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2. Wie die Frage anzupacken ist

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Auf den ersten Blick sieht es folglich so aus, als stelle die analytische Philosophie ein eigenständiges philosophisches Phänomen dar, ob es sich dabei nun um eine Schule, eine Bewegung, eine Tradition oder einen Stil handelt. Peter Bieri hat vor kurzem das folgende zermürbende Experiment vorgeschlagen. Lesen Sie einen ganzen Monat lang morgens das Journal of Philosophy und dann am Nachmittag Seneca, Montaigne, Nietzsche, Cesare Pavese und Fernando Pessoa. Um Bieris Versuchsaufbau leicht zu verändern und ihm eine noch sadistischere Note zu verleihen: Widmen Sie ihre Nachmittagslektüre Plotin, Vico, Hamann, Schelling und Hegel oder Heidegger, Derrida, Irigaray, Deleuze und Kristeva. Ich finde Bieris Gedankenexperiment zwar erhellend, allerdings deutet es in die genau entgegengesetzte Richtung der von ihm befürworteten Schlussfolgerung. Bieri zufolge ist die Unterscheidung von analytischer und kontinentaler Philosophie »schlicht und einfach ein Ärgernis«, das nicht toleriert werden sollte (2005: 15). Im Gegensatz dazu denke ich, dass sich aus der vorgeschlagenen Gegenüberstellung Folgendes ergibt: Erstens gibt es bei den behandelten Problemen zumindest eine gewisse Schnittmenge. Zweitens handelt es sich zumindest bei einigen dieser Probleme nach allen allgemein akzeptierten Maßstäben um philosophische Fragestellungen. Drittens: Was auf den Seiten des Journal of Philosophy vor sich geht, ist eine spezielle intellektuelle Tätigkeit, die sich von den (in sich vielfältigen) Tätigkeiten unterscheidet, mit denen sich andere Denker beschäftigen.

Es ist also kaum verwunderlich, dass die Bezeichnungen »analytische« und »kontinentale Philosophie« immer noch weithin Verwendung finden. Das trifft auch dann zu, wenn behauptet wird, die Unterscheidung sei nicht pauschal anwendbar. In Besprechungen beispielsweise kann man nicht nur häufig lesen, dass ein Buch oder Autor typisch für die analytische oder kontinentale Bewegung sei, sondern auch, dass X »für einen analytischen Philosophen« ungewöhnlich sensibel und aufgeschlossen oder dass Y »für einen kontinentalen Philosophen« ungewöhnlich klar oder überzeugend sei. Die Unterscheidung zwischen analytischer und kontinentaler Philosophie färbt sogar die philosophische Wahrnehmung jener, die diese nicht als allgemeingültig betrachten. Allgemeiner gesprochen lässt sich nicht leugnen, dass die Vorstellung von einer eigenständigen analytischen Philosophie weiterhin die institutionelle Praxis der Philosophie prägt, ob dies nun durch eigene Zeitschriften, Gesellschaften, Stellenangebote oder Institute geschieht (siehe Preston 2007: Kap. 1). Es ist zum Beispiel üblich und durchaus hilfreich, Studierenden zu erklären, dass ein bestimmter Fachbereich oder Kurs analytisch ausgerichtet ist.

Zu der Zeit, als sich der Gegensatz zwischen analytischer und kontinentaler Philosophie herausbildete, behauptete R. M. Hare, es gebe »zwei unterschiedliche Weisen«, in denen nun Philosophie studiert werde, Weisen, »von denen man durchaus denken könnte, dass sie in Wirklichkeit ganz unterschiedliche Fächer darstellten« (1960: 107). Und obwohl Dummett den Analytisch-Kontinental-Gegensatz zu überbrücken versucht, liegt dieser Absicht die Beobachtung zugrunde, »dass sich ein absurder Graben zwischen ›angloamerikanischer‹ und ›kontinentaler Philosophie‹ aufgetan hat«; ja, »wir haben einen Punkt erreicht, an dem wir in zwei unterschiedlichen Disziplinen arbeiten« (1993: xi, 193).

