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6. Der Zusammenbruch des logischen Positivismus

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Der Aufstieg des Nationalsozialismus zwang die meisten logischen Positivisten zur Emigration, vor allem in die USA. Bereits in den 1940er Jahren hatten ihre Auffassungen den Status von Lehrmeinungen erlangt. Bezeichnungen wie »logische«, »philosophische« und »begriffliche Analyse« waren seit Russell und Moore im Umlauf, und zu ihnen gesellten sich bald »Sprachphilosophie« und »Sprachanalyse«. Einschlägige Verwendungen des Ausdrucks »analytische Philosophie« sind jedoch erst relativ spät zu registrieren. Eine der ersten findet sich bei Ernest Nagel (1936; auch in Bergmann 1945: 194). Die Bezeichnung setzte sich erst nach dem Krieg durch, vielleicht dank Arthur Pap (1949; vgl. von Wright 1993: Fn. 41; Hacker 1996: 275–276, Fn. 3). Später wurde sie vom logischen Positivismus auf die Begriffsanalyse ausgedehnt (Beck 1962; Ayer 1959: 3; Butler 1962; Montefiori und Williams 1966). Indes hatten bereits vorher sowohl Urmsons Philosophical Analysis (1956) und das Vorwort zu Feigls und Sellars’ Readings in Philosophical Analysis (1949) nahegelegt, dass sowohl die von Cambridge ausgehende Bewegung von Moore, Russell und Wittgenstein, als auch der logische Empirismus aus Wien und Berlin, nebst ihren Fortsetzungen jüngeren Datums, als Teil eines einzigen analytischen philosophischen Ansatzes betrachtet werden sollten.

Auf diese Weise bildete sich zwischen den 1930er und den 1950er Jahren die analytische Philosophie als eine sich ihrer selbst bewusste philosophische Bewegung oder Tendenz heraus, wenngleich gespalten in zwei unterschiedliche Lager – den logischen Konstruktionismus und die Begriffsanalyse. Zur gleichen Zeit aber wurden einige, beide Lager vereinende Annahmen zunehmend in Frage gestellt. Der Hauptprotagonist dieser Entwicklung war der in Harvard lehrende Logiker W. V. O. Quine. Quine stand tief in der Schuld der logischen Positivisten. Er teilte ihre Vorliebe für künstliche Sprachen, die Überzeugung, dass die Naturwissenschaft das Paradigma menschlichen Wissens sei, ihre Vision einer Einheitswissenschaft, ihr Misstrauen gegenüber abstrakten Entitäten sowie das empiristische Credo, dass die Sinneserfahrung nicht nur die Evidenz liefere, auf der unsere Überzeugungen beruhen, sondern unserer Sprache darüber hinaus auch Bedeutung verleihe. »[Alles], was für oder gegen wissenschaftliche Theorien spricht, [kommt] aus der Erfahrung«, und »jegliche Bedeutungsgebung für Wörter [muss] letztlich auf Beobachtung basieren« (dt. 1975: 105/1969: 75). Aber ebenso wie die logischen Empiristen versucht hatten, Hume und Mach zu übertreffen, so versuchte Quine, diese zu übertreffen, indem er ihren logischen Empirismus durch eine pragmatischere Spielart ersetzte.

Quine gelangte erstmals 1951 durch seinen Aufsatz »Zwei Dogmen des Empirismus« zu Berühmtheit. Darin griff er die beiden Pfeiler, auf der die Philosophieauffassung der logischen Positivisten ruhte, heftig an, und zwar die Unterscheidung zwischen analytischen und synthetischen Aussagen und das Projekt der reduktiven Analyse. Die Wende zur Sprache habe der Philosophie eine eigenständige Rolle versprochen, ohne Rekurs auf ein zweifelhaftes platonisches Reich abstrakter Entitäten, aristotelische Wesenheiten oder eine kantische reine Vernunft. Während das Ergebnis der Wissenschaft empirische Sätze seien, die die Wirklichkeit beschreiben – und deshalb synthetisch sind –, bringe die Philosophie analytische Sätze hervor, die die Bedeutung von Ausdrücken aufrollten, welche in der Wissenschaft bzw. vom Common Sense verwendet werden.

