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Kapitel vier

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Das Boot

Tripolis, die Hauptstadt Libyens, erreichten sie kraftlos und dahinvegetierend, nach wochenlanger Fahrt. Dort kamen sie mit anderen Flüchtlingen zusammen, die ihnen erzählten, dass sie nicht so ein Glück hatten wie Ahmed und dessen Bruder.

„Wir wurden immer nur ein Stück auf dem Weg mitgenommen“, erzählte ein junger Mann aus Eritrea. „Wenn wir keinen Transport fanden, sind wir manchmal nächtelang zu Fuß gegangen. Wir schliefen tagsüber am Wegesrand, denn in der kühlen Nacht hatten wir mehr Energie, um größere Strecken zu schaffen.“ Er sah sich nach allen Seiten um. „Hütet euch vor den Leuten in Uniformen. Sie wollen euer Geld, wenn sie welches bei euch vermuten. Wenn sie merken, dass ihr Geld habt, es ihnen aber nicht geben wollt, helfen sie euch nicht. Im Gegenteil, es kann sein, dass sie euch schlagen, wenn sie keinen Vorteil erkennen. Wir sind Freiwild für sie. Niemand stört sich daran.“ Dann reichte er den beiden Brüdern die Hand. „Ich bin Yussuf. Yussuf Idris Abdullah“, fügte er noch schnell hinzu. „Falls wir uns irgendwann gegenseitig suchen müssen. Und ihr? Ich meine, eure Namen?“

„Ich bin Ahmed Timcade und das ist mein Bruder Bashir. Wir kommen aus dem Norden Somalias. Und du? Du kommst aus …?“

„Eritrea. Sieht man doch. Ich bin etwas dunkler auf der Haut als ihr beide“, lachte er verhalten.

Yussuf war etwa im selben Alter wie Ahmed. Er war schlank, aber er wirkte drahtig, kräftig und belastbar. „Wir sollten zusammenbleiben“ dachte Ahmed bei sich.

„Wie geht es jetzt weiter?“, fragte er und blickte über die Menschenansammlung, die sich inzwischen oberhalb der Meeresküste gebildet hatte. Er schätzte rund 150 Personen. Es kamen immer mehr hinzu. Der Ansturm auf die Boote würde gleich beginnen.

„Die wollen alle übers Meer, so wie wir auch.“ In der Stimme Yussufs schwang etwas mit, das Ahmed nicht deuten konnte.

„Los, vorwärts!“ Die Stimme ertönte hinter ihnen und gleich darauf hörten sie weitere Männer, die Befehle riefen. „Alle runter zum Ufer! Beeilung, wenn ihr mitwollt!“

„Kommt!“, rief Yussuf den beiden zu und lief los. „Wir müssen uns im Boot Plätze sichern, oder wollt ihr die gesamte Überfahrt auf den schlechtesten verbringen?“

Sie waren bei den ersten, die die Anlegestelle erreichten, die eigentlich keine Anlegestelle war. Das Boot lag etwa zwanzig Meter vom Ufer entfernt im Meer und sie mussten durch das Wasser, das ihnen schließlich bis zum Hals reichte.

Schon beim Anblick des Bootes war Ahmed ein Schreck durch die Glieder gefahren. Es ähnelte einer Nussschale, allerdings war es von einer Größe, die ohne Mühen dreißig Leute aufnehmen konnte. Was in ihm den Schreck erzeugte, war der allgemeine Zustand des Fahrzeugs und die Form. So etwas sollte geeignet sein, um über das Meer zu schippern? Er schaute den steinigen Strand entlang und entdeckte zwei weitere Boote. Eines schien ein altes Fischerboot zu sein, das andere war ein riesiges Schlauchboot in einem militärischen Grau-Oliv.

Er hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Die Befehle der Leute, denen sie die Flucht in diesen fragwürdigen Objekten zu verdanken hatten, gaben Befehle zum Einsteigen und nun kam Bewegung in die Menschen, von denen Ahmed glaubte, dass sie von Sekunde zu Sekunde mehr wurden.

