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Kapitel elf

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Vorsichtige Überlegungen

Die Stimmung in Büro 432 schien auf dem Nullpunkt. Laufenberg stand am Fenster und schaute über die Dächer der Stadt und auf den sich dahinter erhebenden Petrisberg, der vom aufsteigenden Nebel zur Hälfte verdeckt war. Die Stadt erwachte stets im Nebel, während sich die Orte auf den Höhen bereits im prallen Sonnenlicht erwärmten. Der Zustand im Tal brauchte knappe zwei Stunden, dann hatte die Sonne auch hierher ihren Weg gefunden. Und, wie es einer im Tal liegenden Stadt nun mal eigen ist, überstieg die Temperatur hier unten diejenige der oben gelegenen Ortschaften, was jedoch in keinem Fall für ein angenehmeres Klima sorgte.

Die Gruppe schwieg. Was es zu sagen gegeben hatte, war gesagt worden, und schließlich wollte man nicht alles mehrfach wiederholen müssen. Der Chef musste jeden Moment eintreffen, dann würde es vollständige Informationen und Erkenntnisse geben.

„Morgen, meine Herrschaften.“ Die Tür zum Büro 432 öffnete sich und Julian Thalbach, Chef des Dezernates für Kapitalverbrechen, trat ein. Er gab der Tür einen leichten Stoß mit seinem Ellbogen, so dass sie geräuschvoll ins Schloss fiel und warf seinen beigefarbenen Mantel über einen der freien Stühle. Dann näherte er sich mit mürrischem Gesichtsausdruck der Gruppe und sah sich fragend um, als wundere er sich, warum die Berichterstattung noch nicht erfolgt sei.

Der Kollege des Kriminaldauerdienstes, jener, der die Aktenmappe in der Hand hielt, erhob sich, sah in die Runde, dann auf Thalbach.

„Wegener, vom Dauerdienst“, stellte er sich kurz vor. Sein schmaler dunkler Oberlippenbart zuckte. „Uns erreichte vor einer Stunde die Mitteilung, dass unten im Fluss, in Ufernähe, eine vermutlich tote Person treiben würde. Der Hinweisgeber war ein gewisser …“, er blätterte in seiner schmalen Aktenmappe, „Leonard Himmelsbach, so heißt der Zeuge. Er wohnt in der Stadt. Die Anschrift ist festgehalten, seine Zeugenaussage ist schriftlich niedergelegt. Bei Bedarf ist er telefonisch zu erreichen. Die Nummer steht ebenfalls hier.“

„Der Mann wurde erschossen?“ Thalbach erinnerte sich das das Telefonat mit Laufenberg.

„Bei dem Toten handelt es sich um einen Schwarzen, offensichtlich afrikanischer Abstammung“, überging Wegener die Frage Thalbachs, um chronologisch fortzufahren. „Der Zustand lässt eine genaue Altersbestimmung vorerst nicht zu, fünfundzwanzig Jahre sind möglich, aber auch vierzig. Wir müssen die Obduktion abwarten. Die Leiche war bekleidet mit einer Jeans und einem blau karierten Hemd. Offensichtlich gehörte ihm auch die leichte Steppjacke, die wir in der Nähe seines Fundortes sicherstellen konnten.

„Ist die Identität des Toten geklärt?“

Wegener ignorierte auch dieses Mal die Frage Thalbachs und fuhr in seinem Berichtsschema fort. „Der Tote hatte drei Löcher im Rücken. Schussverletzungen, offensichtlich ein kleineres Kaliber. Ich schätze 22 long rifle. Schüsse mit diesem Kaliber, verbunden mit einem Schalldämpfer sind nahezu lautlos. Vermutlich deshalb gibt es auch keine Zeugen oder Leute, die Schüsse wahrgenommen haben.“

Wegener sah Thalbach an. „Zu Ihrer Frage: Nein, der Tote ist nicht identifiziert. Er hatte keinerlei Ausweispapiere dabei, auch keine anderen Dokumente oder Schriftstücke, die auf die Herkunft seiner Person schließen lassen. Es wird Ihre Aufgabe sein, das herauszufinden. Für uns ergab sich in der kurzen Zeit keinerlei Möglichkeit dazu.“

Wegener reichte Thalbach die Aktenmappe. „Gibt es noch Fragen?“ Er sah erst Thalbach an, dann glitt sein Blick über die restlichen Anwesenden.

„Afrikanischer Abstammung, sagen Sie?“, fragte Thalbach. „Glauben Sie, es handelt sich um einen Migranten aus dem Flüchtlings-Übergangslager?“

„Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass man mit einer solchen Vermutung erst einmal vorsichtig umgehen muss. Vor allem vor der Presse. Jetzt der Bevölkerung ein solches Thema zu liefern, wäre Wasser auf die Mühlen. Sie wissen das!“

„Ja, ja, ich weiß.“ Thalbach erinnerte sich an den Vorfall an Silvester auf dem Bahnhofsvorplatz einer benachbarten Großstadt. Hier war es zu sexuellen Übergriffen an Frauen gekommen, zeitgleich ebenso in anderen Städten Deutschlands. Seit diesem Zeitpunkt war die Einstellung der Bevölkerung in Bezug auf Migranten unterschiedlicher Ansicht.

