Читать книгу Vatter - es heißt donde - Hans Jürgen Kampe - Страница 11
Endlich in Spanien
ОглавлениеDer Wecker riss Klaus aus einem tiefen Traum. Hektisch tastete er mit der Hand auf dem kleinen Nachttisch herum, bis er endlich den Ausknopf fand. Denn heute wollte er als erster ins Bad.
Die Erfahrung von gestern Abend hatte ihm gezeigt, dass er mit seiner Familie und dem kleinen Bad sehr strategisch umgehen musste. Auf Rasieren verzichtete er, damit es schneller ging, und außerdem fand Andrea einen 3 Tagesbart bei ihm ganz reizvoll. Nach einer ausgiebigen heißen Dusche weckte er Andrea, die auch versuchte, möglichst leise ins Bad zu huschen.
Jetzt kam der schwierigste Teil - die Kinder. Andrea weckte sanft Emma, die überhaupt keine Lust hatte, aufzustehen und sich knörend zur Seite wälzte. Aber es musste sein, bevor der übliche Streit zwischen den beiden Jungs begann. Dann kam Emil dran und dann am Schluss Anton, sodass Thalers tatsächlich kurz nach 6:30 Uhr am Frühstückstisch saßen.
Das Frühstück war Französisch und eher etwas karg.
Jeweils ein Croissant, etwas Weißbrot, Margarine und ein wenig Marmelade. Die Eltern tranken Milchkaffee um endlich wach zu werden und die Kinder Kakao. C`est ca. Andrea hatte für jeden noch eine Banane eingepackt, damit die Familie wenigstens ein paar Ballaststoffe bekam.
Gegen 7:00 Uhr durfte die beleidigte Mila mit Emil und Anton noch einen kleinen Gang um die vier Ecken machen. Denn der Hund stand bereits unter 8 Atü Druck und hätte wenig später sein Geschäft im Auto erledigt.
Um 7:30 Uhr starteten Thalers tatsächlich zu ihrer zweiten Tagesetappe. Nach den gestrigen 1100 km jetzt noch mal fast 1000 km nach Süden. Und das bei steigenden Temperaturen.
Orange hat den Vorteil, dass es an der Autobahngabelung der A7 Richtung Marseille und der A9 nach Nimes, Montpellier, Narbonne, Perpignon und der spanischen Grenze liegt.
Diese Autobahn mussten Thalers jetzt fahren. Die Kinder waren halbwegs zufrieden und wetteten, wer als erster das Mittelmeer sehen würde. Klaus liebte die Wärme und die sich ändernde südliche Landschaft mit ihrem mediterranen Flair. Andrea ärgerte sich allerdings stillschweigend über die immer wieder auftauchenden Kühltürme der Atomkraftwerke, deren dicke Wasserdampfsäulen steil in den blauen Himmel stiegen.
Die Autobahn war wenig befahren und nach einer knappen Stunde hatte Emil hinter Montpellier als erster das Mittelmeer entdeckt. Emma wollte auch einen Preis gewinnen und sah als erstes die Berge - die Pyrenäen. Wie eine Wand erhoben sie sich gegen den blauen Himmel. Eine natürliche Mauer, die Frankreich und Spanien trennt.
Die Autobahn wurde kurviger und stieg jetzt deutlich an. Kurz vor der Grenze leuchteten die Rücklichter von vielen PKW und Lkw auf. Stau. Keiner wusste den Grund.
Nur ganz langsam ruckte es und nach einer halben Stunde hatten sie die spanische Grenze erreicht.
Links thronte ein großes Denkmal; die aus rötlichen Natursteinen erbaute Pyramide von Le Perthus, einem lang gestreckten Dorf an der Grenze. Die Pyramide war über steile Stufen begehbar und sollte die Einheit von Katalonien symbolisieren. So hatte es der Architekt Ricardo Bofill 1976 ausdrücken wollen.
Aber darauf achteten Thalers jetzt nicht, denn es kamen zwei mit MP`s bewaffnete spanische Grenzpolizisten ans Auto. Mürrischer Blick, grüne Uniform, schwarze Gürtel, schwarze Springerstiefel und schwarze Baskenmützen.
