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1958: Episoden auf MS „Lichtenfels“

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MS „Lichtenfels“ auf Reede vor Khorramshahr im Frühjahr 1958


Mein Nachbar und früherer Kollege während meiner Seefahrtzeit und später an der Seefahrtschule, Manfred Henkel, dem ich von den Kindheitserlebnissen in Onkel Didis Fahrschule erzähle, meint sicher zu Recht, hierin den Grund für mein zweimaliges Versagen bei meinen Fahrprüfungen zu erkennen. Manfred treffe ich zum ersten Mal am 24. Januar 1958, als ich auf das MS „Lichtenfels“ von meiner Reederei beordert werde, auf dem ich schon 1955/56 drei Reisen gemacht habe. Ich steige am frühen Abend, mit der Bahn von Bremen kommend, im Hamburger Hafen am Liegeplatz der „Lichtenfels“ aus dem Taxi und mit schwerem Gepäck die Gangway hoch, stelle erst einmal meine Koffer an Deck ab und suche im Quartier der Nautiker und des Funkers nach jemanden, der gerade das Kommando an Bord hat. Auf dem unteren Flur kommt mir der Wachhabende entgegen: Manfred Henkel – auf unserer ersten Reise zusammen sind wir noch nicht per „Du“ – ist der Zweite Offizier des Schiffes und hat schon eine Reise auf der „Lichtenfels“ hinter sich. Nachdem ich meine Koffer die Treppen hinauf geschleppt und sie in meiner Kammer untergebracht habe, machen wir uns mit einander bekannt. Mit ihm ist seine Verlobte Dorothea, die bis Rotterdam an Bord bleiben will. Sie freut sich, als ich ihr erzähle, daß auch Gertrud, meine Frau, in Bremen zusteigen und ebenfalls bis Rotterdam mitfahren wird. Wir können noch nicht wissen, daß es zwischen uns zu einer lebenslangen Freundschaft, Zusammenarbeit und Nachbarschaft kommen wird. Unsere bevorstehende Reise geht zum Persischen Golf, wo wir in Damman/Saudi Arabien, Kuweit, Khorramshahr/Iran und Basrah/Irak Ladung löschen, in Basrah Gerste und in Khorramshahr Chrom- und Manganerz für Rotterdam und Antwerpen laden werden.

In Damman liegen wir mehrere Tage auf Reede. Manfred Henkel kommt zu mir und erzählt, der Elektriker mache immer Tiefseebeleuchtungsversuche mit einem Sonnenbrenner, die 500 Watt Glühlampe zerplatze jedoch und verlösche dadurch jedesmal, nachdem er sie noch nicht einmal zwei Meter ins Wasser gelassen häbe. Manfred schlägt mir vor, den Versuch nur mit einer nackten 500 Watt Glühlampe zu machen, da sie wegen ihrer Kugelform große Außendrücke vertragen könne. Man dürfe sie dann eben nur einschalten, wenn sie schon im Wasser eingetaucht ist und das Glas dadurch kühl bleibe. Er brauche nur eine Idee für den Anschluß an unser Bordstromnetz. Es wird dann ganz einfach: Ich löte eine lange einadrige Leitung an den Mittelanschluß der Glühlampe, den ich gut gegen eindringendes Seewasser isoliere, und an den Bajonettanschluß der Lampe über eine kurze Leitung ein schweres Metallblech, das mit dem Wasser Kontakt haben soll. Dann lassen wir die Lampe mit der langen Leitung in das Wasser, bis sie ganz eingetaucht ist und schließen die Leitung dann an den Pluspol des Bordnetzes (Das Bordnetz führt Gleichstrom, der Minuspol liegt als Masse am Schiffskörper, sodaß das Seewasser als zweite Leitung dienen kann). Die Lampe brennt, und wir können sie so weit eintauchen lassen, daß wir nur noch ihren diffusen Schein sehen. Der Sinn dieser Operation: Sofort schwimmen unzählige Fische verschiedener Größe heran und es gibt ein gewaltiges Gewimmel unter ihnen. Nach etwa einer Viertelstunde verlöscht allerdings die Lampe und wir müssen die Wasserkontaktelektrode erneuern, da der Draht inzwischen galvanisch zerfressen und die Elektrode abgefallen ist. Das wiederholt sich noch ein oder zwei Mal, aber wir können den Versuch als geglückt betrachten, worüber sich auch Kapitän Mendel freut, der unsere Experimente von seinem Deck aus beobachtet. Der Elektriker gibt schließlich seine Versuche auf, nachdem ihm mehrere Male die Glühlampe wegen eindringenden Wassers in den Sonnenbrenner geplatzt ist. Es war nicht möglich, das Glas des Sonnenbrenners so gut abzudichten, daß kein Wasser in das Innere der Lampe bei Wasserdruck in nur zwei Meter Tiefe eindringen konnte.