Dieser Status quo mag weder wünschenswert noch stabil sein. Es mag sich herausstellen, dass entweder die analytische oder die kontinentale Philosophie dem Pfad der Rechtschaffenen folgt, in welchem Fall die Anhänger der anderen Seite es ihr gleichtun sollten. Oder aber es mag klar werden, dass es für die Philosophie ein Bonus sein könnte, ein einheitliches Unternehmen zu bilden, wie es die Philosophie der westlichen Welt zumindest bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts tat (siehe Quinton 1995b: 161). Wenn die Philosophie als eine geschlossene Disziplin oder zumindest als ein einzelner Diskursbereich am besten funktioniert, ohne Rücksicht auf Parteien und Kommunikationsbarrieren, dann sollte man die Köpfe zusammenstecken, egal welche Seite ein Monopol philosophischer Weisheit besitzt.

Aber selbst wenn der Analytisch-Kontinental-Gegensatz aus philosophischen oder anderen Gründen bedauerlich ist, bleibt er dennoch bestehen. Er muss ein Ausgangspunkt für jeden Versuch sein, sich über das Phänomen der analytischen Philosophie klar zu werden, und sei es nur zum Zweck seiner Überwindung oder Dekonstruktion. Die Frage lautet dann nicht, ob es legitim oder fruchtbar ist zu untersuchen, was analytische Philosophie ist, sondern wie dies bewerkstelligt werden sollte.

Bestimmte Darstellungen der analytischen Philosophie sind klarerweise als eine Art von Definition intendiert, in dem Sinne, dass ipso facto jene, die eine solche Definition einschließt, als analytische Philosophen gelten, und jene, die sie ausschließt, nicht (z.B. Cohen 1986: Kap. 2; Dummett 1988: Kap. 2; Hacker 1996: 195; Føllesdal 1997). Andere sind plakativ und ohne Einschränkungen formuliert – »Analytische Philosophie ist …«, »Analytische Philosophen tun …«, »Ein analytischer Philosoph würde nie …«. Sie sind aber möglicherweise als nichtanalytische Verallgemeinerungen intendiert, die nicht notwendigerweise auf alle und nur auf analytische Philosophen zutreffen. Mit anderen Worten, sie benennen charakteristische Merkmale der analytischen Philosophie, die nicht unbedingt essentielle und konstitutive Merkmale darstellen. Schließlich gibt es Charakterisierungen, deren Geltungsbereich ausdrücklich beschränkt ist und die Formen annehmen wie »Analytische Philosophie ist zum Großteil …«, »Die meisten analytischen Philosophen tun …« etc.

Doch solche Verallgemeinerungen, ob sie nun eingeschränkt oder uneingeschränkt formuliert sind, verlassen sich auf ein bestimmtes Verständnis dessen, was analytische Philosophie ist. Ansonsten würde es ihnen an einem klar abgegrenzten Muster mangeln, auf das sie sich stützen könnten. Wir müssen wissen, wodurch sich jemand als analytischer Philosoph qualifiziert und was also den Anwendungsbereich der Ausdrücke »analytische Philosophie« oder »analytische Philosophen« bestimmt. Aus diesem Grund sind bloße Verallgemeinerungen kein Ersatz für eine Erklärung dessen, was, wenn überhaupt, die analytische Philosophie konstituiert und was einen analytischen Philosophen ausmacht. Eine solche Erklärung sollten wir zunächst einmal suchen. Genau genommen geben die meisten uneingeschränkten Pauschalisierungen vor, eine solche Erklärung zu liefern. Und sogar im Hinblick auf eng umgrenzte Darstellungen lohnt sich die Frage, ob sie für eine Definition der analytischen Philosophie brauchbar sind.

Einige Philosophen, beeinflusst durch Quines Angriff auf die Unterscheidung zwischen analytischen und synthetischen Aussagen, tun sich generell schwer mit der Abgrenzung von konstitutiven, definierenden oder essentiellen Merkmalen eines Phänomens X auf der einen und akzidentellen Merkmalen auf der anderen Seite. Andernorts habe ich dafür argumentiert, dass diese Bedenken ungerechtfertigt sind (Glock 2003a: Kap. 3). Auf jeden Fall wäre es unangemessen, Definitionen der analytischen Philosophie aus diesen Gründen von vornherein auszuschließen. Wenn die analytische Philosophie nicht definiert werden kann, sei es aus allgemeinen oder besonderen Gründen, dann sollte sich dies im Laufe unserer Untersuchung herausstellen. Was die Frage völlig offen lässt, welcher Typ von Definition oder Erklärung angemessen sein könnte. Eine wichtige Unterscheidung ist hier die zwischen Nominaldefinitionen, welche die sprachliche Bedeutung von Wörtern bestimmen, und Realdefinitionen, die das Wesen der durch sie bezeichneten Dinge bestimmen. Einige Philosophen, einschließlich Wittgenstein und Quine, verwerfen die Vorstellung eines realen Wesens. Aber selbst wenn diese pauschale Zurückweisung des Essentialismus nicht gerechtfertigt ist, gibt es Gründe, daran zu zweifeln, dass sich die analytische Philosophie für eine Realdefinition eignet.