„Kommt! Schnell!“ Es war Yussuf, der Ahmed und Bashir zur Eile antrieb und ihnen voran durch das Wasser eilte, um sich an der Schiffswand hochzuziehen. Andere benutzten die Leiter aus starken Tauen und halfen den Männern an Bord. Es waren tatsächlich nur Männer, die dieses Boot bestiegen. Ahmed und Bashir taten es Yussuf gleich und schließlich saßen sie, eingepfercht zwischen einer riesigen Menge von Personen, für die dieses Schiff absolut ungeeignet schien. Ahmed sah Bashir an, dann Yussuf. Sein Gesichtsausdruck war geprägt von Unverständnis.

„Das sind zu viele“, stammelte er, während der Druck auf seine Körperseiten wuchs. „Das Schiff fasst doch höchstens dreißig Personen. Und sieh doch: die Wasseroberfläche. Ich kann meine Hand hinein tauchen. Wir werden das nicht schaffen!“

„Es gibt nur zwei Möglichkeiten!“, rief Yussuf in das lauter werdende Stimmengewirr. „Entweder ihr geht zurück ans Ufer oder ihr fahrt mit übers Meer. Ihr müsst euch entscheiden. Wollt ihr die Freiheit? Wollt ihr für die Freiheit sterben?“ Er sah Ahmed und Bashir mit eindringlichem Blick an.

„Was sollen wir tun, Bruder?“, wandte sich Ahmed an Bashir. Sollen wir aufgeben?“

„Nein, nein!“ Bashir schüttelte den Kopf und wedelte mit beiden Armen, als wolle er die Frage erst gar nicht an sich heranlassen. „Nein, wir fahren. Gleich, was geschieht. Sie haben doch Schiffe auf den Routen, die wir fahren. Man wird uns finden und an Bord nehmen. Du wirst sehen.“

„So viele von uns sind ertrunken, wurden vom Meer verschluckt“, antwortete Ahmed schwer atmend. „Ist es das Risiko wert?“

Es gab keine Antwort auf seine Frage. Hinter ihnen ertönte eine laute Männerstimme, die versuchte, die Menschen an Bord zum Schweigen zu bringen. Als dies einigermaßen gelungen war, zeigte der riesige, bartlose Mann, zu dem die Stimme gehörte, auf den Außenbordmotor, den Ahmed erst jetzt erblickte.

„Wer von euch kann den Motor bedienen?“, rief der Mann.

„Was soll das?“, rief Yussuf, der dem Mann am nächsten war, zurück. „Haben wir denn keinen Kapitän?“

„Ihr müsst euren Kapitän schon selbst stellen“, lachte der Mann verächtlich. „Wer dieses Schiff steuern will, soll sich sofort melden. Er bekommt von mir diesen Kompass und dann müsst ihr los. Es wird allerhöchste Zeit.“ Er grinste über das ganze Gesicht. „Europa wartet.“

Ahmed entging nicht der höhnische Unterton in den Worten des Schleppers. Doch er überlegte nicht lange. Es war zwar lange her, aber ein Boot hatte er schon mal gesteuert. Und so lange der Motor lief, brauchte er nur das Ruder festzuhalten. Er sah zu seinen neuen Freunden hin. „Ihr werdet mich ablösen, später, auf dem Meer, wenn ich euch erklärt habe, was zu tun ist.“

Ich werde steuern!“ Yussuf hatte sich erhoben und kämpfte sich zu dem riesigen Mann hin. „Was muss ich tun?“

Ahmed beobachtete, wie der Mann Yussuf einige Dinge erklärte und in eine Richtung auf dem Meer zeigte. Er klopfte mit einem Finger auf den handtellergroßen Kompass und nickte zufrieden. Dann überreichte er ihn an Yussuf. Er beugte sich über den Außenborder, hantierte eine Zeitlang daran und plötzlich hörte man das Tuckern des Motors.

Der Mann erhob sich und hielt plötzlich einen Kanister in der Hand. „Eine Reserve!“, rief er. „Los jetzt! Alles Gute! Good luck to Europe!“

Dann sprang er ins Wasser und watete zum Ufer zurück. Yussuf hantierte an der Lenkung des Motors und kurz darauf setzte sich das Boot in Bewegung. Die Richtung war klar: hinauf aus das offene Meer, dorthin, wo sie die Freiheit erhofften: das gelobte Land, in dem angeblich Milch und Honig flossen:

Europa!

Der Duft von Milch und Honig

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