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5. Logischer Konstruktionismus vs. Begriffsanalyse
ОглавлениеUnterdessen war in Cambridge eine neue Generation von logischen Analytikern herangewachsen, aus der insbesondere Frank Ramsey hervorstach. Die Analytiker aus Cambridge teilten weder den antimetaphysischen Eifer der logischen Positivisten noch deren Verifikationismus. Was sie jedoch teilten, war Wittgensteins »Extensionalitätsthese«, der zufolge einfache Sätze in einem komplexen Satz nur in der Weise vorkommen, dass der Wahrheitswert des Letzteren allein von dem Wahrheitswert der Ersteren abhängt. Des Weiteren waren sie gleicher Ansicht, was Russells empiristische Bestrebungen anging, Aussagen und Begriffe als Konstruktionen zu analysieren, die ausschließlich auf Erfahrungsinhalte Bezug nehmen. Leider waren jedoch ihre Versuche, alle sinnvollen Sätze auf wahrheitsfunktionale Konstruktionen zurückzuführen, die sich aus Elementarsätzen über Sinnesdaten zusammensetzen, ebenso wenig erfolgreich wie Carnaps heroische Bemühungen in Der logische Aufbau der Welt (1928).
Die Analyse funktionierte relativ gut, wenn es darum ging zu zeigen, dass wir – ungeachtet der grammatischen Erscheinungen – nicht an die Existenz des gegenwärtigen Königs von Frankreich, des runden Quadrats oder des durchschnittlichen Briten gebunden sind. Eine solche »logische« Analyse oder Analyse »auf derselben Ebene« zielt darauf ab, die tatsächliche logische Form eines Satzes aufzuzeigen und damit auch die darin enthaltenen Implikationen. Sie steht im Gegensatz zur »metaphysischen Analyse« beziehungsweise Analyse »auf einer neuen Ebene«, einem reduktionistischen Verfahren, das Dinge einer bestimmten Art zugunsten von Dingen einer ontologisch grundlegenderen Art eliminieren soll (Stebbing 1932; Wisdom 1934). Die Kehrseite der Analyse auf einer neuen Ebene war die logische Konstruktion, der Nachweis, wie Sätze und Ausdrücke, die scheinbar die eliminierten Entitäten bezeichneten, aus Sätzen und Ausdrücken konstruiert werden können, die allein auf Entitäten der weniger problematischen Art Bezug nehmen.
Die logische Analyse hatte sich in der Mathematik, wo Zahlen auf Mengen zurückgeführt worden waren, als mehr oder weniger erfolgreich erwiesen, in anderen Bereichen jedoch scheiterte sie. Selbst die auf den ersten Blick nicht besonders anspruchsvolle Analyse von Aussagen über Nationalstaaten als Aussagen über Individuen und ihre Handlungen erwies sich als kompliziert. Und was die phänomenalistische Reduktion von Aussagen über materielle Gegenstände auf Aussagen über Sinnesdaten anging, so erwiesen sich die Schwierigkeiten als unüberwindbar. Ein weiteres Hindernis stellte die Zuschreibung von Überzeugungen dar: Der Wahrheitswert von »Sarah glaubt, dass Blair aufrichtig ist« wird, entgegen der Extensionalitätsthese (vgl. Kap. 6.1 und Urmson 1956: 60–74, 146–162), nicht allein durch den Wahrheitswert von »Blair ist aufrichtig« bestimmt.
Was die Analyse von Begriffen angeht, gab es eine zusätzliche Hürde, das »Paradox der Analyse« (Langford 1942), das in Wirklichkeit ein Dilemma ist. Angenommen, »Bruder« wird als »männliches Geschwister« analysiert. Dann hat das Analysandum entweder dieselbe Bedeutung wie das Analysans, in welchem Fall die Analyse trivial ist und man nichts Neues erfährt, oder die beiden sind nicht synonym, in welchem Fall die Analyse inkorrekt ist.
Es ist nun verlockend, die Launen der gewöhnlichen Sprache für das Scheitern der reduktiven Analyse verantwortlich zu machen: Die vorgeschlagene Analyse vermag einfach deshalb nicht genau dasselbe auszusagen wie das Analysandum, weil das Analysandum von vornherein nichts Genaues aussagt. Eine solche Einstellung wird von einer bestimmten Richtung innerhalb der analytischen Philosophie vertreten, die als »Philosophie der idealen Sprache« bekannt ist und zu der Frege, Russell, Tarski, die logischen Positivisten und Quine zählen. Sie vertritt die Ansicht, die natürlichen Sprachen müssten aufgrund ihrer logischen Unzulänglichkeiten durch eine Idealsprache – einen interpretierten logischen Kalkül – ersetzt werden, zumindest für die Zwecke der Wissenschaft und einer wissenschaftlichen Philosophie.