Es ist ausgeschlossen, dass die Bezeichnung »analytische Philosophie« eine einzige korrekte und intrinsische Bedeutung hat, unabhängig davon, wie wir sie erklären und gebrauchen. Wie Wittgenstein uns weise rät:

Aber lasst uns nicht vergessen, dass ein Wort keine Bedeutung hat, die ihm gleichsam von einer höheren Macht gegeben wurde, so dass man eine Art wissenschaftlicher Untersuchung anstellen könnte, um herauszufinden, was das Wort wirklich bedeutet. Ein Wort hat die Bedeutung, die jemand ihm gegeben hat. (1958: 28; dt. 1989: 52)

Ganz ähnlich schreibt Davidson: »Es ist nicht so, als besäßen Wörter etwas Wundervolles, was eine Bedeutung genannt wird und mit dem diese Wörter irgendwie verbunden wurden« (1999: 41). Nach Lage der Dinge besagt das nicht mehr als die oberflächliche, wenn auch unbestreitbare Beobachtung, dass Bedeutung etwas Konventionelles ist, in dem Sinne, dass es willkürlich ist, dass wir ein bestimmtes Geräusch oder eine bestimmte Beschriftung dazu verwenden, etwas Bestimmtes auszudrücken. Statt »analytische Philosophie« hätten wir beliebig viele andere Zeichen gebrauchen können, wie etwa den im Deutschen früher einmal vorherrschenden Ausdruck »sprachanalytische Philosophie«, der andere Konnotationen aufweist.

Diese triviale Überlegung lässt die Möglichkeit offen, dass es sich bei der analytischen Philosophie um ein robustes eigenständiges Phänomen handelt, mit einem Wesen, das durch eine Realdefinition erfassbar ist. In diesem Fall müssten alle Klassifikationsschemata, die der Wirklichkeit gerecht werden, irgendeine Bezeichnung für die analytische Philosophie enthalten. Aber es ist kaum ersichtlich, wie eine solche Behauptung bewiesen werden könnte. Wenn man der bekanntesten zeitgenössischen Konzeption von Realessenz und Definitionen Glauben schenken darf, so ist die analytische Philosophie hierfür ein wenig verheißungsvoller Kandidat. Nach Kripkes (1980) und Putnams (1975: Kap. 12) einflussreicher »realistischer Semantik« wird der Bezug von Bezeichnungen für natürliche Arten wie »Wasser« und »Tiger« nicht durch die Kriterien für ihre Anwendung bestimmt, d.h. die Erscheinungsmerkmale, anhand deren Laien die Dinge als zu diesen Arten gehörig unterscheiden (beispielsweise wie etwas aussieht oder schmeckt). Er wird vielmehr durch ein paradigmatisches Exemplar und eine geeignete »Gleichheitsrelation« bestimmt, in der alle Angehörigen der Art zu dem Exemplar stehen müssen. »Wasser« beispielsweise bezieht sich auf alles Stoffliche, das in relevanter Hinsicht dem paradigmatischen Muster ähnlich ist, d.h. jede Substanz, welche dieselbe Mikrostruktur wie dieses Muster aufweist. Demzufolge besitzen natürliche Arten – in Lockes Terminologie (Essay III.3) – nicht nur eine »Nominalessenz«, sondern eine »Realessenz«, die in unserem Fall aus H2O besteht.

Ob diese Konzeption den Bezeichnungen für natürliche Arten, für die es konkrete Paradigmen gibt, welche wissenschaftlich untersucht werden können, angemessen ist, ist umstritten (Hanfling 2000: Kap. 12; Jackson 1998: Kap. 2). Auf jeden Fall sind Bezeichnungen für philosophische Schulen keine Ausdrücke für natürliche Arten. Eine essentialistische Konzeption taxonomischer Begriffe in der Philosophie entspricht überhaupt nicht ihrer tatsächlichen Rolle. Niemand könnte ernsthaft behaupten, dass »analytischer Philosoph« auf alle und nur jene Wesen zutrifft, die dieselbe Mikrostruktur oder denselben genetischen Code besitzen wie, sagen wir mal, Rudolf Carnap oder Elizabeth Anscombe, obwohl sie paradigmatische analytische Philosophen sind. Obwohl die naturwissenschaftlichen Bezeichnungen und Unterschiede in der Lage sein mögen, »die Natur an ihren Gelenken zu tranchieren«, wie Platon es bemerkenswert formuliert (Phaedrus, 265d–266a), lässt sich dies von historischen Klassifikationen und Unterscheidungen vernünftigerweise nicht erwarten.

