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Besuch bei den glücklichen Großeltern
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Herbert und Gisela kamen lachend aus dem Haus gelaufen und Herbert öffnete das schwarze Eisentor.
Umarmungen, Küsschen, Fragen wie die Fahrt war, kommt doch erst mal rein, jetzt müsst ihr aber was trinken, ihr müsst doch Hunger haben...........Die glücklichen Großeltern redeten durcheinander und bugsierten die drei Kinder und Andrea ins Haus.
Klaus fuhr seinen Kombi auf den Kiesplatz vor der Garage und Herbert schloss das Tor wieder ab.
Die Erwachsenen bekamen von Herbert einen herben Roten eingeschenkt und Gisela stellte Schafs- und Ziegenkäse sowie Oliven vom Markt dazu. Die Kinder freuten sich über Omas selbst gemachte Zitronenlimonade mit Eisstückchen und einem dicken Strohhalm.
“Oma, Mila kann schon kondolieren. “Emma war stolz auf das neue, fremde Wort, dass sie sich gemerkt hatte. “Wie, das hast du ihr auch schon beigebracht? Wie macht sie das denn, kondolieren? Und ist denn jemand gestorben?“, wunderte sich Gisela.
„Weiß nicht, aber Anton hat zu Emil geflüstert, dass Mila bestimmt auch einen schönen Organismus gehabt hätte.“
Und dann erzählte Emma die Geschichte von Frodo dem Drogenhund und Mila an der Grenze zu Frankreich.
Gisela war etwas peinlich berührt und wusste, dass Emma falsche Wörter benutzt hatte, korrigierte sie aber lieber nicht. Sie streichelte Mila und sagte Emma, dass sie doch sehr froh wäre, dass Emma und die Jungs einen so klugen Hund hätten.
Klaus hatte es sich auf der Terrasse bequem gemacht, die in der warmen Abendsonne ein geschütztes Plätzchen bot.
“Sag mal, wie macht ihr es denn dann mit den Hundebabys?“, fragte Herbert seinen Schwiegersohn, als er dessen Version der Grenzgeschichte gehört hatte. Klaus fuhr der Schrecken in die Glieder. Soweit hatte er noch gar nicht gedacht. Ein Haufen voll kleiner Frodos wäre das letzte, was sie gebrauchen könnten.
“Was können wir denn dagegen machen? Andrea und ich wollen mit Sicherheit keine weiteren Hunde haben“, flüsterte Klaus, der Angst hatte, dass Emma etwas mitkriegen könnte und dann den ganzen Urlaub nur von Hundebabys schwärmen würde. “Ihr müsst jetzt schnell sein. Es wird bestimmt eine Spritze danach geben, die jetzt noch wirkt. In Orihuela gibt es einen Tierarzt, der kann euch sicherlich helfen“, riet Herbert. “Kannst du bitte mitkommen? Allein finde ich das nie, und ich kann mich ja auch nicht richtig verständigen“.
Also erzählten Klaus und Herbert den Kindern, dass sie noch etwas Hundefutter einkaufen wollten und Mila mitnehmen würden. Gisela und Andrea wurden eingeweiht und lenkten die Kinder mit einem Spaziergang zum Thermalbad ab. Außerdem gab es das Versprechen, dass die ganze Familie morgen in das warme Bad gehen würde.
Nach einer guten halben Stunde hatten Klaus und Herbert das kleine, unscheinbare Haus des Tierarztes am Rande eines Gewerbegebietes in Orihuela erreicht. Klaus hätte das Haus niemals allein gefunden.
Während Herbert in dem nahe gelegenen Supermarkt verschwand, um das besprochene Hundefutter zu kaufen, trat Klaus mit Mila in die winzige Praxis im Erdgeschoss des Hauses.
