Читать книгу Vatter - es heißt donde - Hans Jürgen Kampe - Страница 9
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Klaus startete wortlos den Motor und fuhr Richtung Rheinbrücke. Der breite Strom faszinierte die Familie und lenkte von Klaus Missgeschick etwas ab. Die große Grenzanlage zu Frankreich war verwaist, sodass Thalers ohne Stopp durchfahren konnten. Aber ab jetzt galt Tempo 120. Klaus musste deutlich runter mit der Geschwindigkeit und stellte den Tempomat auf 135.“ So viel Toleranz muss schon sein“, war sein Motto, und außerdem drängte die Zeit jetzt wirklich.
Andrea hatte sich viel Kleingeld eingesteckt, um die regelmäßig fällig werdende Maut passend und schnell bezahlen zu können.
Die Jungs staunten, als sie an dem riesigen Lager von Peugeot vorbekamen. Tausende von Autos standen auf einem großen Platz an der Autobahn. In den Montagnes du Lomont Richtung Besancon wurde es bergiger, und es kamen mehr Kurven, sodass Klaus doch auf die 120 km/h untergehen musste.
Klaus liebte es, mit dem Auto in den Süden zu fahren. Der langsame Übergang von steigender Temperatur, mehr Sonnenschein, anderer Landschaft, anderen Pflanzen sowie einer sich ändernden Architektur der Häuser mit anderen Farben, anderen Dachformen und Ziegeln, faszinierte ihn immer wieder und verstärkte die Vorfreude auf den Urlaub.
Endlich kamen sie südlich von Dijon auf die A6 Richtung Lyon. Die gut ausgebaute Autobahn nach Süden war bequem und schnell zu befahren. Klaus stellte den Tempomat auf 140.
Andrea döste wieder etwas. Die Kinder hörten Musik. Alles war friedlich.
“Papi.“ “Ja, mein Schatz.“ “Papi, was ist ein Radar?“ Klaus fühlte sich geschmeichelt, wenn er den Kindern etwas erklären konnte.“ „Ein Radar haben zum Beispiel Schiffe, aber auch Flugzeuge. Dann können Sie erkennen, wo sie sich befinden und ob andere Schiffe oder Flugzeuge ihnen zu nahekommen.“ “ Aber hier auf der Autobahn gibt es doch gar keine Schiffe oder Flugzeuge.“ “Na, Emma, hier gibt es ja auch kein Radar“, meinte Klaus schmunzelnd. “Doch Papi, eben war ein großes Schild an der Seite, da stand drauf: Radar. Ganz ehrlich.“
Klaus sträubten sich die Nackenhaare und seine Synapsen übersäuerten spontan. Im gleichen Moment glitt sein rechter Fuß reflexhaft vom Gaspedal auf die Bremse und drückte das Pedal heftig nach unten. Die Kinder und die dösende Andrea wurden heftig nach vorne gedrückt. “Was soll das denn, hier ist doch kein Stau“, wunderte sich Andrea. “Nein, aber der Vatter hat gerade die nächsten 50 € verbraten“, verkündete Anton triumphierend.
Klaus sagte lieber nichts. Sie fuhren jetzt parallel zur Saune, einem Fluss, der bei Lyon in die Rhone mündet.
Klaus konzentrierte sich auf den stärker werdenden Verkehr vor Lyon und auf die richtige Abfahrt auf die Autobahnumgehung der Großstadt. Denn er hatte schon einmal den Fehler gemacht und war auf der A 6 geblieben. Mit dem Resultat, dass er sich durch die ganze Riesenstadt mit vielen Staus quälen musste.
Ein solcher Zeitverlust wäre heute nicht mehr drin. Also half Andrea, die richtige Abfahrt zu finden, sodass sie nach einer guten dreiviertel Stunde endlich auf der Route du Soleil, der A7, fuhren. Jetzt durfte nichts mehr schief gehen. Klaus fuhr wieder schneller, sodass sie nach einer weiteren kurzen Pause tatsächlich 10 Minuten vor Schließung des Hotels in Orange ankamen.
Es handelte sich um ein einfaches, zweigeschossiges Familienhotel, mit standardisierter Ausstattung und nur einem Portier, ansonsten kein Personal.
Klaus hatte das Hotel im Internet gefunden und Andrea mit den Worten “Billig, aber nur etwas geschmacklos“, präsentiert. Andrea hatte letztlich seufzend zugestimmt. Auch weil das Hotel von der Autobahnabfahrt nicht weit entfernt lag und unkompliziert zu finden war. Was Andrea nicht wusste war, dass Klaus in seinem ausgeprägten Hang zur Sparsamkeit nur ein Familienzimmer für alle reserviert hatte.
Ein enges Doppelbett für die Eltern, ein Stockbett für die zwei Brüder, und einen ausziehbaren Schlafsessel für Emma. Die Krönung war aber das sehr kleine Duschbad für die gesamte Familie.
