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Die Fahrt

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Lutscher war dann doch noch gekommen und hatte geholfen die Ski-Box auf das Autodach zu hieven. Den Lolly hatte er ausnahmsweise mal aus dem Mund genommen und freundlicherweise auf dem Armaturenbrett abgelegt. Triefend nass und sehr klebrig. Was Klaus aber erst später während der Fahrt bemerkte. Seine spontane Äußerung dazu war nicht komplett jugendfrei.

Andrea packte abends mit Klaus das Auto, Anton konnte mit Lutscher noch das Computerspiel spielen, und Emil ging mit Emma und Mila noch mal um die vier Ecken.

Andrea hatte Verpflegung für die Reise vorbereitet und genug zu trinken eingepackt. Denn Klaus gab ungern unnötig Geld aus und außerdem sparte das auch Zeit auf der Reise.

Morgens beim Frühstück bat Andrea die Kinder, sofort nach Schulschluss auf den Schulparkplatz zu kommen. “ Macht jeder in der Schule noch mal Pippi und trödelt nicht, wir haben leider nicht viel Zeit. Die Rezeption von unserem Hotel in Orange schließt um 9:00 Uhr abends, das ist ziemlich knapp für uns“, ermahnte Klaus seine drei Kinder.

„Und jeder nimmt sich sein Tablet, sein Handy und vielleicht auch ein Buch mit, damit ihr unterwegs lesen oder Musik hören könnt“, bat Andrea. Andrea hatte auch an alles andere gedacht - Papiere, Ausweise, Versicherungskarten und Geld.

Als die Jungs zur Bahn gingen und Andrea Emma schnell zur Schule bringen wollte, gestand Klaus, dass er doch noch mal kurz ins Büro müsse, einen wichtigen Vertrag zu besprechen. Andrea rollte mit den Augen. “Aber sei du bitte pünktlich zu Hause, wir wollen die Kinder um 10:30 Uhr abholen.“ “ Ich bin doch schon reisefertig angezogen. Um 9:30 Uhr bin ich wieder zu Hause.“

Tatsächlich wurde es dann doch 10:00 Uhr als Klaus abgehetzt aus dem Büro kam. Andrea lag ein Vorwurf auf der Zunge, den sie aber des lieben Friedens willen runterschluckte.

Beim Wegfahren stand Fräulein Saurbier, die den Hausschlüssel erhalten hatte, am Fenster und hob mit starrer Mine zögerlich grüßend ihre Hand. Es war ihr nicht vermittelbar, warum Menschen so weit in den Urlaub fahren mussten. Andrea und Klaus winkten freundlich und beschlossen, Fräulein Saurbier ein kleines Geschenk mitzubringen.

Kurz vor 10:30 Uhr warteten Thalers vor Emmas Grundschule. Die Schule war nicht sehr groß, ungefähr 250 Schüler in 3 Pavillons. Emma fühlte sich hier wohl, hatte gute Freundinnen gefunden, und mit ihrer Klassenlehrerin verstand sie sich auch prima.

Genau wie Thalers warteten andere Eltern fahrbereit auf ihre Sprösslinge. Während die Kinder nach der Klingel teils laufend, teils in Gruppen sich unterhaltend schlendernd aus der Schule kamen, lachend, rufend, winkend, fehlte Emma. Klaus schaute ungeduldig auf seine Uhr. Schon 10:35 Uhr.

Da, endlich. Als eine der letzten kam Emma mit Gina, ihrer besten Freundin, sehr gemächlich mit der Geschwindigkeit einer Wanderdüne aus dem Pavillon geschlendert. „Jede Schnecke überholt die beiden noch mit einem Kondensstreifen“, dachte Klaus ungeduldig. Ihre intensive Unterhaltung stockte, als Emma ihre winkende Mutter sah. Schnell umarmten sich die beiden Mädchen und Emma übergab Gina ihren Schulranzen zur Aufbewahrung während der Ferien. Dann endlich lief sie zum Auto.

„Emma, wir haben dich doch gebeten, schnell aus der Schule zu kommen. Wir müssen doch noch die Brüder abholen und dann ganz schnell fahren, damit wir unser Hotel heute Abend pünktlich erreichen.“ Andrea half Emma auf die Kindersitzschale und schnallte sie an.

„Ich habe überhaupt nicht getrödelt. Ich bin geärgert worden, deswegen hat es etwas gedauert.“

„Was hat dich denn geärgert?“ wollte Andrea wissen.

