Читать книгу Vatter - es heißt donde - Hans Jürgen Kampe - Страница 4
Die Familie
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„Vatter, lass uns doch nochmal über das Zimmer sprechen“. „Junge, es ist doch gar kein richtiges Zimmer, nur ein ausgebauter Kellerraum“. „Aber das würde mir ja reichen, da würde ich mich sauwohl fühlen, das wäre total krass“. „Das Dumme ist nur, dass ich mich da auch sauwohl fühle“. Anton schaute frustriert nach unten und Klaus war total genervt.
Anton fand seinen Vater gerade mal wieder hochgradig intolerant und derzeit als peinlichsten aller Väter. Und Klaus spürte seinen Reflux wieder heftig klopfen und die aufsteigende Wärme in seinem Gesicht führte zu einem aparten Zinnoberrot seiner sonst so blassen Wangen.
Seit fast einem Jahr gab es bei Thalers regelmäßig den fruchtlosen Streit um den Hobbyraum im Keller.
Klaus, sonst ein harmloser und meist zufriedener Familienvater, hatte sich vor 12 Jahren, als Andrea und er das alte Haus gekauft hatten, den Kellerraum mit Hilfe seines Schwiegervaters ausgebaut. Wobei sich die Leistung von Klaus aber nur in sehr leichten Handreichungen oder der Suche nach einem Flaschenöffner erschöpfte.
Der Raum hatte jetzt Heizung, ein Fenster, Fußbodenisolierung und vor allem eine Schallisolierung. Denn neben einer alten Märklin Eisenbahn hatte sich Klaus eine Bassanlage aufgebaut und übte dreimal in der Woche mit seiner Bassguitarre.
Anton, der älteste Sohn war mittlerweile dreizehn Jahre alt und hatte in dem alten Haus von Thalers ein gemütliches Zimmer im Dachgeschoß. Neben seinem jüngeren Bruder Emil. Und das störte beide Jungs gleichermaßen. Denn Anton hörte gern Rammstein und zwar laut und Eminen, und zwar laut und AC-DC, The Clash, The Sonics, The Ramones und zwar laut und, und, und - alles laut. Eigentlich hörte er Musik immer nur gerne sehr laut. Für Anton bedeutete „Zimmerlautstärke“, dass seine Musik in jedem Zimmer des Hauses gut zu hören war.
Sein elfjähriger Bruder Emil ärgerte sich über Anton, denn sein Musikgeschmack war ganz anders. Emil liebte Oldies, aber leise oder mit Kopfhörern. Außerdem spielte er Klavier im Wohnzimmer und hörte auch ganz gern klassische Musik. Etwas peinlich, und dafür schämte er sich auch ein bisschen und behielt das besser nur für sich.
Beide Jungs waren sehr unterschiedlich. Anton war spontan, manchmal laut, emotional und sehr kontaktfreudig. Er traf sich oft mit Freunden zum BMX - Bike oder Skateboard fahren, Musik hören und suchte immer wieder seine Freiheit. Er gab aus Prinzip gern Widerworte, wollte abends regelmäßig lange weggehen und probierte immer wieder aus, die gesetzten Grenzen zu überschreiten. Was in der Blüte der Pubertät aber normal war.
Zurzeit waren Antons Hosen neben dem Umzugswunsch häufiges Streitthema, denn Anton liebte es, in alten, verwaschenen Jeans mit Rissen rumzulaufen. Die Risse hatte sich Anton selber in Kniehöhe in die Jeans geschnitten. Was vor allem Klaus störte, wenn Anton die zerrissenen Hosen in der Schule anhatte. Aber angeblich trugen das ja alle Jungen in seiner Klasse, und Klaus war laut Anton der einzige, spießige Vater, der das nicht gut fand. Und Andrea, die verständnisvolle Mutter, fiel Klaus dann auch noch in den Rücken, weil sie meinte, ein farbiges Tattoo wäre eigentlich viel auffallender. Oder sogar ein Zungenpiercing. Oder vielleicht lila Rasta- Locken. Klar, schlimmer geht immer.
Klaus konnte sich bei der pubertären Entwicklung von Anton in ganz abenteuerliche Phantasien reinsteigern und wachte manchmal schweißgebadet auf. Sofern er überhaupt einschlafen konnte. Häufig spürte er sein Herzchakra kraftvoll flimmern, während er sich durch autogenes Training beruhigen wollte. Seine mantraartige Zusatzformel: Unordnung ist schön, Chaos ist kreativ, war aber nicht wirklich entspannend.
Aber weitere Diskussionen mit Anton über die kreative Gestaltung seines Körpers und seines Zimmers würden in der Zukunft garantiert noch kommen.
