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Fortsetzung: Kindheit

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Mein ältester Bruder, Ludwig, hat nach seinem Schulabschluß bei Onkel Didi die Lehre als Autoschlosser absolviert und auch den Führerschein gemacht. Noch als Lehrling wird er in der Linnemannschen Autovermietung eingesetzt, erhält aber keinen extra Lohn dafür. Nach der Lehre arbeitet er noch eine Zeitlang dort, fährt auch auf einer Rundreise eine etwas ältere Farmbesitzerin aus Südafrika und ihre Tochter mit dem Auto durch Deutschland, wobei die Tochter mehr Augen für Ludwig als für die Sehenswürdigkeiten übrig hat. Die Mutter scheint die Avancen der Tochter zu unterstützen. Aber es wird nichts daraus. Mein Bruder ist zu anspruchsvoll, die Tochter ihm wohl nicht hübsch genug.

Der Werkstatthof der Firma „Gebr. Linnemann, Kraftfahrzeuge“, ist gegenüber dem Werkstattgebäude von einem Drahtzaun begrenzt. Dahinter hat ein Glasermeister seine Werkstatt, der hin und wieder von den Onkeln Aufträge zur Neuverglasung eines KFZ erhält. Sicherheitsglas für Kraftfahrzeuge gibt es in den 20er Jahren anscheinend noch nicht oder ist noch nicht vorgeschrieben. Der Glasermeister und seine Frau haben zwei Töchter, die ältere ist im Haushalt, mit der jüngeren spiele ich manchmal. Sie ist etwas älter als ich. Ich habe sie als ziemlich großes, schlaksiges und recht lautes Mädchen in Erinnerung.

Der hintere Teil des Werkhofes Linnemanns ist auf beiden Seiten von Garagenbauten eingegrenzt. In dem unmittelbar an der Werkstatt befindlichen – einer alten Remise – stehen vor allem zwei firmeneigene Fahrzeuge für die Autovermietung und einige, zum Teil aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg stammende, die wohl schrottreif sind. Der gegenüber liegende Garagenbau aus Wellblech ist in Einzelplätze unterteilt und an Kunden vermietet. Ich schleiche mich manchmal verbotenerweise in die Remise und steige in eines der alten Autos, wo ich dann an den Armaturen herumhantiere. Gewöhnlich werden die alten Wagen mit einer Kurbel, die vorn unterhalb des mit reinem Leitungswasser gefüllten Motorkühlers auf das Ende der Motorwelle gesteckt oder geschraubt, durch Drehen der Kurbel angelassen. Hierzu muß schon einige Kraft aufgewendet werden. Es gibt Mitte der zwanziger Jahre aber auch schon Peronenkraftwagen mit Anlasser, die von einem großen Akkumulator gespeist werden. Ich bekomme einen gehörigen Schreck, als ich auf den Anlassknopf eines Hansa-Lloyd drücke und der Wagen daraufhin einen Satz nach vorn macht. Ich weiß natürlich noch nicht, daß der erste Gang eingelegt ist, um die Handbremse zu schonen.

Bei Linnemanns wird mein Interesse für Elektrotechnik geweckt, allerdings ohne daß sich die Onkel dabei engagieren, zunächst nur für Glühbirnen, Taschenlampen und Glühlampen für Autoscheinwerfer, sogenannte „Biluxlampen“, weil sie zwei Glühfäden für Scheinwerfer- und Abblendlicht besitzen. Bald gilt meine Aufmerksamkeit aber auch Scheibenwischermotoren und Winkerantrieben. Alles, was durch elektrischen Strom betrieben wird, ob als Licht, Bewegung oder Wärme, erregt mein Interesse. Ich weiß bald, daß zwischen elektrischem Strom und Magnetismus eine Beziehung besteht, erkenne den Mechanismus der elektrischen Klingel und etwas später auch den eines Elektromotors. Die physikalischen Grundlagen sind mir natürlich noch fremd.

Im kleinen Fahrerraum vor Onkel Didis Wohn- und Schlafzimmer liegt auf dem Tisch eine runde Stabtaschenlampe für die Fahrer im Nachtdienst. Eines Tages nehme ich die Lampe an mich, was ich damit anstellen will, weiß ich nicht. Jedenfalls wird abends nach Einbruch der Dämmerung – es ist Winter – die Lampe gesucht; der Verdacht fällt schnell auf mich und nach einigem Leugnen hole ich sie dann aus dem Versteck. Ich habe sie einfach unter die Fahrercouch geschoben in der unbegreiflichen Hoffnung, daß sie nicht weiter vermisst werden würde. Onkel August macht aus der Sache eine Affäre. Er zieht mir den Hosenboden stramm und gibt mir einige hinten drauf. Dann sagt er, er wolle mich jetzt nach Hause bringen und es den Eltern erzählen. Unterwegs auf der Cäcilienbrücke entlässt er mich jedoch und meint, er wolle meine Untat ein anderes Mal den Eltern erzählen. Ein paar Tage später kommt er mit seiner Frau, und ich habe natürlich große Angst, daß ich nun doch noch etwas abbekommen werde. Ich schleiche mich auf die Treppe gegenüber dem Kontor und höre nun, wie Onkel August tatsächlich meine Untat berichtet und Tante Carola ihren Kommentar dazu gibt. Seltsamerweise folgt darauf nichts. Die Eltern scheinen das ganze nicht wichtig zu nehmen.

Vater ist ohnehin kein großer Freund von Onkel August und sympathisiert mehr mit Onkel Didi. Beide sind Mitglieder im „Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten“, der national-konservativen, kaisertreuen und militanten Vereinigung ehemaliger Frontsoldaten des ersten Weltkrieges. Onkel August ist Mitglied in der Demokratischen Partei, vor allem wegen ihrer liberalen Wirtschaftspolitik, die sie während ihrer Mitbeteiligung an der Regierung in den zwanziger Jahren durchzusetzen versucht.

Stete Fahrt, unstete Fahrt

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