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Kapitel neun

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Tod in der neuen Heimat

Leonhard Himmelsbach stand an der der Kaimauer am Fluss und hatte seine Augen in die Ferne gerichtet. Er ließ seine Gedanken treiben, so, wie er es gerade an dieser Stelle an vielen Tagen der Woche tat. Sein schmaler Oberkörper ruhte auf seinen schmächtigen, angewinkelten Unterarmen, mit denen er sich auf der Mauerbrüstung abstützte, die ihn von der abfallenden Böschung und dem Fluss trennte. Seine Blicke folgten den schreienden Vögeln, die sich gegenseitig zu verfolgen schienen und Haken schlagend, teils im Sturzflug, teils schwebend, die Lüfte beherrschten.

Er blickte hinauf zum Himmel, zu den dichten Wolken, die der Sonne heute kaum Gelegenheit gaben, ihr wärmendes Licht über der Stadt zu verteilen. Es zog ihn magisch immer wieder hierher und immer wieder sah er dann nach oben empor, und er war stets erfreut, wenn sich der Himmel bewölkte.

So war es auch an diesem Nachmittag. Sein Blick glitt über die Gebilde der Wasser tragenden Massen, um hier und da inne zu halten. Dann verengten sich seine Augen für einen kurzen Moment, bis sich schließlich seine schmalen Lippen zu einem Lächeln auseinanderzogen.

Dieses Mal war es ein Hundekopf, den er deutlich in dem Wolkengebilde dort oben vor sich zu sehen glaubte. Sein Blick glitt weiter und irgendwoher schaute ihn ein Frauenkopf mit langen Haaren lächelnd an.

Himmelsbach sah diese Wolkenbilder, gleich, wann oder wo er zum Himmel blickte, und oft verstrich die Zeit dabei so sehr, dass er alles um sich herum vergaß. Er hatte diese Gabe und seine Bekannten beneideten ihn darum. Wenn er es darauf anlegte und sie dazu animierte, mit ihm Gebilde zu erkennen, zogen sie stets den Kürzeren.

Aber nicht nur das Schattenspiel der Wolken weckte in ihm diese kreativen Eigenschaften. In Bäumen, Sträuchern oder in dem Gewirr von Grasbüscheln konnte er Gesichter erkennen oder auch manchmal Tiere, frontal, von der Seite oder im Profil. Er machte sich dann oftmals den Spaß, nach der Entdeckung wegzusehen, um dann erneut die Stelle zu suchen, wo sein Gehirn das Gebilde hatte entstehen lassen. Meist hatte er Erfolg, fand das Produkt seiner Vorstellung tatsächlich wieder und freute sich spitzbübisch darüber.

Heute stand er wieder einmal am Ufer des belebten Flusses und schaute erst dem Spiel des Wassers zu, dann aber hatten es ihm die Wolken angetan. Während er nach oben sah und nach einem weiteren Gebilde seiner Fantasie suchte, traf ihn der Strahl der plötzlich durch die Wolken brechenden warmen Sonne und blendete für einen kurzen Moment seine Augen.

Er fuhr mit den Händen über die geschlossenen Lider, kniff die Augen mehrmals zusammen, als wolle er krampfhaft Dunkelheit herbeizaubern und öffnete sie langsam wieder. Dabei vermied er es, wieder nach oben zu sehen. Er ließ seinen Blick über den Fluss gleiten, sah nach links zur Brücke, dann nach rechts über die endlos scheinenden Baumreihen entlang des Uferweges.

Dann glitt sein Blick wieder zurück, tastete sich am Ufer entlang. Ein kleines Schiff, mit lachenden Passagieren besetzt, offensichtlich Touristen, verursachte Wellen, die sich bis zum Ufer bewegten und das, was sich im Wasser befand, hin und her wiegten.

Sein Blick blieb auf einem großen Stück Treibholz, wie er glaubte, haften, doch irgendwie verhielt sich das, was dort schwamm, anders. Es blieb nicht starr wie ein Stück Holz, sondern bog sich mit jeder Welle in der Mitte und passte sich der am Ufer brechenden Wogen an.

Da er jedoch nicht genau erkennen konnte, worum es sich bei dem Gegenstand handelte, kam er auf die Idee, seinen digitalen Fotoapparat, seine neueste Errungenschaft mit großem Zoom, seiner Brusttasche zu entnehmen, und nach kurzer Orientierung hatte er das Objekt vor seinen Augen. Dann stutzte er und drehte am Stellring seines Teleobjektivs. Nun hatte er das, was er erst für einen Baumstamm gehalten hatte, deutlich vor Augen. Es war kein Baumstamm. Es war ein Mensch der sich dort willenlos, auf dem Bauch treibend, dem Spiel der immer wieder neu ankommenden Wogen hingab.

Das herannahende Brummen eines Motorbootes, das in Ufernähe offensichtlich den nahe gelegenen Bootshafen ansteuerte, lenkte seinen Blick für kurze Zeit in dessen Richtung. Seine Augen folgten dem Verlauf des Bootes bis auf die Höhe des Menschen, der durch den plötzlichen Wellenschwung eine Umdrehung um seine Längsachse machte. Dabei sah er sein Gesicht. Für kurze Zeit blickte er zwei aufgerissene Augen in einem aufgedunsenen, dunklen Gesicht, bevor sich der leblose Klumpen von ihm wegdrehte und Arme und Gesicht wieder in dem sich langsam beruhigenden Wasser verschwanden.

Der Duft von Milch und Honig

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