Emma, die kleine Schwester, die das Ganze natürlich neugierig verfolgte, kommentierte den schwelenden Konflikt einmal so: „Mama, nur böse Jungs kommen doch in die Pubertät, oder?“
Zu Mädchen suchte Anton sehr gern Kontakt, hatte aber noch keine feste Freundin.
Und sein Zimmer sah ständig aus, „als hätte eine Bombe eingeschlagen“, so Klaus. Überall lag etwas rum. Gebrauchte Kleidung, dreckige Unterwäsche - mit und ohne Bremsspuren in den Unterhosen, Müffelsocken, Essensreste, benutztes Geschirr, Papier oder Bettwäsche, sodass der Fußboden nur noch zu ahnen war, was regelmäßig zum Streit mit den Eltern führte. Also die klassische Pubertäts-Höhle.
Denn wie fast alle Eltern erwarteten Thalers, dass Anton sein Zimmer halbwegs ordentlich und sauber hielt. Vor allem Klaus, der Ordnung liebte, und Angst hatte, in Antons Zimmer über diverse Ladekabel, ein iPhone oder ein Tablet zu stolpern, ärgerte sich über den Zustand von Antons Zimmer. Und Andrea war der Meinung, dass ab und zu ein frisches Sauerstoffmolekül Anton ganz guttun würde.
Obwohl er für die Schule wenig lernte, waren seine Ergebnisse trotzdem ganz gut. Kurz vor den Klassenarbeiten setzte sich Anton eine Nacht hin, paukte intensiv und brachte dann eine noch akzeptable Note nach Hause. Außer Französisch - aber das lag laut Anton nur an der Lehrerin, die ihn mit Sicherheit nicht leiden konnte. Genauso wie deren Ehemann, den Anton ausgerechnet in Mathe und Physik hatte. Laut Anton waren die beiden Lehrer auch bei all´ seinen Freunden so beliebt wie eine Kollonie Borkenkäfer. So was braucht man nicht. War einfach ein beschissenes Karma, diese saublöde Lehrerkombination.
Emils Leistungen waren besser. Er lernte regelmäßig, hatte sich einen Holzkasten mit Karteikärtchen und Stichworten angelegt, traf sich mit seinen Freunden zum Lernen und hielt sein Zimmer alleine in Ordnung. Und er lüftete von allein, gern und viel. Was Klaus und Andrea aber schon fast wieder unheimlich war. Emil verbrachte seine Zeit gern mit einem Science-Fiction Roman oder einem seiner geliebten Harry Potter Bücher, die er schon mehrfach gelesen hatte. Er fuhr auch sehr gern sein BMX Rad im nahen Wald, liebte Judo und im Winter Snowboard fahren.
Emil war viel ruhiger als Anton, überlegter und kompromissbereiter. Obwohl er sich mit seinem Bruder auch bestens streiten konnte. Zum Beispiel wenn Anton mal wieder ohne zu fragen Emils Klamotten oder Sportgeräte benutzt hatte.
Wenn Anton seinen jüngeren Bruder zu etwas zwingen wollte, zog sich Emil diplomatisch in sein Schneckenhaus zurück und antwortete vorsichtig:
„Kann man so machen Anton, muss man aber nicht“.
Beide Jungs hatten allerdings ein gemeinsames Hobby. Das Einradfahren. Beide hatten vor 2 Jahren jeder ein Einrad bekommen und hatten es mit erstaunlich viel Geduld zu einer Perfektion gebracht, die Klaus und Andrea nur noch Staunen ließ. Emma war sowieso der Meinung, dass ihre beiden großen Brüder auch im Zirkus auftreten könnten. Denn abends, wenn kein Verkehr mehr auf der Straße war, fuhren beide im Abstand von 1 Meter nebeneinander her und warfen sich gegenseitig 2 Tennisbälle zu. Ohne die Bälle fallen zu lassen oder selber vom Einrad zu fallen.
Mädchen waren bei Emil noch kein Thema und Emil fühlte sich in seinem Dachzimmer sichtlich wohl.
Antons bester Freund, Lutscher, hatte sein Zimmer im Keller und konnte so ungestört seine Musik hören und Freunde empfangen. Lutscher hieß eigentlich Arthur, hatte aber seinen Spitznamen bekommen, weil er ständig mit einem Lolly im Mund rumlief. Und manchmal kamen sogar Mädchen zu Besuch, was beide, Anton und Lutscher, hochgradig interessant fanden. Aber außer einigen total verkorksten Zungenküssen war leider noch nicht viel passiert.