“Papiere bitte!“ bellte der Ältere. Klaus wagte einzuwenden, dass doch in Europa freie Fahrt garantiert sei. Darauf mussten Thalers rechts auf einen Parkplatz fahren und aussteigen.
“Freie Fahrt haben sie auch, Senor. Aber erst wenn wir unsere Drogenkontrolle durchgeführt haben. Es gibt Gründe, dass wir zur Zeit Stichproben Untersuchungen durchführen müssen. Bitte öffnen Sie die Skibox!“
Also musste Klaus die Box aufschließen, und ein Grenzpolizist begann das Gepäck zu durchsuchen. Nach kurzer Zeit entdeckte er eine dubiose braune Tüte.
“Was ist das, Senor?“ Der ältere zeigte auf den kräuterartigen Inhalt. “ Weidenröschen“, antwortete Klaus, der seit einigen Jahren morgens regelmäßig diesen Kräutertee trank. Sein 90-jähriger Onkel hatte ihm irgendwann mal erzählt, es gäbe nichts Besseres für die Prostata, die Klaus auch mit Mitte 40 bereits hegen und pflegen wollte.
Aber mit Weidenröschen konnte der spanische Grenzer auch in gebrochenem Englisch überhaupt nichts anfangen. Und so versuchte Klaus das Ganze zu erklären.“ Weidenröschen - das ist wie, ja wie Gras irgendwie.“
Gras, ja das verstanden die beiden Grenzer besser und sofort verfinsterten sich ihre Minen noch mehr.
“Wir holen Frodo. Sie bleiben am Auto stehen und geben ihre Pässe ab!“
Frodo war ein ausgebildeter Drogenhund, ein schwarz brauner Rottweiler Rüde, der geifernd und knurrend herangeführt wurde und mit dem kleinen, freundlichen Hobbit nichts gemein hatte. Außer, dass er auch sehr große Füße besaß. Auf jeden Fall war der Hund größer und schlechter gelaunt als der kleine Hobbit.
“Heckklappe auf, Koffer raus!“ blaffte der ältere Grenzpolizist deutlich unfreundlicher. Klaus öffnete die Heckklappe und holte die Koffer raus.
“Öffnen, und der Hund muss aus der Box raus!“ Der Hundeführer zeigte auf Mila. Also öffnete Klaus die Koffer, die Frodo sofort beschnüffelte. Und dann holte er Mila aus der Box.
Und das war nach dem Grasvergleich sein zweiter schwerer Fehler. Denn Mila war gerade heiß, sogar super heiß. Auf dem Höhepunkt ihrer Hitze. Sie kochte. Jeder Rüde war herzlich willkommen.
Das roch auch die empfindliche Nase von Frodo sofort und er ließ spontan die Koffer Koffer sein. Denn wie Klaus normalerweise gern sagte: So ein Hund ist eben auch nur ein Mensch!
Mit einem Glücksjaulen riss sich Frodo von seinem Hundeführer los und besprang Mila, dass es für die Hunde die reine Freude war. Klaus und Andrea waren entsetzt. Anton lachte heftig und Emil war so peinlich berührt, dass er seiner kleinen Schwester Emma sofort die Augen zuhielt. Aber Emma interessierte das, was passierte, jetzt gerade brennend und sie riss sich wieder los.
“Was macht der große Hund mit unserer Mila?“
Klaus war es furchtbar unangenehm, zumal er Emma noch kein bisschen aufgeklärt hatte.
“Sie kopulieren“, erklärte er gestelzt. Emma konnte damit nichts anfangen. Die mittlerweile drei Grenzpolizisten standen um das Hundepaar herum und grinsten. Der Hundeführer bildete mit den Fingern und den Daumen der linken Hand einen Kreis wie ein Gefäß und schlug mit der flachen rechten Hand mehrmals auf die Öffnung.
“Amor“, lachte er und ließ Frodo weiter gewähren. Es wäre auch zwecklos gewesen. Der pflichtvergessene Frodo hätte ihn eher gebissen, als von Mila abzulassen.