Einen ähnlichen Standpunkt hatten auch Wittgenstein und die Sprachphilosophen vertreten. Ungeachtet der beträchtlichen Meinungsverschiedenheiten, die zwischen diesen Philosophen herrschten, akzeptierten sie doch alle, dass es einen qualitativen Unterschied gebe zwischen der Wissenschaft, die sich mit Tatsachenfragen beschäftigt und deshalb a posteriori ist, und der Philosophie, die sich mit begrifflichen Fragen beschäftigt und deshalb a priori ist. Quine brachte dieses Bild zum Umstürzen, indem er bestritt, dass es einen qualitativen Unterschied gebe zwischen scheinbar apriorischen Disziplinen wie der Mathematik, der Logik und der Philosophie auf der einen und der empirischen Wissenschaft auf der anderen Seite. Anders als Mill glich Quine notwendige Aussagen nicht einfach nur empirischen Verallgemeinerungen an. Stattdessen stellte er die Unterscheidungen in Frage, mit deren Hilfe man klassischerweise die Philosophie und Wissenschaft voneinander abgegrenzt hatte, darunter insbesondere die Analytisch-Synthetisch-Unterscheidung. Dadurch hinterfragte er die Ansicht, dass es eine bestimmte Art von Aussagen gibt, die begriffliche Beziehungen zum Ausdruck bringen statt empirische Tatsachen, und sorgte auf diese Weise für eine Neubelebung des radikalen Empirismus, demzufolge sogar die anscheinend apriorischen Disziplinen letztlich auf Erfahrung beruhen.

Quines Angriff auf die Analytisch-Synthetisch-Unterscheidung stützte sich auf zwei Überlegungen, die zum einen die Erkenntnistheorie und die wissenschaftliche Methode betrafen, zum anderen die Semantik und die Ontologie. Die erste Überlegung läuft darauf hinaus, dass die Analytisch-Synthetisch-Unterscheidung ein zweites Dogma des Empirismus voraussetzt, nämlich den »Reduktionismus«: die Ansicht, dass jede sinnvolle Aussage in eine Aussage über die unmittelbaren Erfahrungen übersetzbar ist, die diese bestätigen. Der Reduktionismus würde es einem zwar erlauben, analytische Aussagen als solche Aussagen zu definieren, die bestätigt sind, ganz gleich welche Erfahrungen auftauchen. Quine zufolge steht er jedoch im Widerspruch zur holistischen Natur, die die Entstehung wissenschaftlicher Überzeugungen auszeichnet: Unsere Überzeugungen bilden ein »Netz«, in dem jede Überzeugung mit allen anderen verknüpft ist und letztlich auch mit der Erfahrung. Das bedeutet, dass es unmöglich ist, die empirischen Belege anzugeben, die einzelne Aussagen bestätigen. Es bedeutet auch, dass jede Überzeugung aufgegeben werden kann, um andere Teile des Netzes zu erhalten, und folglich, dass es keine apriorischen Aussagen gibt, die gegen empirische Revisionen immun sind.

Quines semantisches Argument besagt, dass Analytizität zu einem Zirkel intensionaler Begriffe gehört – Begriffe, die das betreffen, was Ausdrücke bedeuten oder sagen –, die nicht auf rein extensionale Begriffe – Begriffe, die das betreffen, wofür Ausdrücke stehen oder worauf sie zutreffen – reduzierbar sind. Aber, so behauptete er mit Nachdruck, alle diese Begriffe seien dunkel, da es keine Identitätskriterien für »Intensionen« gebe: Während wir wissen, was es heißt, dass zwei Ausdrücke die gleiche Extension haben, wissen wir nicht, was es heißt, dass sie die gleiche Intension haben. In Wort und Gegenstand stützte Quine diese kühne Behauptung, indem er sein Augenmerk auf die »radikale Übersetzung« richtete, die Übersetzung einer völlig unbekannten Sprache aus dem Nichts (1960: Kap. 2). Da eine solche Übersetzung kein vorheriges Verständnis voraussetzen kann, hilft sie uns, die Tatsache zu würdigen, dass jede Übersetzung »unbestimmt« ist: Ob zwei Ausdrücke synonym sind, ist keine Tatsachenentscheidung, und deshalb gibt es keine Identitätskriterien für Intensionen. Folglich sollte eine wissenschaftliche Philosophie sie aus ihrer Ontologie beseitigen.

Das Ergebnis von Quines Assimilation des Analytischen und Synthetischen, des Apriorischen und Empirischen ist ein extremer Naturalismus. Philosophie ist ein Zweig der Naturwissenschaft oder steht mit ihr in einem Kontinuum (metaphysischer Naturalismus). Außerhalb der Naturwissenschaften gibt es keine echte Erkenntnis (erkenntnistheoretischer Naturalismus), und sie sind der einzige Maßstab für das, was wirklich ist (ontologischer Naturalismus). Die naturalistische Auffassung von Erkenntnis wiederum macht eine neue, »naturalisierte Erkenntnistheorie« erforderlich. Wie die traditionelle Erkenntnistheorie untersucht diese neue Disziplin die Beziehung zwischen unseren Überzeugungen und den empirischen Belegen, die es für sie gibt. Sie liefert indes keine »rationale Rekonstruktion« (à la Carnap) der Gründe für das Akzeptieren wissenschaftlicher Theorien, sondern – mittels einer gründlichen wissenschaftlichen Untersuchung (behavioristische Psychologie und Neurophysiologie) – die Ursachen für unsere Akzeptanz dieser Theorien. Im Fahrwasser von Quine hat diese naturalistische Auffassung von Philosophie inzwischen den Status einer Lehrmeinung erlangt, vor allem in den USA.