Kapitän Mendel hat mich bei meinem früheren Dienst auf MS „Lichtenfels“ dazu angeregt, Fotoarbeiten an Bord zu machen, da ich ja während der Liegezeiten des Schiffes genügend Zeit dazu hätte. Während eines Urlaubs kaufe ich bei Foto Carl Wöltje in der Heiligengeiststraße in Oldenburg die notwendige Ausrüstung, wozu ein Vergrößerungsgerät, die notwendigen Chemikalien, Fotopapiere, ein Filmentwicklertank, Entwickler- und Fixierbadschalen für die Fotopapiere und noch einiges mehr gehören. Firma Wöltje ist kulant und gewährt mir für meinen umfangreichen Einkauf einen großzügigen Rabatt. Während der nächsten vier Reisen auf MS „Hohenfels“ mache ich meine Erfahrungen mit der Technik des Entwickelns verschiedener Filmsorten und -größen sowie der Herstellung der Bilder, und ich kann – wieder auf MS „Lichtenfels“ – Kapitän Mendel davon erzählen. Er ist sehr interessiert und bittet mich, ihm meine gelungenen Aufnahmen zu zeigen, damit er mir abkaufen kann, was ihm gefällt. Er selbst verläßt das Schiff in ausländischen Häfen nur, wenn er von Agenten oder Vertretern der Reedeei eingeladen wird, und auch das nur ungern. Seine ihm angetraute Frau ist aber noch sehr jung und sie haben zsammen einen kleinen Buben, sodaß er seiner Frau auch Geschichten von seinen Fahrten in seinen Briefen an sie erzählen möchte. Die nötige Fantasie hat er wohl dazu. Er erzählt mir, daß er zu jeder Bildserie, die ich ihm gebe, einen ganzen Roman dazu fantasiert, und sein junges Eheweib – unser Offiziersanwärter nennt sie immer „Das Vronerl“, weil sie während ihrer kurzen Aufenthalte an Bord in Bremen und Hamburg stets Trachtenkleider trägt – wird das wohl alles glauben.

Wenn wir irgendwo in einem Hafen liegen, spricht der Kapitän auch mal gern dem „Bommerlunder“ zu. Wir haben während seiner letzten Reise an Bord der „Lichtenfels“ einen indischen Fahrgast, Mr. Hyder, der ein eifriger Fotofan ist. Eines Morgens im Hafen von Colombo (Ceylon, jetzt Sri Lanka), in dem wir zwei Wochen liegen wegen eines Streiks der Hafenarbeiter, bringt mir der „Alte“ (der Kapitän, wie er von den Besatzungsmitgliedern gewöhnlich genannt wird) einen Film von Mr. Hyder und bittet mich, den zu entwickeln. Mittags fragt er mich, ob ich den Film schon entwickelt habe. Ich zeige ihm das Negativ, und er meint: „Ja wenn man solch einen guten Fotoapparat wie Mr. Hyder hat, kann man selbstverständlich so tolle Aufnahmen machen. Ich hatte früher nur eine einfache Agfa-Box. Die machte natürlich nicht so schöne Bilder.“ Am Abend ruft er mich wieder: „Haben Sie schon den Film von Mr. Hyder entwickelt?“ „Hab´ ich Ihnen doch schon heute Mittag gezeigt, Herr Kaptän“, sage ich. Er schüttelt den Kopf: „Nö“. „Dann zeige ich Ihnen den“, ohne weiter mit ihm zu diskutieren, weil ich merke, daß er schon etwas tiefer ins Glas geguckt hat. Der Kapitän besieht sich etwas angestrengt den Film und meint nach einer Weile: „Ich habe früher mit meiner einfachen Agfa-Box viel schönere Aufnahmen gemacht als diese hier“, sagt es, gibt mir den Film zurück und geht ohne ein weiteres Wort in seine Kammer.

Beim Maschinenpersonal ist ein Reiniger, der von seinen Kollegen Tito genannt wird. Ich lerne ihn näher kennen, weil er aus der Marketenderware, die vom 1. Steward verwaltet wird, eine billige Kleinkamera erwirbt. Er bittet mich, seine Filme zu entwickeln, wenn er sie voll geknipst hat, was ich ihm verspreche. Ein paar Tage später, als ich zum Abendessen nach achtern gehe, wo mit den anderen Messen auch die Offiziersmesse untergebracht ist, sehe ich auf dem Gang unter mir „Tito“ in Diskussion mit einigen seiner Kollegen. Er hat den Film aus einer Patrone ausgezogen und seine Kollegen lachen und sagen ihm: „Jetzt hast du aber den ganzen Film kaputt gemacht.“ „Ihr habt doch keine Ahnung“, verteidigt sich „Tito“. Ich steige die Treppe hinunter zu der Gruppe und erkläre „Tito“, daß sein Film jetzt tatsächlich verdorben sei, weil er ihn ungeschützt dem Tageslicht ausgesetzt habe. Daß es überhaupt so weit kommen konnte, lag an den Frozzeleien von „Titos“ Kollegen, die ihm vorher weismachen wollten, daß sein Film ja sowieso nichts geworden sei und ihn damit zu der Fehlhandlung provozierten. Als er später zu mir kommt, erzähle ich ihm etwas über die Technik der Fotografie und er macht in der folgenden Zeit ein paar recht lebendige Fotos mit seiner billigen Kamera. Er ist stolz, als ich ihn um seine Erlaubnis bitte, mir auch Vergrößerungen von einigen seiner Fotos machen zu dürfen. „Tito“ hat jugoslawische Eltern, die sich nach dem Krieg zusammen mit ihm nach Westdeutschland abgesetzt haben. Daher sein Spitzname. Damit sind Seeleute – vor allem der unteren Chargen – schnell bei der Hand, wenn sich bei einem der Kollegen besondere Merkmale herausstellen.


Das Zeugnis als Abschiedsgeschenk für den Autor vom scheidenden 1. Offizier

Stete Fahrt, unstete Fahrt

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