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1.3 Bibel und Gilgamesch-Epos: meinen sie dieselbe Flut?
ОглавлениеDiese Frage mag provozierend klingen, da doch allenthalben als selbstverständlich angenommen wird, dass in beiden Quellen die Sintflut überliefert sei. Viele Autoren erwecken den Eindruck, als gehe der biblische Sintflutbericht im Buche Genesis einfach auf die babylonische Darstellung im Gilgamesch-Epos zurück. Aber so einfach verhält es sich doch nicht, wenn man die Texte genauer vergleicht. Nach dem ersten Eindruck müsste man die beiden Berichte durchaus verschiedenen Fluttypen zurechnen.
Beide Überlieferungen können sich auf archäologische Befunde berufen. dass in Mesopotamien kurz vor 3.000 v. Chr. eine große Überflutung stattfand, wurde bereits erwähnt. Aber auch die biblische Version fand eine Stütze durch Funde auf dem Berge Ararat, wo ein Schiff mit den Größenmaßen der Arche Noah entdeckt wurde. Holzproben davon ergaben nach der C14-Methode ebenfalls ein Alter von mindestens 5.000 Jahren. Soweit scheint Übereinstimmung zu bestehen.
Wenn man die Überlieferungen auf ihren realen Gehalt prüfen will, muss man aber auch einige kritische Fragen stellen. Wie soll denn eigentlich die Arche auf den hohen Berg gekommen sein, wenn das Wasser nachweislich nur das Tiefland überflutete? Das bleibt doch völlig rätselhaft. über dieses Problem ist noch zu wenig nachgedacht worden.
Ist die auf dem Ararat gefundene Arche überhaupt jemals auf dem Wasser geschwommen? Die biblische Überlieferung unterstellt dies einfach immer, aber es ist schlechthin unmöglich. Geht man unbefangen an dieses Problem heran, bleibt eigentlich nur die Möglichkeit, dass die Arche dort erbaut wurde, wo sie aufgefunden wurde. Sie ist dann niemals in den Fluten der Sintflut geschwommen, weil die Wasser nicht so hoch stiegen, wie von den Erbauern befürchtet. Es ist gut vorstellbar, dass Prophezeiungen über eine bevorstehende Weltflut damals diejenigen, die an Offenbarungen glaubten, veranlasst haben, beizeiten Zuflucht im Gebirge zu suchen. Auch heute gibt es ja Sekten, die bei ihren verfehlten Weltuntergangsterminen von Zeit zu Zeit auf die Berge steigen.
Außerdem stellt sich die Frage, ob es womöglich mehrere Empfänger der Sintflut-Offenbarung gab.
Die Parallele zwischen der biblischen Erzählung von Noah und andererseits der Überlieferung im Gilgamesch-Epos, wo der Erbauer der Arche Utnapischtim heißt, ist allgemein bekannt. Aber ist damit erwiesen, dass beide identisch sind? Im Buche Genesis findet man ja nicht einfach eine Abschrift aus dem Gilgamesch-Epos, sondern weitgehend eigenständige Partien. Darum sollte man die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass mehrere Empfänger an verschiedenen, vielleicht sogar weit voneinander entfernten Orten die Offenbarung über eine bevorstehende Weltflut und die Anweisung, ein Rettungsschiff zu bauen, vernommen hatten und nichts voneinander wussten.
Wir haben es also mit zwei Überlieferungen zu tun, die zwar beide demselben vorderasiatischen Kulturkreis entstammen, aber dennoch nicht vom gleichen Kulturbewusstsein getragen sind. Schon in vorsintflutlicher Zeit - also im vierten Jahrtausend v. Chr. oder noch früher - gab es in Vorderasien offenbar wesentliche religiöse und gesellschaftliche Unterschiede zwischen den Bewohnern des Tieflandes und denen des Berglandes. Das Gilgamesch-Epos bezieht sich eindeutig auf die Tieflandkultur in Mesopotamien.
Weniger klar erscheint bisher, dass die biblischen Patriarchen vor der Flut im Gegensatz dazu Berglandbewohner waren. Die Funde und Inschriften am Ararat weisen aber in diese Richtung.
Der religiöse Unterschied kommt im Gegensatz Monotheismus - Polytheismus zum Ausdruck. Vom alten Sumer wissen wir aus den archäologischen Funden, dass dort in jeder Stadt eine andere Gottheit verehrt wurde. Der Monotheismus hatte im Tiefland keine Stätte. Aber das bedeutet nicht, dass er damals überhaupt gefehlt hätte. Die kargen Lebensverhältnisse in den Bergländern waren und sind - man denke an den Himalaja - für die Verinnerlichung und vertiefte geistig-religiöse Erlebnisfähigkeit günstiger.
Es gibt auch eine Quelle, die über den fundamentalen Unterschied zwischen Bergland- und Tieflandbewohnern ein klares Zeugnis abgelegt. Das geht aus der „Haushaltung Gottes“3 hervor, einer Lorber-Schrift, die sich eingehend mit den Lebensverhältnissen vor der Sintflut befasst. Danach herrschte seinerzeit ein bedeutungsvoller Gegensatz zwischen den Kindern „der Höhe“ und den Bewohnern „der Tiefe“. Erstere (die Nachkommen des Seth) lebten auf Bergeshöhen in äußerlich ärmlichen Umständen, sie bewahrten aber den wahren Glauben an den einen Gott. Letztere (als die Nachkommen Kains angesehen) bevölkerten zahlreich das Tiefland, bauten Städte und Paläste und beteten vielerlei Götter an.
Als nun die Zeit des großen Umbruchs für den Planeten Erde nahte, wurden - so sehe ich es - die Prophezeiungen über eine bevorstehende Flutkatastrophe in vielen Weltgegenden in irgendeiner Form den Wissenden zuteil. Sowohl die Bergbewohner als auch die Tieflandbewohner Vorderasiens erhielten die Offenbarung von der Sintflut. Daraufhin kam es in Mesopotamien und ebenso am Ararat zum Bau von Rettungsschiffen - möglicherweise nach denselben Anweisungen. Aber nur die Arche des Utnapischtim in Mesopotamien schwamm dann wirklich auf den Wassern der großen Flut. Das Gilgamesch-Epos gibt dafür auch einen Landungsort an, der im Bereich der Überschwemmung gelegen haben kann: im nördlichen Irak, wo das flache Land in die Berge Kurdistans übergeht.
Das Buch Genesis zieht freilich das damalige Rettungswerk in einen einzigen Vorgang zusammen - warum auch nicht, denn es kam ja nicht darauf an, eine umfassende Berichterstattung über alle Archenbauer an Moses zu vermitteln, sondern die Errettung aus dem Glauben zu überliefern.