Der Reduktionismus und der Verifikationismus erwiesen sich folglich als die Achillesferse des logischen Positivismus, nicht nur in der Sprachphilosophie, sondern auch in der Wissenschaftstheorie. Ihr Scheitern untergrub den logischen Empirismus, doch es sollten schon bald weitere Spielarten des Empirismus hervortreten. Ebenso wie Quines Holismus verwirft Poppers Fallibilismus (1934) die Vorstellung unfehlbarer Protokollsätze. Aus verschiedenen Gründen kritisierte Popper auch das verifikationistische Sinnkriterium. Erstens sei die Trennung sinnvoller Wissenschaft von unsinniger Metaphysik weder durchführbar noch wünschenswert, da metaphysische Spekulation einen wertvollen Anreiz für die wissenschaftliche Forschung liefere. Zweitens brauchten wir keine Abgrenzung von Sinn und Unsinn, sondern von empirischen Wissenschaften und anderen Disziplinen. Das Abgrenzungskriterium schließlich könne nicht in der Verifizierbarkeit bestehen. Die Wissenschaft beruhe auf universalen Gesetzen, und diese könnten niemals schlüssig verifiziert werden, da sie eine unbestimmte Anzahl von Fällen abdecken. Es besteht vielmehr in der Falsifizierbarkeit. Eine Theorie ist wissenschaftlich, wenn sie die Ableitung von Vorhersagen erlaubt, die durch empirische Daten falsifiziert werden können. Die Wissenschaft macht Fortschritte nicht durch die Feinanpassung induktiver Verallgemeinerungen, sondern durch das Aufstellen kühner Vermutungen, die logische Ableitung von Vorhersagen aus diesen Vermutungen und ihre schonungslose Widerlegung im Lichte neuer Daten.

Theoriebildung war in den Augen der logischen Positivisten eine ahistorische Tätigkeit, nämlich die Konstruktion theoretischer Systeme, um den verfügbaren empirischen Belegen gerecht zu werden. Popper führte ein historisches Element ein, da eine Theorie hauptsächlich daran gemessen wird, inwieweit sie die Beobachtungen erklären kann, durch die ihre Vorgänger widerlegt wurden. Nichtsdestoweniger hielt er am Bild des wissenschaftlichen Fortschritts als eines linearen Prozesses statt, in dem Theorien eindeutig falsifiziert und durch neue ersetzt werden, die der Wahrheit immer näher kommen. Dieses Bild wurde durch Thomas S. Kuhn (1962) und Paul Feyerabend (1975) in Frage gestellt. Sie behaupteten, dass die Wissenschaftsgeschichte sich nicht durch rationale Wechsel von schwächeren zu überlegenen Theorien auszeichne, sondern durch »Paradigmenwechsel«, die teilweise durch nichtkognitive (z.B. soziale, ästhetische) Faktoren diktiert werden. Ihnen zufolge gibt es keine universale wissenschaftliche Rationalität, die es uns erlauben würde zu behaupten, dass Theorien jüngeren Datums objektiv besser sind als ihre Vorgänger. Desgleichen stellten sie die kantische Unterscheidung zwischen »Entdeckungszusammenhang« und »Rechtfertigungszusammenhang« in Frage, die es den logischen Positivisten erlaubt hatte, die rationale Rekonstruktion wissenschaftlicher Theorien von der Erklärung ihres (beispielsweise physiologischen oder soziologischen) Ursprungs zu trennen.

Zwar fanden sich nur wenige mit ihren relativistischen Schlussfolgerungen ab, dennoch gaben Kuhn und Feyerabend der Wissenschaftstheorie eine Wendung hin zur Wissenschaftsgeschichte und, im geringeren Maße, zur Wissenssoziologie. Seit den 1970er Jahren geriet die Beschäftigung mit Fragen der Methodologie zudem von Seiten der Metaphysik unter Druck. Die positivistischen Verbote missachtend, behaupteten Wissenschaftstheoretiker zunehmend, dass die nicht beobachtbaren theoretischen Entitäten und die Naturgesetze geistesunabhängige Eigenschaften der Realität seien und nicht bloß sprachliche Mittel der Erklärung und Vorhersage von Erfahrung.

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