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Kapitel eins

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Der Beginn der Flucht

Vier Wochen zuvor

Als sie die Schüsse und das Geschrei der wilden Horden wahrnahmen, wussten sie, dass es an der Zeit war, zu handeln. In der Weite ihrer somalischen Heimat erschienen die fanatischen Rufe so nah, als hätten die mörderischen Banden ihr Dorf bereits erreicht. Doch der Schall wurde über die trockene Fläche getragen und erreichte ihre Ohren, obwohl die Herannahenden noch mehrere Kilometer von ihnen entfernt waren.

„Es wird Zeit, meine Söhne!“

Mutter Myriam hatte Tränen in ihren dunkelbraunen Augen, als sie auf Ahmed und Bashir zuging. Sie hatte das lange Tuch des buntes Thobes, einem Schal ähnlichen Textil, doch um vieles länger, um ihren Körper gelegt und mit dem Ende einen Teil ihres schwarzen Haars bedeckt. In ihren Händen hielt sie zwei zerschlissene Rucksäcke, die sie vor den beiden abstellte.

„Nun ist es so weit. ihr müsst uns verlassen. Habt keine Angst um mich und eure Schwestern. Ich bin zu alt und die beiden sind zu jung. Sie werden uns in Ruhe lassen. Mit der Rekrutierung der jungen Männer im Dorf haben sie ausreichend zu tun. Euch wird man nicht rekrutieren, denn ihr werdet nicht mehr hier sein, wenn sie das Dorf erreicht haben.“

Sie blickte von einem zum anderen, als denke sie nach. Dann sagte sie: „Wartet noch einen Moment!“

Myriam eilte mit kurzen Schritten in das kleine Haus zurück, einer der primitiven Bauten in ihrem kleinen Dorf, in dem es rund weitere zwanzig davon gab. Als sie zurückkam, hielt sie ein kleines Päckchen in der Hand und reichte es Ahmed.

„Du bist mit deinen zwanzig Jahren der Ältere. Du kümmerst dich um alles. Hier ist das Geld. Es reicht gerade aus, um es diesen Aasgeiern in den Rachen zu werfen. Aber es ist eure einzige Chance. Ihr müsst Europa erreichen. Dort seid ihr in Freiheit. Dort werdet ihr euer Leben gestalten. Es muss ein gutes Leben werden. Tut es für euch und die Familie. Denkt immer an uns und an euren Vater. Er darf nicht umsonst gestorben sein. Diese Verbrecher!“

Die Tränen schossen ihr erneut in die Augen, als ihre Gedanken kurz zurück schweiften und die grausamen Bilder sich wieder in ihrem Hirn manifestierten.

Vater Hassan war von den verbrecherischen Milizen der IS gegen seinen Willen rekrutiert worden. Rund 60 bewaffnete Kämpfer der Terrormiliz IS, erwachsen aus der Miliz al-Shahab, eine der Al-Kaida nahestehende Gruppierung, hatten den Ort eingenommen und die Männer zum Kämpfen aufgefordert. Hassan hatte sich mit Worten und Gesten gegen seine Verschleppung gewehrt. Zwei Tage später fanden ihn seine Söhne Ahmed und Bashir etwa fünfhundert Meter hinter dem Dorf, aufgedunsen von der Sonne, ein Opfer der Maden und Vögel. Man hatte ihm den Kopf abgeschlagen und ihn in der Sonne liegen gelassen, so, wie er vor ihre Füße gefallen war.

Als ihre Söhne an diesem Tag nach Hause kamen, den alten hölzernen Handkarren hinter sich herziehend, wusste sie gleich, was sie erwarten würde.

„Sie wollen, dass wir gegen Christen kämpfen“, hatte Ahmed gesagt und ihr dabei in die Augen gesehen. „Doch das werden wir nicht tun.“

Bashir hatte genickt, trotzig, mit zu Boden geneigtem Kopf. „Wir werden gegen niemanden kämpfen mit diesen Barbaren. Lasst uns alle von hier fortgehen, fort in ein anderes Leben, in ein Land, wo wir überleben werden. Hier wird das nicht möglich sein. Hier werden wir sterben, so oder so, wie unser Vater. Auch du musst mit uns kommen, Mutter. Auch unsere Schwestern. Wir können Euch doch nicht hier zurücklassen.“

Talibe und Samira waren im Haus. Sie hatten sich bereits unter Tränen von ihren Brüdern verabschiedet und lagen sich nun weinend in den Armen. Sie hätten es nicht verkraftet, die Silhouetten ihrer Brüder in der Ferne verschwinden zu sehen. Sie wollten ihre lieben Gesichter aus der Nähe in ihren Gedanken eingeprägt wissen.

„Doch, meine Söhne, ihr könnt und ihr müsst. Vielleicht will Allah ja, dass wir irgendwann nachkommen können. Glaubt mir, wir werden uns wiedersehen, meine Söhne. Ganz bestimmt werden wir das. Und jetzt geht! Es wird Zeit!“

Myriam zeigte in die Ferne, über das flache, steinige Land zum Horizont. „Wenn Ihr diese Berge dort erreicht habt, gelangt ihr zu einem Dorf namens Bade. Fragt nach Muhammad Said. Er wird euch weiterhelfen. Ihm müsst ihr das Geld geben. Dann werdet ihr in Europa eure Zukunft finden. Allah sei mit euch!“

Ahmed zögerte. Er sah auf den Umschlag in seiner Hand und öffnete ihn. „Mutter, wo hast du das viele Geld her?“, stammelte er, als er den für ihre Verhältnisse riesigen Betrag sah. „Das geht doch nicht …!“

„Du kannst es unbesorgt nehmen. Ich habe einen Teil unserer Ziegenherde verkauft. Jetzt, wo wir alleine hierbleiben, brauchen wir nicht mehr so viele. Und wer weiß, vielleicht werden sie uns den Rest auch noch wegnehmen. Verstehst du nun, dass das Geld bei euch besser angelegt ist? Lasst niemanden einen Blick darauf werfen. Versteckt das Geld an euren Körpern. Sagt ihnen, dass ihr nicht mehr Geld habt, als jenes, das ihr ihnen zeigt, denn sie werden versuchen, euch alles wegzunehmen.

Der Duft von Milch und Honig

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