„Ich wollte es nur gesagt haben.“ Wegener hob die Hand zum Gruß. „In meinem Bericht ist alles so weit aufgeführt. Der Tote wurde in die Gerichtsmedizin gebracht, polizeiliche und ärztliche Leichenschau sind erledigt. Die weiteren Ermittlungen liegen bei Ihnen. Auf mich wartet ein ruhiger Restsonntag.“ Wegener winkte seinem Kollegen zu, der sich erhob und mit ihm gemeinsam das Büro verließ.

„Was meint er mit 'Wasser auf die Mühlen'? Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun.“ Simone Esslinger stand betont langsam hinter ihrem Schreibtisch auf und näherte sich ihrem Chef. „Darf ich die Akte sehen?“

Thalbach nickte. Er hatte die Akte selbst noch nicht einmal aufgeschlagen, er musste dies auch nicht tun. Was Wegener gesagt hatte, reichte ihm.

„Wasser auf die Mühlen? Können Sie sich das nicht selbst vorstellen?“ Es klang barsch und irgendwie wütend. „Alles, was wir sagen oder schreiben, wird man auch zwischen den Zeilen lesen werden. So neutral wie wir auch sein wollen, ein Teil unserer wahren Gedanken wird sich zwischen den Worten unserer Berichte festsaugen und wir müssen jedem dahergelaufenen Laien Rede und Antwort stehen.“

„Müssen wir das?“ Alexander Laufenberg hatte bis zu diesem Zeitpunkt aus dem Fenster gesehen und sich in seinen Gedanken vorgestellt, wie ruhig es noch vor einigen Monaten in dieser Stadt gewesen war. Aber die Willkommenskultur der Regierung hatte dazu geführt, dass man sogar großzügig über die Ausführung der Gesetze nachdenken musste. So jedenfalls wurde es latent von oben herab transportiert. „Also, ich werde mich da nicht verbiegen lassen. Im Übrigen haben wir hier einen Mordfall, wie es ihn tausendmal gibt. Der einzige Unterschied ist, dass sich die Schusslöcher in schwarzer Haut befinden.“

„Meine Herren, diese Diskussionen haben, zumindest in diesem Moment, keinerlei Platz in dem, was wir vorhaben.“ Simone Esslinger klappte die Mappe zu, steckte ihre Pistole ins das Holster an ihrer Jeans und schnappte ihre Schultertasche, die über der Stuhllehne hing. „Wir sollten uns den Mann mal ansehen. Fotos alleine werden unsere Ermittlungen nicht ersetzen.“

Thalbach nickte. Doch mit einer Handbewegung stoppte er Simone, die an ihm vorbeieilen wollte. „Wir müssen überlegen, wo wir unsere Ermittlungen ansetzen. Der Mann hat keinerlei Ausweispapiere. Vielleicht hat man sie ihm abgenommen, vielleicht besitzt er gar keine. Ist er ein Bürger dieser Stadt? Ich meine, dass er eine schwarze Hautfarbe hat, besagt ja nicht, ...“

„Dass er einer der Flüchtlinge aus dem Übergangsheim ist?“ Laufenberg zuckte mit den Schultern. „Davon ist aber auszugehen. Ich gehe sogar noch weiter und behaupte, dass er erst seit Kurzem dort untergebracht war.“

„Woher haben Sie diese Erkenntnis?“ Thalbach zog die Stirn in Falten. Manchmal kam ihm Laufenberg vor wie ein junger Wilder, der in der angepassten Polizeiwelt noch nicht so richtig angekommen zu sein schien.

„Sehen Sie sich die Fotos doch einmal näher an! Fällt Ihnen nicht auf, dass seine Kleidung, die mir afrikanischer Herkunft scheint, zerschlissen, um nicht zu sagen ramponiert, ist?“

„Ich verstehe nicht. Was wollen Sie mir damit sagen?“

„Ich möchte zum Ausdruck bringen, dass, wenn er in dem Übergangs-Wohnheim untergebracht gewesen wäre, dort auch andere Kleidung erhalten hätte.“

Thalbach schüttelte den Kopf. „Wie auch immer. Wir werden dort eh Menschen befragen müssen. Er sah Simone an. „Sie werden sich um die Leiche kümmern. Machen Sie jede Menge Fotos, auch Nahaufnahmen von seinem Gesicht und auch von den Schussverletzungen. Sehen Sie nach, ob es besondere Merkmale an der Leiche gibt. Sie wissen schon: Fehlende Finger, Abnormitäten. Und machen Sie einen DNA-Test.“

„Wofür soll der denn gut sein?“ Thalbach blickte in das erstaunte Gesicht Laufenbergs. „Mit wem, zum Teufel, wollen Sie die denn vergleichen?“

„Machen Sie es einfach“, wandte er sich Simone zu. „Laufenberg und ich werden uns im Übergangs-Wohnheim umhören. Es ist besser, wenn Sie dort fernbleiben. Denken Sie an die Vorfälle auf dem Kölner Bahnhofsvorplatz. Ich habe keine Lust, Sie dort gegen Testosteron geladene Männer verteidigen zu müssen.“

„Was ist eigentlich mit Ihnen passiert?“ Simone zeigte auf die kleine Schnittverletzung im Gesicht Thalbachs.

„Ist nicht weiter schlimm.“ Thalbach grinste. „Ich habe aus Versehen in den Spiegel geschaut, da ist es eben passiert.“

Der Duft von Milch und Honig

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