Aber mittlerweile dauerte das Spektakel doch zu lang. Eigentlich hätten beide Hunde relativ zügig fertig sein müssen, aber Frodo kam nicht mehr runter.
“Ich glaube, ihre Hündin hat einen Krampf, Senor.“ Der Hundeführer schien sich damit auszukennen. Anscheinend nicht der erste Krampf, den Frodo verursacht hatte.
Jetzt versuchte Mila sich jaulend zu befreien, schnappte nach Frodo, drehte und wendete sich so lange, bis sie eine neue Stellung hatten. Hintern an Hintern - aber von Lösung keine Spur. Jetzt schien es auch Frodo zu missfallen, denn auch er begann zu jaulen.
Da endlich reagierte der Hundeführer. “Aqua“, murmelte er und holte einen Wassereimer, dessen Inhalt er auf beide Hunde goss. Aber nichts passierte. Mila krampfte noch mehr.
Da hatte Emma eine Idee. Denn sie hatte mit Mila von klein auf Kunststückchen eingeübt.
Zum Beispiel “Wie macht der Kampfhund?“ Mila knurrte dann böse und bellte. Oder “Wie lacht der Hund?“ Emma hatte mit viel Geduld und noch mehr Hundeleckerli erreicht, dass Mila dann die Zähne bleckte und die Schnauze wie ein Lachen aussah. Oder “Schäm dich!“ Mila legte sich dann flach auf den Boden und legte beide Vorderpfoten verschämt auf ihren Kopf.
Aber hier benutzte Emma ein anderes Kunststückchen.
“Mila: Peng!“ Emma bildete mit beiden Händen eine Art Pistole und zeigte auf ihren Hund. “Mila, Peng!“ schrie sie noch mal lauter und schon ließ sich der konditionierte Hund auf den Boden fallen und stellte sich tot. Gott sei Dank war das die Lösung. Denn Frodo wurde zwar etwas mitgerissen, war aber mit einem sanften Plop wieder frei.
Die drei Grenzpolizisten spendeten Beifall.“Bravo, Bravissimo!“ lobte der Hundeführer.
Emma holte aus dem Auto zwei Hundeleckerli. Eins bekam die sichtlich geschwächte Mila und eins der etwas verwirrte Frodo.
Die drei Grenzer winkten ab. “Sie können wieder einpacken, Senor. Und dann gute Fahrt.“ Der ältere gab ihnen mit einem Tippen seiner rechten Hand an seine Baskenmütze ihre Ausweise zurück. Dann drehten sie sich um und wendeten sich den nächsten Autos zu.
Völlig unnötig, dachte Klaus. Der Stau, die Kontrolle und das Malheur mit Mila haben uns über eine halbe Stunde Zeit und viel Nerven gekostet.
“Jetzt ärgere dich doch nicht, Papi. Ich hab‘ den drei Polizisten aus Rache gerade die Zunge rausgestreckt“, tröstete Emma ihren Vater.
„Um Gottes Willen, jetzt lass uns lieber schnell fahren, bevor die es sich noch mal anders überlegen“, drängte Andrea. Nach wenigen Minuten waren die Koffer im Auto, Mila wieder in der Box, die Skibox war geschlossen und die Kinder waren auf den Rücksitzen angeschnallt. Es konnte endlich weitergehen.
Die Autobahn schlängelte sich durch das Tal des Rio Llobregat abwärts, an der Grenzstadt La Jonquera vorbei bis in die Ebenen. Viele Pappeln und andere Laubbäume säumten die Straße. Klaus gab wieder Gas, weil er wusste, in Spanien wurden Radarfallen vorher angekündigt. Und jetzt passte er besser als in Frankreich auf.
Die Fahrt verlief unproblematisch.
Beim Umfahren des verwirrenden Autobahnrings um Barcelona musste Andrea wieder mit auf die richtigen Abfahrten achten. Hinter Tarragona, bei Salou entdeckte Emil mit großer Begeisterung die riesige Achterbahnanlage des Freizeitparks Port Aventura an der Küste.