An einem Tresen gegenüber dem Eingang saß die ältere Frau des Tierarztes, eingehüllt in eine braune Strickjacke und schaute Klaus fragend an. “Prego, bitte?“ forderte sie Klaus auf. Klaus versuchte sich zu konzentrieren und an seine paar Brocken Spanisch zu erinnern. “Ich brauche, äääh, necesito oder quierro, ääh un Infusion contra Babys, also für den Hund, den Perro.“ Klaus zeigte unsicher auf den Hund.
“Un infusion, seguro - sicher?“ wiederholte die wohlbeleibte, blond gefärbte Tierarztfrau zweifelnd. Klaus nickte. “Qui, qui“, antwortete er in seinem katastrophalen Schulfranzösisch.
Die Frau verschwand wortlos. Nach 3 Minuten kam sie aus dem Nebenzimmer und hielt eine Tasse Kamillentee in der Hand.“ Prego, su Infusion! Pero estamos un veterinario - aber wir sind ein Tierarzt, Senior. Oder haben Sie etwas mit dem Magen?“
In dem Moment kam Herbert in das Vorzimmer rein und staunte über Klaus mit seinem Tee.“ So gastfreundlich sind die sonst nie“, scherzte er, “was hast du denn von der Dame gewollt?“
Klaus erzählte Herbert von seinem Wunsch nach einer Spritze gegen Babys, was Herbert herzlich lachen ließ.
“Du hast gerade un infusion, also einen Tee bestellt. Das hilft vielleicht deinem Magen, löst aber dein Problem nicht. Spritze heißt hier Inyeccion.“
Herbert wandte sich an die reifere Dame und erklärte in perfektem Spanisch das Problem mit Mila.
„Un momento, senor!“ Die Frau verschwand kurz im Praxiszimmer ihres Mannes und bat dann die beiden Männer samt Mila herein. Der alte Tierarzt mit grauem Vollbart schmunzelte, als er Milas Geschichte hörte und bat darum, Mila auf den Untersuchungstisch zu stellen und festzuhalten.
Mila zitterte etwas vor Angst, aber Klaus beruhigte sie und redete ihr gut zu, während der Doktor eine Spritze aufzog. Ein kleiner Stich, den Mila tapfer ausgehalten hatte, und alles war vorbei.
Klaus zahlte bei der Frau die Behandlung, Mila bekam ein Leckerli, und dann fuhren beide Männer zurück durch die Dunkelheit nach Banos de Fortuna wo die Familie wartete.
Gisela hatte im Wintergarten schon den Tisch gedeckt, und die Kinder freuten sich auf das übliche Hühnerfrikassee. Nach der Möhrentorte stromerten die Kinder noch durchs Haus. Anton, Emil und Emma bewunderten Herberts Versteinerungen, die er im nahe gelegenen Steinbruch gefunden hatte. Denn vor vielen Millionen von Jahren war hier ein Meer.
Ungefähr 6 Kilometer hinter Banos de Fortuna, oberhalb von dem winzigen Dorf Capres, befindet sich ein großer Steinbruch.
Am Wochenende fuhr Herbert manchmal nach Capres, bewaffnet mit Hammer, Spachtel, Pinsel und Meisel und suchte Brocken mit versteinerten Pflanzen, kleinen Fischen und sogar Amonhörnern. All das hatte er auf der Fensterbank im Wintergarten ausgestellt.
Als es dunkel wurde durften die Kinder mit ihrem Opa auf die Dachterrasse, wo Herbert ihnen am sternklaren Himmel einige Sternbilder zeigte und die drei Enkel durch sein Teleskop schauen ließ.
Der Hit für die Kinder waren aber Giselas Wasserglaskünste. Gisela füllte sechs Gläser unterschiedlich voll mit Wasser, befeuchtete sich den Zeigefinger und fing an, den Glasrand zu reiben. Schon bald entstand der erste Ton, dann der zweite und am Schluss spielte Gisela fehlerfrei, aber langsam „Bruder Jakob.“
Herbert konterte mit seiner kleinen Tischorgel, die er sich in einem Kaufhaus in Murcia gekauft hatte. Der Clou war, dass man die Töne elektronisch so verfremden konnte, dass beispielsweise statt eines Musiktons nur ein Bellen hören war.