Lutschers Vater war wenig zu Hause, hatte keine Eisenbahnanlage, die jedes Jahr erweitert wurde und spielte erst recht keine Bassguitarre.
Klaus Thaler spielte schon als Schüler in verschiedenen Bands mit ganz unterschiedlichen Musikrichtungen. Dieses Hobby hatte er nach seinem Studium wieder aufgegriffen und mit drei weiteren alten Freunden eine Band gegründet. Alle vier liebten die alten Songs der Stones, der Beatles, der Who oder von Status Quo. Während Andrea ein Mindestmaß an Verständnis für die Musik der 60er Jahre aufbrachte, gefielen Emil die Songs richtig gut. Emma versuchte hopsender Weise ihre ersten ungeschickten Tanzschritte zu „Satisfaction“ und nur Anton fand die alten Stücke so aufregend wie die Tischreden von Erich Honecker.
Klaus hatte sich über seinen jüngsten Bruder Oliver, der in London lebte, ein Liebhaberstück besorgen lassen. Einen alten Höfner-Violinen-Bass, genauso einen, wie ihn Paul McCartney spielte. Allerdings war Klaus zu seinem großen Bedauern Rechtshänder, sodass sein Bassspiel gegenüber McCartney nicht ganz stilecht war.
Trotz der Liebe zu alten Pop - und vor allem Rocksongs traf sich Klaus mittwochs abends in der Kantorei seiner Kirchengemeinde. Im Kirchenchor übten sie Oratorien, die zweimal im Jahr aufgeführt wurden. Der Kantor Udo war ein guter Freund geworden und mit seiner Lebensgefährtin häufig zu Gast bei Thalers.
Aufgrund seines Namens, Klaus Thaler, und der Verbindung zu dem alkoholfreien, ähnlich lautendem Bier, wurde er von seinen Freunden oft genug gehänselt.
Das störte Klaus allerdings deutlich weniger als das mittlerweile wochenlange penetrante Bohren und Quengeln seines Ältesten.
„Vatter, du kannst doch mein Dachzimmer haben, und wir tauschen einfach.“ „Aber dann spielt der Papa ja Bassguitarre direkt neben meinem Zimmer, das will ich nicht.“ Emil hatte gern seine Ruhe und wünschte sich nur eine einzige Veränderung, nämlich dass Anton seine Musik endlich auch mit Kopfhörern leise hören sollte.
„Anton, das wäre für Papa wirklich total unpraktisch - die große Eisenbahnanlage und die Bassanlage unter das Dach zu bringen. Das geht einfach nicht, so groß ist dein Zimmer auch gar nicht. Aber du kannst ja deine Musik gern in Papas Hobbyraum laut hören.“ Andrea, die Mutter, versuchte wie immer wieder zu vermitteln, denn ihr war Harmonie in der Familie sehr wichtig.
Andrea hatte Klaus schon in der Schule kennengelernt. Sie spielte Querflöte im Schulorchester und Klaus die dritte Geige. Während Klaus das Geigenspiel nur lustlos betrieb und wieder schnell aufgab, blieb die Querflöte auch während des Studiums Andreas Lieblingsinstrument. Sie spielte heute noch regelmäßig, war Mitglied in einem kleinen Kammermusikensemble und liebte Mozart, Bach, Vivaldi, Telemann und Haydn. Ihr Ensemble trat an Musiktagen öffentlich auf. Aber auch alle paar Wochen im Rahmen der Abendmusik zum Wochenausklang in der Kirchengemeinde von Thalers.
Beide hatten das Glück, in der gleichen Stadt einen Studienplatz zu bekommen. Andrea wurde Zahnärztin und Klaus Betriebswirt. Während Andrea als Schulzahnärztin mit einer halben Stelle ab mittags genügend Zeit für die Kinder hatte, musste Klaus als selbstständiger Steuerberater häufig lange arbeiten.
Während des Studiums blieben sie zusammen und heirateten, nachdem sie ihre ersten Stellen und ein festes Einkommen hatten.
Die Hochzeit wurde allerdings nicht gänzlich freiwillig gefeiert. Denn beide heirateten mit „Vorliebe“ oder auch mit Rückenwind. 6 Monate nach der Eheschließung wurde dann der kleine Anton geboren. Als Anton nicht nur rechnen konnte, sondern auch nach 4 Wochen Sexualkundeunterricht in der Schule wusste, dass eine normale Schwangerschaft 9 Monate dauert, sprach er seine Eltern mal auf die fehlenden 3 Monate an. Während Klaus so tat, als hätte er nichts gehört, stammelte Andrea nur verlegen: „Aber Antonchen, wir haben dich doch trotzdem lieb.“
Klaus war mittlerweile dreiundvierzig und Andrea einundvierzig Jahre.