„Die Jungs haben wieder Emmentaler zu mir gesagt, und ich weiß immer nicht, was ich darauf antworten soll.“

Drei Jungs in Emmas Klasse hatten es auf sie abgesehen und hatten ihren Namen Emma Thaler kurzerhand in Emmentaler verwandelt, was Emma mächtig ärgerte. Am Anfang kam sie weinend nach Hause. Aber nachdem ihre Mutter sie damit getröstet hatte, dass Emma Thaler ein besonders schöner Name sei und Klaus Emma erklärte, dass Emmentaler sowieso sein absoluter Lieblingskäse wäre, war Emma etwas zufrieden.

Trotzdem verletzte sie der Spott der Jungs immer wieder und Andrea beschloss, mal mit den drei Klassenkameraden ein ernstes Wörtchen zu reden.

„Na, Emma, dann ist jetzt alles klar. Hast du noch mal Pippi gemacht?“ fragte Klaus. “Ja hab‘ ich, jetzt fahr aber schon.“ Emma war etwas genervt.

Anton und Emil warteten schon auf dem Parkplatz ihrer Schule. Beide gingen in dasselbe Gymnasium. Anton in die siebte Klasse und Emil in die fünfte Klasse. Und beide hatten wie abgesprochen auch ihre Schultaschen ihren Freunden mitgegeben. Mila bellte freudig, als sie die Stimmen der beiden Jungs hörte. Klaus wendete und dann ging‘s endlich los.

“Und haben wir keine Mittel mehr, dann fahr‘n wir an das Mittelmeer“, versuchte Klaus mit einem lockeren Spruch Stimmung zu machen.

„Vatter, der Spruch hat so`n Bart.“ “Papa, lass das endlich.“ “Papi, das ist nur peinlich“, beschwerten sich die drei Kinder. Anton rollte genervt mit den Augen und suchte hastig seine Kopfhörer.

Tatsächlich ließ Klaus bei jeder passenden oder bei jeder unpassenden Gelegenheit einen seiner gesammelten Sprüche los. Den Kindern war das unangenehm und keiner, außer Klaus selber, konnte darüber mehr lachen. Andrea sagte besser nichts mehr, sondern ertrug stillschweigend Klaus eigenartigen Humor.

Vor allem, wenn Gäste da waren, glänzte Klaus beim Essen mit Lebensweisheiten wie: „Gestern noch gesund und munter, heute schmeckt‘ s schon wieder“, oder „Fleisch ist doch das beste Gemüse.“ Beim Wein einschenken bemerkte Klaus sehr gern: „Alkohol in Maßen genossen kann auch in größeren Mengen durchaus noch Freude bereiten!“

Und wenn Mila durch irgendetwas auffiel weil sie zum Beispiel ihren Fressnapf in null Komma nichts geleert hatte , immer wieder bettelte oder zu den unpassendsten Zeiten nochmal raus musste und sich im Regen und Matsch so richtig einsaute, kam regelmäßig von Klaus:“ Was soll’s, so ein Hund ist eben auch nur ein Mensch.“

Zwar hatte Andrea mittlerweile gelernt, mit Klaus Sprüchesammlung zu leben. Was sie aber regelmäßig auf die Palme brachte, war eine andere Unart von ihm bei längeren Autofahrten.

Da Klaus es hasste, im angeschnallten Zustand regelmäßig sein Taschentuch aus der Hosentasche zu fummeln, lag das benutzte Taschentuch auf dem Fahrersitz zwischen seinen Beinen. Sehr praktisch und ständig griffbereit. Andrea fand das total unästhetisch - aber es half nichts. Sie konnte Klaus diese Unart nicht austreiben.

Zwischenzeitlich hatten sich die Kinder auf der Rückbank häuslich eingerichtet. Alle drei hatten ihr Handy dabei. Anton und Emma spielten, und Emil hörte über seinen Kopfhörer Musik. Andrea versuchte ein Buch zu lesen, was ihr aber doch zu anstrengend wurde, sodass sie sich ein Schlafkissen schnappte und versuchte, etwas dösen.

Für Klaus waren die Handys kleine Wunder, die er nie wirklich begreifen würde. Mit seinem alten iPhone wollte er nur angerufen werden oder selber anrufen. Ein Photo machen, eine SMS empfangen und lesen oder gar selber schreiben war schon grenzwertig. In der Familien-WhatsApp war er nicht integriert. Das Einzige, was er regelmäßig nutzte, war die mithilfe von Emil installierte Läufer-App.