Andrea war sauer. Die Jungs waren auch eingeschnappt und wollten weder mit den Eltern noch mit ihrer Schwester in einem Zimmer schlafen. Emma war es egal. Sie hatte ihre Stoffmaus Mimi schon im Bett platziert und fühlte sich wohl. Und es war kein anderes Zimmer mehr frei. Der Portier bestätigte Andrea, dass das Hotel bereits ausgebucht wäre.
“Papa, das das kostet dich aber heute Abend eine Runde Pizza“ forderte Emil. “ O. k., die habt ihr euch auch wirklich verdient“, beruhigte Klaus die Jungs. “ Und wir zwei trinken einen schönen Rotwein zusammen“, zwinkerte Klaus Andrea zu.
Klaus und Andrea gefiel Orange immer wieder. Die angenehme Temperatur auch abends, die schon mediterran beeinflussten Pflanzen mit einer Vielzahl von Blüten, die alten, liebevoll restaurierten Häuser mit den Pastellfarben und den charmanten Holzklappläden, eine gut erhaltene Altstadt mit engen, romantischen Gassen, die Mönch und Nonne genannte Tonziegeleindeckung der flach geneigten Satteldächer und vor allem, die gut erhaltenen Reste der römischen Kultur zeigten Ihnen, dass sie sich schon in einer ganz anderen Welt befanden. Jetzt begann der Urlaub.
Überall fast 2000 Jahre alte Portale, ein römisches Monumentaltor, eines der am besten erhaltenen römischen Theater und ein Gewölbe aus römischer Zeit, in der sich ihre Lieblingspizzeria befand.
Mila musste allerdings draußen im Auto bleiben. Sie bekam einen Kauknochen aus Pansen, an dem sie genüsslich nagte. Überhaupt war Mila vollkommen pflegeleicht und der ideale Reisehund.
Es dauerte, bis das Essen kam, und so wurde es doch 24 Uhr, bis Thalers wieder im Hotel ankamen und mit ihrer Code Nummer die Schranke zum Parkplatz, die Hoteltür und ihr Zimmer öffnen konnten.
Aber jetzt begann das Chaos.
Jeder wollte zuerst in das kleine Bad. Anton hatte es tatsächlich mal wieder als erster geschafft und sich ins Bad gedrängelt. Und jetzt stand Emil vor dem Bad, pochte ungeduldig mit der Faust an die verschlossene Tür und rief:“ Wehe, du kackst!!“
Darauf ertönte Antons Stimme aus dem Bad:“ Wenn du so heftig an die Tür klopfst, kriege ich einen Darmverschluss. Dann geht überhaupt nichts mehr und es dauert umso länger.“
Andrea mischte sich jetzt ein. “Anton, mach hin. Wir müssen morgen früh raus, und alle anderen wollen auch noch ins Bad!“ Und Klaus drohte seinem Ältesten:“Anton, muss ich dich vielleicht erst abschneiden, damit es schneller geht?“
Nach 10 Minuten kam Anton feixend raus und Emil verschwand im Bad, während er sich demonstrativ die Nase zu hielt. Klaus sah es jetzt ein, dass das Familienzimmer ein Fehler war. Bis alle im Bett waren, wurde es dann doch nach 1:00 Uhr.
Andrea hatte wie immer einen gesegneten Schlaf und fing kurz nach dem Einschlafen an zu schnarchen. Emma kuschelte sich mit ihrer Stoffmaus Mimi. Emil hörte etwas Musik mit dem Kopfhörer und Anton checkte noch die neuesten Posteingänge auf seinem Handy. Und Klaus bekam langsam Atemnot. Denn er war ein Frischluftfanatiker.
Zuhause schlief er nur bei weit geöffnetem Fenster. Aber das Fenster im Hotel ließ sich nicht öffnen. Sonst hätte der Schallschutz zur Autobahn nicht funktioniert. Lediglich eine Belüftungsanlage säuselte leise und brachte etwas frische Luft in das Zimmer.
Viel zu wenig, dachte Klaus, der schon einen ganz trockenen Mund hatte und sich ausrechnete, dass die Familie wahrscheinlich gegen 5 Uhr morgens endgültig erstickt wäre.
Und Emma jammerte jetzt:“Bei dem Schnarchen von der Mama kann ich gar nicht schlafen.“ Klaus und den beiden Jungs ging es genauso. Klaus war sowieso seit Jahren der Meinung, dass seine Frau der einzige Mensch auf der Welt wäre, bei dem sich das Schnarchen sogar zweistimmig anhören würde. Sozusagen ein nächtliches Eigenduett.