Mila spitzte interessiert die Ohren, als Emil, der ja gut Klavier spielte, an der Tischorgel saß und ein bellendes
“Hänschen klein“ und ein „Hey, Pipi Langstrumpf“ für Emma spielte und dann auf Wunsch von Oma Gisela “für Elise“.
Zum guten Schluss musste er auf Drängen von Klaus passend zum Abschluss eines langen harten Tages “A hard Days Night“ kläffen lassen. Wobei der erste, gebellte Laut, George Harrisons und John Lennons schräger und unverkennbarer F add 9 Akkord, Mila so erstreckte, dass sie fluchtartig den Wintergarten verließ.
Letztlich musste noch die Schlafproblematik geklärt werden. Die beiden Jungs wollten auf Luftmatratzen im Wintergarten schlafen und Andrea, Klaus und Emma schliefen im Turmzimmer mit dem Ausgang auf die Dachterrasse.
Am nächsten Morgen stellte sich die Frage der Badnutzung noch drängender als in Orange.
Denn Herbert und Gisela hatten nur ein Duschbad mit einer Toilette. Das war für sieben Personen eine logistische Herausforderung.
Aber Gisela und Herbert standen sehr früh auf, sodass Thalers ohne den Zeitdruck von Orange hintereinander ins Bad konnten. Ärgerlich waren die Stromschwankungen, besonders als Gisela Kaffee kochte und Panecillos, die spanischen Brötchen, im Herd aufbacken wollte. Da das warme Wasser der Dusche über einen elektrischen Durchlauferhitzer kam, hatte derjenige, der gerade duschte, wirklich gelitten, wenn die Wassertemperatur sprunghaft von 40° auf 16° fiel, nur um wenige Minuten später wieder auf kochend heiße 45° zu steigen.
Emma, die als letzte ins Bad durfte, stand vor der Tür, als ihre Brüder jeweils im Bad waren. Wenn sie eindeutige Geräusche aus dem Bad hörte, schrie sie sofort auf und hämmerte an die Tür: “Jetzt zieh endlich“, denn Emma hatte eine sehr empfindliche kleine Nase.
Endlich saßen alle am liebevoll gedeckten Frühstückstisch im Wintergarten und wollten mit dem Frühstück beginnen. Spanischer Schinken, Schafs -, Kuh - und Ziegenkäse, selbst gemachte Orangenmarmelade, Kaffee, Milch, Kakao und Weidenröschen Tee - alles war da. Nur eine fehlte - Emma.
Plötzlich ertönte ein helles Stimmchen aus Opa Herberts kleinem Schlafzimmer.
“Kaa – Maa – Suu - Traa.“ Emma war in der ersten Klasse und konnte noch nicht flüssig lesen. “Papi, was ist ein Kamasutra?“ Betretene Stille. Gisela entgleisten die Gesichtszüge, das gesunde Braun verschwand blitzschnell aus ihrem Gesicht und machte der Farbe eines vollreifen Feta Käses Platz.
Anton grinste, Emil schaute noch verständnislos drein, Andrea und Klaus sahen sich fassungslos an. Und Gisela zischte zu Herbert, dem gerade ein Brötchenteil aus dem Mund gefallen war: “Herbert, um Gottes Willen, was hast du denn da wieder offen liegen lassen?“
Andrea und Klaus hatten in die Aufklärung ihrer Kinder nicht sonderlich viel Energie verwandt. Klaus war sowieso der Meinung, dass er dieses sensible Thema Andrea als Mutter überlassen sollte. Und Andrea fand es eigentlich viel besser, wenn die Lehrer in der Schule die Kinder aufklären. Die waren entsprechend ausgebildet, und es gehörte letztlich ja zu ihrem Job, die Kinder auch auf diesen Teil des zukünftigen Lebens vorzubereiten.
Die Ahnungslosigkeit, in der Klaus und Andrea ihre Kinder ließen, führte dann zum größten Erstaunen der Kinder, wenn sie ihre Eltern zufälligerweise im Adams - bzw. Evaskostüm sahen.