Beide hatten sich gut gehalten, waren sportlich und schlank. Klaus hatte dunkle kurze Haare, trug eine randlose Brille und im Urlaub einen Dreitagebart. Er joggte gern abends nach der Arbeit und traf sich am Wochenende mit seinen Freunden zum Mountain Bike fahren. Im Frühjahr fuhr die ganze Familie seit Jahren nach Königsleiten zum Ski fahren. Die Ferienwohnung am Kinder Schlepplift war einfach ideal.
Sein Sozius Wolfgang hatte mit großer Beharrlichkeit versucht, Klaus zum Golf spielen zu überreden. Was Klaus aber bisher abgelehnt hatte, weil er sich für einen Sport, der viel Technik und Regelkenntnis erforderte absolut ungeeignet fühlte. Für Klaus war Golf daher so interessant wie eine Laktose Intoleranz. Ein einziger fehlgeschlagener Versuch hatte ihm jedoch endgültig die Lust am Golfen geraubt.
Klaus hatte vor zwei Jahren in einer Zeitungsanzeige ein unglaublich günstiges Angebot für ein komplettes Golf-Schläger Set mit Bag gelesen. Da konnte man einfach nichts falsch machen. Dachte Klaus. Mit größter Hektik machte Klaus einen Termin bei dem hoch erfreuten Verkäufer und zahlte das Schnäppchen ohne zu Handeln und vor allem, ohne es zu probieren. Hauptsache, es war ihm kein anderer zuvorgekommen.
Zu Hause angekommen stellte sich Klaus mit dem Set in den Garten und versuchte ein paar Probeschläge zu üben. So wie es ihm Wolfgang mal gezeigt hatte. Aber irgendetwas stimmte nicht. Hinter ihm ertönte plötzlich die Stimme von Anton.“Vatter, zum rückwärts schlagen wären die Schläger ideal.“ Klaus verstand überhaupt nichts.“Na, das ist ein Schläger Set für Linkshänder. Das könntest du Paul McCartney vermachen. Oder du lernst komplett um“, frotzelte Anton. Klaus war überrascht, dann peinlich berührt.
Tief verärgert und beschämt erkannte Klaus den Grund für den Tiefstpreis. So ein Mist. Das Schnäppchen war keins mehr. Wortlos schleppte er Schläger und Bag in den Keller, wo sie bis heute verstauben. Er verdonnerte Anton zwar zum Stillschweigen. Aber unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit wusste es abends bereits die ganze Familie und am nächsten Tag Lutscher und sein Vater. Einfach nur peinlich.
Er erinnerte sich auch ungern an sein kurzes Gastspiel in der Studenten Fußballmannschaft 1. FC Fußpilz. Nachdem er vor lauter Ungeschick ein Eigentor verursacht hatte, wurde Klaus gnadenhalber ins Tor gestellt. Die letzte Chance für ihn. In der Hoffnung, dass er mit zwei starken Verteidigern nicht viel falsch machen konnte. Die Hoffnung trog.
Beim Sportfest der Uni belegte der 1.FC Fußpilz dank Klaus fußballerischen Unvermögens und seiner mangelhaften Reaktionen im Tor den 39. Platz von 40 Mannschaften. Danach war seine Karriere im Studentenfußball abrupt beendet. Er blieb beim Joggen - da konnte er höchstens über seine eigenen Füße stolpern. Und selbst das gelang ihm hin und wieder.
Andrea hatte lange, blonde Haare. Sie brauchte noch keine Brille und trug am liebsten enge Hosen, meistens Jeans. Mit drei Freundinnen walkte sie zweimal in der Woche, ging Dienstagsabends zum Yoga Kurs und kochte sehr gern. Vor allem wenn Freunde kamen. Denn Andrea war von beiden die Kontaktfreudigere, fand schnell Anschluss, lud gern ein und wurde mit Klaus auch gern eingeladen. Sie war ein Genussmensch, gönnte sich gern schöne Dinge und kaufte gern ein. Was Klaus manchmal zur Verzweiflung trieb. In seinen ärgsten Phantasien sah er schon den Fernseh-Schuldnerberater Peter Zwegat mitsamt seinem Flipchart bei sich einziehen, der ihnen einen ähnlichen Finanzstatus wie bei Boris Becker attestieren und alle Handys wegnehmen würde und dann alle weiteren Ausgaben gnadenlos zusammenstrich.