Und Anton sah das erste Mal einen Erlkönig. Beziehungsweise zwei. Denn zwei vollkommen unkenntlich verklebte Wagen überholten sie. Es entspann sich ein kleiner Streit zwischen Anton und seinem Vater.
Klaus war der Meinung es wären zwei brandneue Mercedes Coupe`s gewesen. Anton schwörte, dass es der neue dreier BMW wäre. Bis Andrea zu Bedenken gab, dass die Wagen ein Ingolstädter Kennzeichen hatten. Also wahrscheinlich zwei Audi.
Anton und Klaus wurden darauf etwas stiller. Allerdings bemerkte Anton, dass es sich ja auch um eine Perfektionierung der Täuschung handeln könnte, in dem die BMW einfach nur in Ingolstadt angemeldet worden wären.
Das Gespräch verlief ergebnislos im Sande.
Zwei Pausen an spanischen Raststätten mit Tanken, Essen, Trinken, Pippi machen, Gassi gehen mit der sicherheitshalber angeleinten Mila lockerten die Fahrt etwas auf.
Hinter Valencia staute es sich wieder, weil ein Laster mit Orangen umgekippt war und die gesamte Fracht von gut 5 Tonnen über die Autobahn verteilt lag. Die Autos mussten vorsichtig und langsam vorbeifahren. Es matschte extrem. Überall Orangenbrei und ein wunderbarer, intensiver Geruch nach Orangenmarmelade.
Auch hier in Spanien musste Andrea wieder Kleingeld bereithalten, damit die zahlreichen Mautstellen schnellstens bezahlt werden konnten. Um die aus seiner Sicht unnötige und sowieso viel zu teure Maut zu sparen, beschloss Klaus, hinter Valencia die Küstenautobahn zu verlassen und auf eine autobahnähnliche, aber gebührenfreie Schnellstraße auszuweichen.
Die führte ins Landesinnere, vorbei an der Serra Grossa und den Montes de Chinchilla. Fast hätte Klaus die Abfahrt bei Almansa verpasst um auf die Landstraße nach Yecla zu kommen.
Emma wurde es auf Landstraßen in den Kurven regelmäßig schlecht. Also durfte sich Emma nach vorne auf den Beifahrersitz setzen, wo es ihr etwas besser ging und Andrea musste nach hinten. Klaus zwang sich langsam zu fahren und nahm sich zum x-ten Mal vor, nicht immer an der falschen Stelle zu sparen.
Kurz vor Banos de Fortuna kam die Lieblingsstelle der Kinder.
Nach einer langen Geraden führte die Landstraße über eine steile Kuppe und fiel danach wieder ab. Emil erkannte das Straßenstück als erster.
“Papa, jetzt gib aber richtig Gas.“ “Papi, fahr schneller“, auch Emma erinnerte sich begeistert. “Vatter, los gib ordentlich Gummi!“ heizte Anton die Stimmung an. Andrea blinzelte Klaus aufmunternd zu, der das Gaspedal durchtrat und den Kombi bis auf verbotene 120 km/h beschleunigte.
Das vollbeladenen, schwere Auto, machte einen gewaltigen Satz über die Kuppe. Die Räder verloren kurzzeitig die Bodenhaftung und die Kinder schrien begeistert auf. Emma empfand immer so ein angenehmes Kitzeln im Bauch, wenn das Auto einen solchen Sprung machte und die beiden Jungs fanden das fast so cool wie eine Achterbahnfahrt.
Klaus war jedes Mal froh, wenn die Radaufhängung heil blieb und bremste das Auto wieder auf die vorgeschriebenen 80 km/h runter.
“Wenn man mit solchen kleinen Dingen den Kindern eine lange, anstrengende Fahrt versüßen kann, ist es doch prima. Und das Beste ist, es kostet nichts“, dachte Klaus erleichtert.
Es wurde dann doch 19:00 Uhr als sie erschöpft aber glücklich am Tor der Großeltern standen und Emma die schwarze Glocke läuten durfte.