Selbst wenn eine Definition der analytischen Philosophie eine Nominal- und keine Realdefinition ist, kann sie nicht nach Belieben ausfallen. Nominaldefinitionen untergliedern sich in stipulierende Definitionen auf der einen und lexikalische Definitionen auf der anderen Seite. Stipulierende Definitionen legen von Neuem fest, was ein Ausdruck in einem bestimmten Kontext bedeuten soll, völlig unabhängig davon, welche feststehende Bedeutung er bereits haben mag. Eine solche Definition kann also weder korrekt noch falsch sein. Allerdings kann sie mehr oder weniger fruchtbar sein, insofern als es mehr oder weniger hilfreich sein kann, ein bestimmtes Phänomen durch eine eigene Bezeichnung herauszuheben. Im Hinblick auf Ausdrücke mit feststehendem Gebrauch ist eine uneingeschränkte Stipulierung selten ratsam. Zum einen beschwört sie Verwirrung herauf, ohne dass tatsächlich etwas gewonnen wäre. Zum anderen stehen schon existierende Ausdrücke in Beziehung zu anderen Ausdrücken, die dann ebenfalls neu definiert werden müssten. Selbst wenn eine Erklärung des Ausdrucks »analytische Philosophie« bewusst von dessen feststehendem Gebrauch abweicht, kann sie mit der Verwendung der in ihr enthaltenen Ausdrücke in Konflikt geraten. Man würde deshalb zumindest erwarten, dass »analytisch« auf eine Analogie mit chemischer oder mathematischer Analyse hindeutet und auf einen Gegensatz zur Synthese. Und es wäre gewiss inakzeptabel, wenn analytische Philosophie als etwas anderes definiert würde als eine Art von Philosophie.

Es überrascht nicht, dass die meisten Definitionen oder Erklärungen von analytischer Philosophie Anspruch auf eine Art von lexikalischer Genauigkeit erheben. Aus diesem Grund können sie danach beurteilt werden, in welchem Maße sie dem etablierten Gebrauch und der institutionellen Praxis gerecht werden. Bei der Bewertung dieser Definitionen beziehungsweise Erklärungen sollte man deshalb den gewöhnlichen Gebrauch von »analytische Philosophie«, verwandten Begriffen und Gegenbegriffen berücksichtigen. Es steht zu befürchten, dass einige Zeitgenossen diesen Rückgriff auf den gewöhnlichen Sprachgebrauch für überholt und geradezu anstößig finden werden. Ihnen sollte man aber einige Punkte in Erinnerung rufen.

Aristoteles, der sich als Erster auf die systematische Suche nach einer Konzeption von Philosophie begab, ging dabei vom damaligen Gebrauch des Wortes sophia aus (Metaphysik I.2; vgl. Tugendhat 1976: Kap. 2). Ebenso ist die Berufung auf den gewöhnlichen Gebrauch von »analytische Philosophie« ein übliches Merkmal zeitgenössischer Diskussionen über die Natur der analytischen Philosophie, vor allem, wenn es um die Kritik alternativer Auffassungen geht.

Was noch wichtiger ist, Aristoteles und die heutigen Metaphilosophen haben Recht, wenn sie dem gewöhnlichen Gebrauch ihrer jeweiligen Definienda eine wichtige Funktion beimessen. Wenn wir einer Frage der Form »Was ist X?« nachgehen, werden wir uns dabei zwangsläufig auf ein Vorverständnis von X verlassen, auf eine Vorstellung davon, was den Gegenstand unserer Untersuchung ausmacht. In unserem Falle setzen wir ein Vorverständnis von analytischer Philosophie voraus. Dabei handelt es sich nicht um eine vollständig ausgearbeitete Konzeption, die sich ja erst aus der anschließenden Diskussion darüber, was analytische Philosophie ist, ergeben kann, sondern lediglich um eine anfängliche Vorstellung, wovon die Debatte handelt. Ein solches vortheoretisches Verständnis ist in dem etablierten Gebrauch des Ausdrucks »analytische Philosophie« verkörpert. Anders gesagt, wie wir einen Ausdruck verwenden und verstehen, ist nicht nur ein harmloser Ausgangspunkt für die Klärung seiner Bedeutung, es ist der einzige Anhaltspunkt, den wir zu Beginn unserer Untersuchung haben.