Klaus war eher rational, sachlich, etwas introvertiert und äußerst sparsam. Andrea meinte, die Grenze zum Geiz wäre bei Klaus allerdings nicht mehr weit. Vor allem, als er Andrea voller Stolz von seinem persönlichen Rekord beim Wiederaufgießen eines gebrauchten Teebeutels berichtet hatte.
Und er war auch denkbar ungeschickt, technisch eine Null und machte um Baumärkte einen großen Bogen. Seine Kochkünste beschränkten sich darauf, Spaghetti Wasser zum Sieden zu bringen. Und Wein wählte Klaus prinzipell danach aus, ob die Flasche einen simplen Schraubverschluss hatte.
Ohne Andrea wäre die Familie wahrscheinlich verhungert oder mindestens hochgradig mangelernährt. Der kleine Emil kommentierte Klaus technisches Unvermögen treffend mit „der Papi hat eben zwei linke Hände und zwei rechte Füße.“ Und Anton bezeichnete seinen Vater als technisch vollkommen talentfrei.
Zu Beginn ihrer Beziehung fand Andrea Klaus Unbeholfenheit und Ungeschicklichkeit ja ganz süß. Er weckte in ihr Hilfs- und Beschützerinstinkte und gab ihr das Gefühl einer Überlegenheit gegenüber Klaus. Mit der Zeit nervte Andrea Klaus technisches Unvermögen schon. Selbst einfachste Malerarbeiten oder Reparaturen vermurkste Klaus. Er konnte sich in keinerlei technische Zusammenhänge eindenken. Für jede Kleinigkeit mussten also Handwerker bestellt werden, was Klaus am meisten schmerzte.
Während Andrea Klaus immer häufiger vorwarf „du willst es einfach nicht können “, entschuldigte sich Klaus regelmäßig mit einem Gendefekt, der für seine mangelnde Geschicklichkeit und für sein fehlendes handwerkliches Interesse verantwortlich sei. Er war ja schon in der Schule im Werkunterricht vollkommen ungeschickt und hatte sich in dieser Hinsicht sehr wenig weiterentwickelt.
All das hätte Andrea im Laufe der Jahre dann doch noch hingenommen. Aber eine Sache wurmte sie ständig. Wie viele Frauen liebte Andrea das Tanzen. Als sich beide kennenlernten schaffte sie es tatsächlich, Klaus zu Diskothekenbesuchen zu überreden.
Das Tanzen war damals kein Problem. Denn entweder tanzten sie frei oder, bei langsamen Stücken, in einem engen Klammerblues.
Jetzt aber wollte Andrea mit einer Gruppe von Freunden einen Tanzkurs besuchen. Und hier ging es um Standarttänze. Festgelegte Bewegungen und Schritte nach Musik. Kein freies Rumgehopse mehr, sondern Tanzschritte zu Zweit im vorgegebenen Takt, die man lernen musste.
Während sich die anderen Männer in der Gruppe willig und meistens auch geschickt anstellten, schaffte es Klaus einfach nicht, sich die Tanzschritte zu merken. Und das, obwohl die anderen Herren etwas beleibter und unsportlicher als Klaus waren.
Eigentlich fing Klaus jede Woche wieder fast bei null an, was nicht nur den Tanzlehrer, sondern auch die Freunde etwas nervte. Und Andrea war das Ganze peinlich. Nur der Wiegeschritt als Zwischenschritt beim langsamen Walzer klappte bei Klaus ganz gut. Beim Disco-Fox zählte Klaus als Einziger laut mit: Eins, Zwei, Step, eins, zwei, Step – und bei Step stand er bereits jedes Mal auf Andreas rechtem großen Zehnagel. Danach brauchte sich Andrea ihren Zehnagel wenigstens nicht mehr blau lackieren. Andreas Freundinnen empfahlen ihr daraufhin diskret, keine vorn offenen Tanzschuhe mehr anzuziehen. Eher etwas stabilere Schuhe, ähnlich Arbeitsschutzschuhen mit einer Stahlkappe.
Letztlich entschlossen sich Thalers, den Kurs vorzeitig abzubrechen, um das gute Verhältnis zu ihren Freunden nicht zu belasten. Es blieb dann nur das Treffen nach dem Kurs, bei dem Andreas Freundinnen ihr bei einem Glas Wein von den neuesten Tänzen berichteten, was Andrea insgeheim schon etwas schmerzte.
Und ihren Traum von einem Salsakurs mit Klaus begrub sie lieber stillschweigend. Klaus hätte sich dabei wahrscheinlich nur selbst verletzen können, oder er wäre die Lachnummer des Kurses geworden. Oder aber Beides.
Dafür erfüllte sich Andrea einen anderen Traum.