Nach Carnap ist der Versuch, die den Sätzen der Alltagssprache zugrunde liegende logische Form zu enthüllen, zum Scheitern verurteilt. Die Analyse sollte stattdessen die Form einer logischen Konstruktion annehmen, nicht nur in dem Sinne, dass eliminierte aus akzeptablen Redewendungen rekonstruiert werden, sondern in dem Sinne, dass man eine völlig neue künstliche Sprache entwickelt. »Die logische Analyse eines bestimmten Ausdrucks besteht in der Aufstellung eines Sprachsystems und in der Einordnung des Ausdrucks in dieses System« (1936a: 143). Carnaps Verfahren der »rationalen Nachkonstruktion« oder »logischen Explikation« umgeht das Paradox der Analyse (1928: §100; 1956: 7–9). Das Ziel besteht dabei nicht darin, ein Synonym des Analysandums zu liefern, sondern es durch einen alternativen Ausdruck oder eine alternative Konstruktion zu ersetzen, die dem Erkenntniszweck des Originals ebenso gut dient, während es Nachteile wie Unklarheit und unerwünschte ontologische Festlegungen vermeidet. Zum Beispiel kann die Rede von Zahlen durch die Rede über Mengen von Mengen ersetzt werden. Ermutigt durch das Erscheinen von Brouwers intuitionistischer Logik, vertrat Carnap in der Logik ein »Toleranzprinzip« (1934: §17). Wir haben die Freiheit, neue logische Kalküle zu konstruieren, die allein durch die Forderung nach Konsistenz und Erwägungen wie Verständlichkeit und die Vermeidung von Verwirrung eingeschränkt ist. Diese pragmatistische Einstellung ließ ihn nicht nur gegen den Tractatus Einspruch erheben, demzufolge es eine einzige, allen sinnvollen Sprachen gemeinsame »logische Syntax« gibt, sondern brachte ihn auch gegen Philosophen wie Russell auf, die glaubten, eine ideale Sprache solle die metaphysische Struktur der Wirklichkeit eindeutig widerspiegeln.
Eine Alternative zur reduktiven Analyse und zum logischen Konstruktionismus trat von 1929 an in Erscheinung, als Wittgenstein nach Cambridge zurückkehrte und sein früheres Werk einer vernichtenden Kritik unterzog, deren letztendliches Ergebnis die Philosophischen Untersuchungen (1953) waren.
Wittgenstein gelangte zu der Einsicht, dass nichts den Anforderungen logisch unabhängiger Elementarsätze entsprechen konnte. Das hatte zur Folge, dass es logische Beziehungen zwischen Sätzen gab, die sich nicht aus der wahrheitsfunktionalen Verbindung solcher Elementarsätze ergaben. Die gewöhnliche Sprache ist kein »Kalkül nach bestimmten Regeln« (§81). Ihre Regeln sind vielfältiger, unschärfer und verändern sich öfter als die eines künstlichen Kalküls. Die atomistische Vorstellung von nicht weiter zerlegbaren Objekten und nicht analysierbaren Namen ist eine Chimäre. Der Unterschied zwischen dem Einfachen und dem Zusammengesetzten ist nicht absolut, sondern relativ zu den eigenen analytischen Werkzeugen und Zwecken. Der Zusammenbruch des logischen Atomismus untergräbt des Weiteren auch die Bildtheorie. Die Erklärung, wie Sätze mögliche Tatsachen darstellen, kann nicht lauten, dass sie Zusammenstellungen logischer Atome sind, die die gleiche logische Form aufweisen wie eine Zusammenstellung metaphysischer Atome. Darüber hinaus setzt die Möglichkeit sprachlicher Darstellung keine eindeutige Korrelation zwischen Wörtern und Dingen voraus. Die zugrunde liegende referentialistische Auffassung von Bedeutung ist in doppelter Hinsicht falsch. Nicht alle Wörter beziehen sich auf Gegenstände. Selbst im Falle bezugnehmender Ausdrücke ist ihre Bedeutung nicht der Gegenstand, für den sie stehen. Die Bedeutung eines Worts ist nicht irgendeine Art von Entität, sondern sein Gebrauch nach sprachlichen Regeln (§ 43).