Bis hierhin würden nicht nur die sogenannten Philosophen der normalen Sprache zustimmen, sondern auch einige ihrer Widersacher, insbesondere Quine (1953: 106–7). Im Geiste von Quine könnte man jedoch darauf bestehen, dass wir den Schritt vom gewöhnlichen zu einem spezialisierteren Gebrauch vollziehen müssen, der auf einer anspruchsvolleren Untersuchung des Phänomens basiert. Dies ist aber kein Einwand gegen mein Vorgehen. Der Ausdruck »gewöhnlicher Gebrauch« ist doppeldeutig. Er kann sich entweder auf den Standardgebrauch eines Ausdrucks beziehen, im Gegensatz zu seinem unregelmäßigen Gebrauch, in welchem Bereich auch immer er verwendet wird, oder auf seinen alltäglichen Gebrauch im Gegensatz zu seiner fachspezifischen oder technischen Verwendung (Ryle 1953: 301–304). Anders als »Philosophie« ist »analytische Philosophie« eine technische, hauptsächlich von professionellen Akademikern, Studierenden und Intellektuellen gebrauchte Bezeichnung. Und es ist sicherlich nichts dagegen einzuwenden, Definitionsvorschläge dem etablierten Gebrauch beziehungsweise der Standardverwendung von Fachleuten auf einem bestimmten Gebiet gegenüberzustellen, und sei es nur, um zu bestimmen, ob diese Verwendung tatsächlich ein kohärentes Muster aufweist.

Selbst wenn man meine allgemeinen (semantischen plus metaphysischen) Behauptungen akzeptiert, mag man hinsichtlich dieses speziellen Falls Zweifel haben. Keiner hat die Berufung auf den gewöhnlichen Gebrauch stärker gegen zeitgenössische Anfeindungen verteidigt als Peter Hacker. Dennoch bestreitet er, dass der Ausdruck »analytische Philosophie« einen etablierten Gebrauch hat (1998: 14). Hacker weist zu Recht darauf hin, dass »analytische Philosophie« ein Kunstbegriff und als solcher noch dazu neueren Datums ist. Daraus folgt jedoch nicht, dass er keinen etablierten Gebrauch besitzt. Ein etablierter Gebrauch muss kein alltäglicher Gebrauch sein. Tatsächlich trifft das, was Grice und Strawson (1956) im Hinblick auf die Begriffe »analytisch« und »synthetisch« deutlich machten, ebenso auf den Ausdruck »analytische Philosophie« zu. Auch wenn es uns an einer klaren und zwingenden Erklärung fehlen mag, stimmen wir im Großen und Ganzen in unserer Anwendung dieser Ausdrücke überein.

Leider laufen selbst fest etablierte und klar umschriebene philosophische Taxonomien Gefahr, falsch verwendet zu werden. Brian Magee beispielsweise bezeichnet Fichte, Schelling und Hegel als Neukantianer (1983: App. 1). Wozu braucht es bei solchen Neukantianern noch deutsche Idealisten? Der »analytischen Philosophie« geht es dabei nicht schlechter als ehrwürdigeren Bezeichnungen. Obwohl der Begriff gelegentlich falsch verwendet wird, wird ein solcher inkorrekter Gebrauch normalerweise als solcher erkannt. Man betrachte die folgende, vermutlich rhetorische Frage aus einem Rundschreiben der Continuum International Publishing Group (vom 21. Oktober 2003):

Sind Sie an der kontinentalen Philosophie von Gilles Deleuze oder Theodor Adorno interessiert oder an Philosophie der analytischen Tradition wie der von Friedrich Nietzsche und Mary Warnock?

Wer hier den Fehler entdeckt, bekommt keinen Preis.