Anton erklärte als dreijähriger seine überraschende Beobachtung wie folgt: “Papa hat ein Schwänzchen - aber Mama hat nur Fussel.“ Während Antons Entdeckung anatomisch korrekt war, verfiel Emil etwas später in eine grundlegende philosophische Überlegung.
Emil war vollkommen fassungslos, als er seine Mutter das erste Mal ohne Kleider im Bad sah und stammelte erschrocken:“Mama, ja bist du denn überhaupt ein Mensch?“
Anton war der erste von den kleinen Thalers, der ahnte, dass zwischen Mann und Frau etwas Geheimnisvolles passieren könnte.
Als Andrea eines Abends mit dem Mann ihrer Freundin ins Theater gehen wollte, weil sowohl die Freundin, als auch Klaus keine Zeit hatten, kam Anton ganz aufgeregt zu seinem Vater. „Papa, hoffentlich ist der Mann auch kastriert“, versuchte der Sechsjährige seine große Befürchtung in Worte zu fassen. Klaus konnte seinem Sohn das zu seinem Bedauern nicht bestätigen.
Und so wurde das Thema der Unterschiede zwischen Mann und Frau und der Fortpflanzung folgerichtig auch bei Emma ausgeblendet.
Klaus versuchte jetzt die Situation zu retten und rief zu Emma:“Schatz, das ist ein japanisches Motorrad. Jetzt komm bitte zum Frühstück.“ “Papi, du lügst, das sind Menschen, die Turnen“, antwortete Emma und kam mit einem kleinen, älteren und stark abgegriffenen Büchlein in den Wintergarten.
Vorne war ein Foto von einem indischen Relief zu sehen, auf dem ein Mann und eine Frau in einer, für den normalen Mitteleuropäer, unfassbaren Verknotung zusammen waren. Darüber prangte verschnörkelt die Schrift: Einführung in das Kamasutra - Leichte Übungen für die reifere Generation.
Andrea nahm Emma sofort das Büchlein aus der Hand, bevor Emma noch weiter blättern konnte oder aber die Jungs Gelüste verspürten, das Büchlein intensiver zu lesen.
“Na gut, Emma, vielleicht sind das ja auch Opa Herberts morgendliche Turnübungen. Aber jetzt wird gefrühstückt“, wurde Klaus etwas deutlicher. Giselas Gesichtsfarbe nahm langsam die Tönung einer abklingenden Gelbsucht an.
Emma erkannte, dass hier etwas faul war und wollte die Situation jetzt auch zu ihren Gunsten ausnutzen. “Dann will ich aber ein Explosionsei!“ forderte sie eigensinnig.
“Na schön“, Herbert gab schuldbewusst sehr schnell nach, “dann machen wir beide eben ein schönes Explosionsei.“
“Aber du machst dann auch die schöne Schweinerei in der Küche wieder weg“, ereiferte sich Gisela.
Explosionsei bedeutete, dass Herbert in einer Pfanne Olivenöl erhitzte. Dann stellte er einen Hocker vor den Herd, auf den Emma klettern musste. In beiden Händen hielt sie jeweils ein rohes Ei. Die Eier wurden ungefähr 1 Meter über der Pfanne zusammengeschlagen, so dass die beiden Eigelb nebst Eiweiß in die zischende Pfanne plumpsten. Wenn Emma Glück hatte, blieb von den Eiern ungefähr 60 % in der Pfanne.
Der Rest spritzte auf die Herdplatte, auf die goldfarbenen Küchenmöbel aus Pinienholz und auf die Erde. Aber die verbliebenen 60 % bildeten dann ein wirklich interessantes Spiegelei - eben ein Explosionsei, wie Emma das Ganze getauft hatte.
Nachdem Herbert die 40 % verspritzte Eimasse auch zur Zufriedenheit von Gisela wieder beseitigt hatte, wurde harmonisch zu Ende gefrühstückt.