrau, die ihm sowieso nur die Stimmung verdirbt und Vorwürfe macht – vor allem wegen der Trinkerei und der damit verbundenen Schulden. Beides wird nicht weniger. Im Gegenteil: Ungeniert läuft Johann durch die Straßen, trinkt den Wein direkt aus der Flasche und setzt sich ganz offen dem Spott der Nachbarschaft aus. Als neuer Inhaber der väterlichen Weinhandlung muss ihm um den Nachschub nie bange sein. Er ist zu dieser Zeit jedoch ganz sicher nicht der Einzige, der dem Rebensaft in besonderem Maße zuspricht. Er steht als Alltagsgetränk jedem zur Verfügung, die Anbaugebiete an Rhein und Mosel sind schließlich nah. Für die Menschen ist er das sauberste Getränk – viel sauberer jedenfalls als Wasser und nicht so stark alkoholisch wie Schnaps. Die Grenze zwischen täglichem, „normalem“ Genuss und der Alkoholsucht ist fließend. Johann hat sie längst deutlich überschritten und fügt sich bald in die Rolle des versoffenen Taugenichts. Nicht einmal bei der allerbesten Gelegenheit kann er als Mann und Held glänzen: Beim „Eisgang“ ist es seine Frau, nicht Johann, die Mut beweist, andere Menschen beruhigt und mit der eigenen Flucht so lange wartet, bis diese gerettet worden sind. Nein: Johann van Beethoven ist gewiss kein großer Mann. Dafür soll nun aber der Sohn dem Vater Ehre machen. Am besten freiwillig. Zur Not – wenn es denn gar nicht anders geht – auch mit Gewalt.