Aus dem gleichen Grund würde es offensichtlich gegen eine Definition der analytischen Philosophie sprechen, wenn aus ihr hervorginge, dass Heidegger und Lacan analytische Philosophen sind, Carnap und Austin hingegen nicht. Es würde ebenfalls gegen eine Definition sprechen, wenn aus ihr folgte, dass Russell und Quine analytische Philosophen sind, nicht aber Frege und Hempel. Ferner sind wir uns nicht nur hinsichtlich der klaren Fälle einig, sondern auch in Bezug auf Personen, die aus verschiedenen Gründen Grenzfälle sind, zum Beispiel Bolzano, Whitehead, der späte Wittgenstein, Popper, Feyerabend und mancher Neurophilosoph. Und schließlich gilt unsere Übereinstimmung nicht nur einer fertigen Liste, sondern kann zu einer nicht abgeschlossenen Menge neuer Fälle erweitert werden. Beispielsweise wird die Durchsicht von Lebensläufen die meisten Fachleute in die Lage versetzen zu erkennen, wer auf einer Liste von Bewerbern analytischer Philosoph ist und wer kontinentaler Philosoph.

Während nichts für reines Stipulieren spricht, kann es gute Gründe dafür geben, allgemein akzeptierte Erklärungen des Ausdrucks »analytische Philosophie« abzuwandeln. Bei der Bewertung solcher Vorschläge müssen wir im Auge behalten, welche Konsequenzen sie nach sich ziehen. Revisionäre Definitionen können für historische und taxonomische Zwecke mehr oder weniger erhellend sein. So würde es gegen eine Definition sprechen, wenn sie entweder implizieren würde, dass niemand als analytischer Philosoph gelten kann, oder dass alle Philosophen analytische Philosophen sind. Denn in diesem Falle würde die Bezeichnung nichts leisten und wäre zu einem leer laufenden Rad geworden. Bestimmte Darstellungen der analytischen Philosophie haben andere indirekte Konsequenzen, nicht nur für das Selbstverständnis der analytischen Philosophie, welche Auffassung sie von ihrer Geschichte, ihren Zielen, Methoden und Resultaten hat, sondern auch dafür, wie sie sich von anderen philosophischen Bewegungen wie der traditionellen oder kontinentalen Philosophie abhebt.

Wie ich schon angedeutet habe, müssen wir bei der Beurteilung dieser Konsequenzen von einem Vorverständnis davon ausgehen, welche Philosophen generell als analytisch gelten und weshalb. Aus diesem Grund lasse ich mich von der Frage leiten, ob die vorgeschlagenen Definitionen sämtliche generell akzeptierten Fälle analytischer Philosophen ein- und sämtliche generell akzeptierten Fälle nichtanalytischer Philosophen ausschließen. Mit anderen Worten, ich werde verschiedene Konzeptionen der analytischen Philosophie zunächst an der allgemein anerkannten Erweiterung des Begriffs messen. Ja, selbst wenn eine genuine Definition der analytischen Philosophie auf eine falsche Spur führen würde, wäre es gewinnbringend zu prüfen, ob und in welchem Maße die unzähligen allgemeinen Behauptungen diesbezüglich tatsächlich zutreffen. Indem wir prüfen, ob sich diese Behauptungen als Definitionen eignen, testen wir gleichzeitig, ob sie präzise genug sind, um verallgemeinert zu werden.

Obschon die anerkannten Paradigmen analytischer Philosophie von besonderer Bedeutung sind, werde ich ebenfalls untersuchen, wie die vorgeschlagenen Definitionen auf Fälle Anwendung finden, die aus verschiedenen Gründen als Grenzfälle oder umstrittene Fälle betrachtet werden könnten. Diese Problemfälle können uns für die vorgeschlagenen Definitionen eine wichtige Nagelprobe liefern, insbesondere dann, wenn es möglich ist, diejenigen Merkmale zu bestimmen, die sie problematisch machen. Aus demselben Grund erwähne ich Bewegungen wie Poppers Kritischen Rationalismus, die sich von der analytischen Philosophie distanziert haben, aber dennoch, wie es scheint, zur analytischen Tradition gehören.

In diesem Zusammenhang sollte ich betonen, dass Selbstbeschreibungen nicht maßgeblich sind. Die Philosophen haben die Selbsterkenntnis erforscht und empfohlen, sich aber nicht immer gleichermaßen darin ausgezeichnet. Nähmen wir eigene Bekundungen als Prüfstein, so würden wir beispielsweise Derrida zu den analytischen Philosophen zählen, Fodor hingegen nicht (siehe Kap. 8.1). Es ließe sich keine fruchtbare Erklärung finden, die auf eine derartige Erweiterung des Begriffs »analytische Philosophie« passen würde.

Was ist analytische Philosophie?

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