Sowohl die Bildtheorie als auch der Verifikationismus beschränken sinnvolle Sätze auf Tatsachenaussagen. Wittgenstein bestreitet nun aber, dass die einzige Funktion der Sprache in der Beschreibung der Wirklichkeit besteht. Neben Tatsachenaussagen gibt es nicht nur Fragen und Befehle, sondern »zahllose« andere Arten von Sprachspielen, z.B. das Erzählen von Witzen, das Danken, Fluchen, Grüßen oder Beten. Außerdem spiegeln die konstitutiven Regeln einer gesamten Sprache, die Wittgenstein als die »Grammatik« dieser Sprache bezeichnet, nicht die Struktur der Wirklichkeit wider, sondern sind »autonom«. Sie sind weder der empirischen Wirklichkeit verantwortlich noch einem platonischen Reich von »Bedeutungen«. Zeichen »an sich« haben keine Bedeutung; wir geben ihnen Bedeutung, indem wir sie erklären und auf eine bestimmte Weise gebrauchen. Die Sprache ist kein selbstgenügsames abstraktes System, wie sie im Tractatus präsentiert wurde. Sie ist vielmehr eine menschliche Praxis, die ihrerseits in eine soziale »Lebensform« (§23) eingebettet ist.
Wittgenstein hielt jedoch fest an der Auffassung, dass philosophische Probleme in sprachlichen Missverständnissen wurzeln. Er lehnte allerdings sowohl die logische Analyse als auch die logische Konstruktion als Mittel der Klärung ab. Es gibt keine logisch unabhängigen Elementarsätze oder undefinierbare Namen, mit denen die Analyse an ihr Ende gelangt. Tatsächlich lassen sich nicht alle rechtmäßigen Begriffe durch notwendige und hinreichende Bedingungen für ihre Anwendung präzise definieren. Eine solche analytische Definition ist nur eine Form der Erklärung unter anderen. Viele philosophisch umstrittene Begriffe verdanken ihre Einheit »Familienähnlichkeiten«, Ähnlichkeiten, die einander übergreifen und kreuzen, und eben nicht gemeinsamen charakteristischen Merkmalen. Insbesondere teilen Sätze kein gemeinsames Wesen, keine einzelne Satzform. Die Vorstellung schließlich, dass die Analyse zum Vorschein bringen kann, was gewöhnliche Ausdrücke wirklich bedeuten, ist verfehlt. Die Regeln der Sprache können nicht »verborgen« sein. Ein kompetenter Sprecher muss vielmehr in der Lage sein, diese Regeln zu erkennen, da sie die normativen Maßstäbe sind, die unsere Äußerungen leiten. Um die »Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache« zu bekämpfen, bedürfen wir weder der Konstruktion künstlicher Sprachen noch der Aufdeckung logischer Formen unter der Oberfläche der gewöhnlichen Sprache. Stattdessen müssen wir unsere öffentlichen sprachlichen Praktiken beschreiben, die ein Sammelsurium von »Sprachspielen« konstituieren (§§65–88, 108, 23).
Zusammen mit Moores Philosophie des gesunden Menschenverstandes hatten Wittgensteins neue Ideen großen Einfluss auf eine Bewegung, die zu Beginn der 1930er Jahre entstand und die britische Philosophie bis in die 1960er Jahre beherrschte. Ihre Gegner nannten sie die »Philosophie der normalen Sprache« oder »Oxforder Philosophie«, da ihre herausragendsten Vertreter – Ryle, Austin und Strawson – dort lehrten.3 Diese selbst bevorzugten Bezeichnungen wie »Begriffsanalyse« und »Sprachphilosophie«. Denn sie betrachteten philosophische Probleme als begriffliche Probleme und Begriffe als etwas, was eine sprachliche Gestalt aufweist. Einen Begriff zu besitzen, heißt, die Bedeutung bestimmter Ausdrücke zu kennen; aus demselben Grund sind Begriffe weder geistige Vorkommnisse noch Entitäten jenseits von Raum und Zeit, sondern Abstraktionen von unserem Wortgebrauch.
Die Sprachphilosophen wollten philosophische Probleme nicht durch die Ersetzung der Redewendungen der natürlichen Sprachen durch künstliche Ausdrücke und Konstruktionen lösen, sondern durch ihre Klärung. Genauer gesagt, beschrieben sie den gewöhnlichen Gebrauch philosophisch problematischer Ausdrücke und stellten diesen ihrer Verwendung in philosophischen Theorien gegenüber. Wenn philosophische Probleme ihren Ursprung in unserem konkreten Begriffssystem haben, wie es die Philosophen der idealen Sprache einräumten, so wird die Einführung eines neuen Systems diese Probleme nur unter den Teppich kehren, wenn seine Beziehung zu dem älteren System nicht richtig verstanden wird. Sobald wir den Gebrauch der gewöhnlichen Sprache erläutert haben, so folgerten Begriffsanalytiker wie Strawson, brauchen wir keine künstliche Sprache mehr. Denn die Probleme entstehen nicht aus der gewöhnlichen Sprache als solcher, sondern aus der Entstellung und den Missverständnissen in philosophischen Theorien (1963; vgl. Rorty 1967: 15–19).