Zu Hause hatte Klaus immer eine Packung Ohrenstöpsel aus Wachs parat liegen. Die hatte er jetzt natürlich vergessen einzupacken. Nach 10 Minuten sinnlosen Rumwälzens fällte er eine Entscheidung. “Anton, du sprichst doch etwas Französisch.“ “Na ja, so halbwegs, du kennst doch meine letzte Note. Eine vier mit Rücksicht auf die Eltern.“ “Aber zum Einkaufen von Ohrenstöpseln wird es wohl reichen. Wir suchen uns eine Apotheke, die Nachtdienst hat und besorgen uns eine Familienpackung.“ “Hab aber keine Lust, noch mal aufzustehen. Nimm ein Papiertaschentuch und stopf dir das ins Ohr; am besten du machst es vorher nass.“
Also stand Klaus resigniert auf, marschierte ins Bad und bastelte vier von Hand gemachte Ohrenstöpsel aus Papiertaschentüchern.
Zwei Stöpsel versuchte er bei Emma ins Ohr rein zu bohren und zwei waren für ihn. Der Versuch, Emma auf gehörlos zu stellen, scheiterte bereits beim ersten Anlauf grandios. “Papi, auf dem einen Ohr hör ich weiter was.“ Dann leg dich halt auf das Ohr und versuch‘, einzuschlafen.“ “Und bei der anderen Seite ist das Papier ganz tief ins Ohr reingerutscht und drückt jetzt ganz toll.“
„Merde, Merde, Merde!“ Klaus passte sich mit seinen minimalistischen Französischkenntnissen schnell der Umgebung an.
Es half alles nichts. Er musste ins Bad, eine Pinzette aus dem Etui raussuchen und Emma beide Papierstöpsel wieder aus dem Oh rauspulen. Und das bei Dunkelheit, um Andrea und die beiden, jetzt einschlafenden Jungs, nicht zu wecken.
Die hatten es einfach. Auch Anton hatte sich seine Kopfhörer aufgesetzt und versuchte, mit leiser Musik einzuschlafen. Also musste Klaus allein losfahren. Im Hotel war sowieso niemand mehr, der ihm Auskunft geben konnte, sodass Klaus sicherheitshalber sein kleines Französisch Reisewörterbuch mitnahm. Schlafanzug aus, Jeans und Pullover an und los ging‘s.
Klaus hatte Mila, die auch im Zimmer schlafen sollte, mitgenommen und wieder in ihrer Autobox verfrachtet. Denn Mila musste nicht auch noch das letzte bisschen Beinfreiheit im Zimmer in Anspruch nehmen. Zudem hatte der Hund einen Mundgeruch wie eine seit 8 Tagen offenstehende Fischdose.
“Und außerdem verbraucht der Köter noch die letzten freien Sauerstoffmoleküle“, murmelte Klaus genervt. Mila war zuerst bockig, hatte keine Lust ihre Reisedecke zu verlassen, fügte sich dann aber in ihr Schicksal und sprang in ihre Autobox.
Langsam fuhr Klaus aus der Einfahrt, nachdem er die Schranke mit der Codenummer geöffnet hatte. Auf der Hauptstraße entdeckte er bald das bekannte Kreuz auf der Leuchtwerbung. Es wäre zu schön gewesen, aber die Apotheke hatte natürlich geschlossen.
Gott sei Dank konnte Klaus das kleine Schild lesen, auf dem die nächste offene Apotheke mit Nachtdienst stand. Die Straße sagte Klaus überhaupt nichts, und natürlich hatte er weder einen Stadtplan noch sein iPhone dabei.
Nachdem er mit viel Glück einen späten Nachtschwärmer in katastrophalem Französisch nach der Straße fragen konnte, hatte er nach 15 Minuten endlich die geöffnete Apotheke mitten in der Altstadt in der Rue St. Martin gefunden.
Seine bekannten Wachsstöpsel hatten sie nicht, aber ein ähnliches Produkt, was Klaus samt dem Nachtzuschlag frustriert bezahlte.
Als er dann gegen 2:30 Uhr ins Hotel zurück kam, nachdem er eine Irrfahrt durch die kleinen Einbahnstraßen in der Altstadt hinter sich hatte, und zunehmend genervt dreimal den falschen Code an der Schranke zum Parkplartz eingetippt hatte, schlief auch Emma tief und fest. Den Jungs nahm er vorsichtig die Kopfhörer ab und stellte die Musik aus. Andrea hatte sich mittlerweile eingeschnarcht und Tempo und Lautstärke ihrer Schnarchtöne deutlich erhöht.
Klaus ließ noch einen Moment die Zimmertür offenstehen, um wenigstens ein paar Moleküle der abgestandenen Flurluft ins Zimmer zu lassen, denn die Luft war jetzt zum Schneiden.
Nachdem er sich hastig ausgezogen hatte, legte er sich ziemlich erschöpft in das viel zu schmale, viel zu weiche und viel zu kurze Doppelbett neben Andrea, stellte den Wecker auf 6:00 Uhr, statt auf die geplanten 5:00 Uhr und zerrte genervt an der Bettdecke über Andrea, um auch ein Stück zu ergattern.
Dann schraubte er sich zwei Wachskugeln in die Ohren und endlich fiel die Spannung dieses hektischen Tages wie ein Stein von ihm ab, er konnte loslassen und erschöpft einschlafen.