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Kapitel fünf

Alemannia: das Übergangswohnheim

Zwei Wochen zuvor

Durch die Windschutzscheibe des Reisebusses konnte man in der Ferne die Umrisse der Stadt sehen. Ahmed und Bashir Timcade hatten das Glück, nach Passieren der österreichischen Grenze bei den ersten zu sein, die man mit starken Armbewegungen in das deutsche Gebiet schob. Man hatte von ihnen nicht einmal wissen wollen, wie sie hießen, wo sie herkamen. Nur weiter, ab zur Grenze, so schnell wie möglich. Das verstanden die beiden auch, ohne der ihnen entgegenschallenden Sprache mächtig zu sein.

Yussuf, den sie vor der Abfahrt über das Meer kennengelernt hatten, hatte es offensichtlich nicht in diesen Bus geschafft. Aber sie waren sich sicher: Er wird nachkommen und dann werden wir ihn wiedersehen. Es war gut, Freunde zu haben, besonders in einem fremden Land, in dem man nicht wusste, was auf einen zukam.

Ahmed legte einen Arm um die Schultern seines jüngeren Bruders Bashir. „Wir sind in Freiheit, mein Bruder“, sagte er leise. „In einer Freiheit, wie wir sie nie gekannt haben. Es liegt an uns, was wir daraus machen. Unsere Mutter und unsere Schwestern sollen stolz auf uns sein.“

Ahmed unterdrückte die aufkommenden Tränen und sah seinen Bruder an. „Versprich mir, dass wir uns in diesem Land nie aus den Augen verlieren.“

Bashir nickte. „Ich verspreche es. Werden wir Mutter und unsere Schwestern hierher nachholen können?“

„Ich weiß es nicht“, antwortete Ahmed nachdenklich. „Die höchste Politikerin dieses Landes hat es versprochen. Dann wird es doch sicher so sein, irgendwann.“

Die letzten Kilometer schwiegen beide. Ihre Gedanken drehten sich um ihre neue Heimat. Was würde sie erwarten? Würde das Land so sein, wie man es ihnen beschrieben hatte? Würden sie willkommen sein? Ahmed war nicht in Euphorie verfallen, als er die zahlreichen Menschen mit ihren hochgehaltenen Schildern „Refuges Wellcome“ sah, die sie laut rufend am Bahnhof einer deutschen Stadt, deren Namen er nicht mehr wusste, begrüßten.

„Warum ist man hier so froh mit uns?“, fragte er sich. „Was haben wir dafür getan? Wir sind doch nur von zuhause weggelaufen, aus einem Land, das von Kriegswirren überzogen ist.“

Ihm war nicht wohl dabei, als er daran dachte, was man von ihm, von den anderen Männern, die zu Tausenden mit ihm in dieses Land kamen, halten würde. Ahmed hatte keine besondere Bildung genossen, ebenso wie sein Bruder Bashir. Er wünschte sich, er hätte sie genießen können, doch die Umstände in seinem Land hatten dagegengesprochen. Würde man ihm und den anderen vorhalten, dass sie nicht für ihr Land kämpften? Er erinnerte sich an ein Gespräch mit einem syrischen Flüchtling seines Alters.

„Wir sind hunderttausende von Männern, die auf der Flucht sind. Ich schäme mich“, hatte der junge Syrier zu ihm gesagt.

„Warum schämst du dich?“, hatte er gefragt.

„Wenn all die jungen Männer, die auf der Flucht sind, zu den Waffen gegriffen hätten, hätten wir die Ursache unserer Flucht vielleicht beseitigen können“, hatte der Syrer leise geantwortet. „Aber unsere Angst war größer. Unsere Angst vor dem Tod auf dem Schlachtfeld, vor der Unbarmherzigkeit der IS. Doch das ist nicht alles.“

„Was bedrückt dich denn noch?“

„Das wir unsere Familienangehörigen zurücklassen mussten. Wer soll sie nun beschützen?“

„Man wird sich nicht an wehrlosen Frauen und Kindern vergreifen. Sie werden nachkommen, du wirst sehen“, hatte ihm Ahmed geantwortet, doch in seiner Stimme waren Zweifel gewesen.