Was nach der Ausmusterung der logischen und reduktiven Analyse übrig bleibt, sind die begriffliche Analyse und die sprachliche Paraphrase. Philosophische Probleme werden gelöst, indem man sprachliche Ausdrücke erklärt und indem man den Status der Aussagen ermittelt, in denen sie vorkommen, und aufzeigt, was aus diesen Aussagen folgt oder woraus sie folgen. Die Struktur von »Ich habe einen Schmerz« ist dieselbe wie jene von »Ich habe eine Stecknadel«. Dennoch behauptete Wittgenstein, dass die Züge, die mit der Äußerung dieser Sätze im Sprachspiel gemacht werden, kaum miteinander vergleichbar sind (1953: §§572–573). Auf ähnliche Weise trat Ryle dafür ein, dass die Philosophie die »logische Geographie« unserer Begriffe kartieren sollte. In Der Begriff des Geistes stellte er die These auf, dass der kartesische Dualismus von Leib und Seele aus »Kategorienfehlern« resultiert: Dieser behandele geistige Begriffe, die Verhaltensdispositionen bezeichnen, als würden sie Vorgänge bezeichnen, die ähnlich seien wie physische Vorgänge, lediglich ätherischer. Ryle lehnte Wittgensteins therapeutisches Bild ab, wonach der Philosoph »eine Frage behandelt wie eine Krankheit« (1953: §255). Aber er akzeptierte, dass die Philosophie eine Metadisziplin sei, die nicht »mit Begriffen«, sondern »über Begriffe« Sinnvolles sagt (dt. 1969: 4/1949: 9–10). Das Paradox der Analyse verschwindet, denn die Aufgabe ist nicht, neue Information über ein Reich zu liefern, das außerhalb von uns liegt. Nach Wittgenstein erinnert uns die Philosophie an Regeln, die wir in der Praxis beherrschen, die uns jedoch in die Irre führen, wenn wir philosophische Überlegungen anstellen. Ryle zufolge führt sie uns von einem Wissen, wie wir Wörter gebrauchen, zu einem expliziten Wissen, dass sie gemäß bestimmten Regeln gebraucht werden. Auf keinen Fall aber ist die Analyse eine triviale Beschäftigung, da die Erklärung philosophisch interessanter Begriffe komplex und vielschichtig ist, insbesondere dann, wenn sie diese Begriffe in ihre verschiedenen (alltäglichen, wissenschaftlichen, philosophischen) Zusammenhänge stellt.
J. L. Austin verkörperte die Sprachphilosophie geradezu beispielhaft, vor allem in den Augen seiner Feinde, denn er war ein Meister der Beobachtung, was die Feinheiten des sprachlichen Gebrauchs anging – dessen, »was wir wann sagen sollten und folglich, warum wir was damit meinen sollten«. So arbeitete er beispielsweise sorgfältig den Unterschied zwischen scheinbar gleichbedeutenden Ausdrücke wie »erscheinen«, »aussehen« und »scheinen« heraus, indem er die unterschiedlichen Situationen beleuchtete, die ihre Anwendung erlauben. Sein Interesse an der Sprache war jedoch nicht allein durch den Wunsch motiviert, sprachliche Verwechslungen zurechtzurücken, und er spielte mit dem Gedanken, die sprachliche Analyse könnte zu einem Zweig der Linguistik werden (1970: 181, 231–232).Während einige Sprachphilosophen die Suche nach einer systematischen Theorie als unangebrachte Einmischung wissenschaftlicher Methoden in die Philosophie betrachteten, begründete Austin einen systematischen Ansatz zum Verständnis der Sprache, nämlich die Sprechakttheorie. Zur selben Zeit stand aber selbst Austin dem Drang nach Einheitlichkeit, den die logischen Positivisten mit der traditionellen Philosophie teilten, misstrauisch gegenüber. Im Einklang mit Wittgenstein und Ryle verurteilte er das Dogma, die Sprache habe genau eine Funktion, nämlich die Tatsachen zu beschreiben, als »deskriptiven Fehlschluss«. Außerdem beharrte er darauf, dass die gewöhnliche Sprache zwar nicht »das letzte Wort« habe, aber »das erste Wort« (1970: 103, 185; Wittgenstein 1953: §120). Alle sprachlichen Neubildungen, einschließlich die der Wissenschaft, bedürften der Erklärung, und dies könne letztlich nur mit gewöhnlichen sprachlichen Ausdrücken geschehen, die man bereits verstanden habe. Es sei deshalb eine Voraussetzung vernünftiger Philosophie, darauf zu achten, wie die zentralen Begriffe in ihrer normalen Umgebung verwendet werden, ob es sich dabei nun um die Alltagssprache handelt oder die spezialisierte Sprache einer wissenschaftlichen Disziplin.