„Wir sind da“, sagte plötzlich eine Stimme auf Englisch durch das krächzende Busmikrophon. Der Bus bog nach links in eine Häusereinfahrt ein und hielt inmitten eines mehrstöckigen Häuserblocks.

„Sie steigen einer nach dem anderen langsam aus und bleiben vor dem Bus stehen“, verkündete eine raue, männliche Stimme im Befehlston. „Wir werden Sie dort vorläufig registrieren. Dann teilen wir Ihnen Ihre Zimmer zu. Haben Sie das verstanden?“

Manche der Angesprochenen nickten, andere schauten einfach nur unter sich. Ahmed sah aus dem Busfenster und registrierte die Umgebung. Hinter ihnen hielten zwei weitere Busse mit Flüchtlingen. Muskulöse, teils tätowierte Männer in dunkelblauen Uniformen rannten geschäftig hin und her, gaben hier und da scharfe Anweisungen. Security stand auf ihren Rücken geschrieben.

Ahmed hatte kein gutes Gefühl. Mit einem letzten Blick auf die stiernackigen, kahlköpfigen Aufpasser wandte er sich an seinen Bruder.

„Bashir, hör zu!“

Sein Bruder wandte sich ihm mit fragender Miene zu. „Was ist?“

„Wir werden nicht in dieses Haus gehen, hörst du? Wir werden ...“

„Warum gehen wir nicht dort hinein? Ich habe Hunger und bin müde. Man wird uns zu Essen geben und ein Bett ist bestimmt auch da.“

„Nein, Bashir, wir werden von hier verschwinden. Wir haben nun fünf Wochen hinter uns, die teilweise die Hölle waren. Wir werden in dieser Stadt auch eine Lösung finden. Vielleicht kommen wir später hierher, aber das hier, das wird nicht gut gehen. Sieh dich doch nur um. Alles Männer in unserem Alter. Das wird Machtkämpfe geben. Wir werden verlieren, weil wir beide jede Art von Gewalt ablehnen. Schau dir die Security an. Ich trau ihnen nicht. Lass die anderen aussteigen. Wir folgen als letzte. Wenn wir draußen sind, bleib dicht hinter mir. Vertrau mir.“

„Aber ...“

„Keine Widerrede!“ Es klang barscher, als Ahmed es wollte. „Glaub mir“, sagte er leise und legte versöhnend seine Hand auf die Schulter von Bashir. „Ich bin doch dein großer Bruder.“

Als sie wenige Minuten später draußen standen und von allen Seiten aus den neu hinzugekommenen Busse die Menschen in ihre Richtung strömten, packte Ahmed seinen Bruder am Arm und zog in mit sich fort, in die entgegengesetzte Richtung, gegen den anrückenden Strom, unbeachtet von den Menschen, die nur eines im Sinn hatten: Essen und Schlafen.

„Was ist mit Yussuf?“, fragte Bashir außer Atem, als sie schon weit außer Sichtweite waren. „Er war nicht in unserem Bus.“

„Vielleicht sehen wir ihn wieder“, antwortete Ahmed. „Vielleicht auch nicht. Du siehst doch selbst, wie viele Menschen in diesem Haus untergebracht werden. In den nächsten Tagen werden wir uns ab und zu in diesem Bereich aufhalten. Wenn Allah es will, läuft er uns ja direkt in die Arme.“

„Wir müssen ihn wiedersehen. Ich will es so. Er hat mir doch das Leben gerettet, draußen, auf dem Meer.“ Er sah Ahmed flehend an. „Wenn wir hier weglaufen, werden wir uns vielleicht nie mehr sehen. Ich muss mich doch bei ihm bedanken.“

Der Duft von Milch und Honig

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