Mit der konnte Klaus die Streckenlänge, das Streckenprofil mit den Höhendifferenzen, seine Gesamtzeit, die Durchschnittszeit pro Kilometer, sowie die verbrauchten Kalorien abrufen. Dann hörte aber jegliches technisches Verständnis bei Klaus auf. Musik speichern, abrufen, hören, Spiele runterladen und spielen oder gar die Teilnahme an der von Andrea initiierten Familien WhatsApp war für ihn unmöglich.

Ein wesentlicher Sinn der Kinder Handys lag für Klaus darin, dass die Kinder während der Fahrt beschäftigt waren. Streitereien, wie früher ständig, kamen weniger vor und die Eltern mussten sich nicht laufend neue Spiele ausdenken, um den Nachwuchs zu besänftigen und bei Laune halten.

Bei früheren Urlaubsfahrten wurde häufig das Autokennzeichen-Suchspielspiel gespielt. Die beiden Jungs mussten Ausschau nach Begriffen halten, die sie aus den Buchstaben auf den Nummernschildern ablesen konnten. Wie zum Beispiel BI-LD, S-AU oder DO-OF, WI-TZ, DU-DU oder sehr zur Belustigung von Emil: PO-PO.

Bevor Emma geboren wurde, versuchte Andrea ihre beiden Jungs mit dem uralten Spiel Schnick Schnack Schnuck abzulenken. Aber selbst das führte zu regelmäßigem Streit, weil einer von beiden in Erkenntnis der Handfigur des anderen seine eigene Handstellung noch blitzschnell änderte.

Da Emma mit ihren kleinen Händen immer zu langsam war und auch viel zu lange brauchte, ein Nummernschild zu entziffern, wurde das Spiel dann schnell beendet. Anton entwickelte aber die geniale Idee, Städtenamen zu rülpsen, die die anderen raten sollten. Andrea fand das überhaupt nicht gut. Aber Anton hatte extra 3 kleine Flaschen spritziges Mineralwasser mitgenommen. Jedes Kind nahm kurz bevor es dran kam einen kräftigen Schluck, um dann einen Städtenamen zu rülpsen.

Aber selbst das führte zu Streit.

Emil beharrte darauf, dass sein Rülpser Guatemala hieß. Emma konnte damit nichts anfangen und Anton wurde giftig, weil Guatemala keine Stadt ist. “Du hättest Guatemala City rülpsen müssen,“ blaffte er seinen jüngeren Bruder an. “Aber dazu hatte ich keine Luft mehr“, konterte Emil.

Emma nahm einen gewaltigen Schluck Sprudel, holte tief Luft und stieß dann stolz ein gequältes “ Brexit “ hervor, was bei beiden Brüdern auf größten Protest stieß. “Brexit ist keine Stadt und schon gar keine Hauptstadt“, belehrte Emil seine kleine Schwester. Die sechsjährige Emma hatte ihr ganzes Wissen über europäische Politik in ihren Rülpser gelegt.

„Ist es wohl - Brexit ist die Hauptstadt von London.“ Jetzt war Emma beleidigt und hatte keine Lust mehr. Andrea und Klaus sahen sich stumm an. Auf diese Weise hatten sie die englische Europapolitik noch nie wahrgenommen.

Klaus versuchte dann die Stimmung durch Fragen aufzuheitern.

„Wie ist denn der Vorname vom Reh?“ Keine Antwort. “Naja, Kartoffelpü !“ Während Klaus über seinen Witz wie immer lauthals lachte, konnten die Kinder den Sinn noch nicht verstehen, und Andrea fand solche Scherze sowieso etwas daneben.

Also steigerte sich Klaus in seiner nächsten Frage an die Kinder: “Wie heißt der chinesische Minister für Ladenöffnungszeiten?“

Anton grübelte: „LANG – SCHON - ZU?“ „Falsch, der ist doch für die Restaurants in China zuständig.“

Emil hatte eine Idee:“PLA – TSE - BOH?“ Auch falsch, der ist für die chinesischen Apotheken zuständig.“

Und zuletzt versuchte es Emma mit einem zaghaften “IN- SU- LIN?“ Beide Jungs fielen Emma ins Wort, ob sie denn nicht wüsste, dass das die Ministerin für die chinesische Zuckerproduktion sei.

„Nun sag schon, wie heißt jetzt dein Minister für die Ladenöffnungszeiten?“ drängte Andrea.

“Na: HON – SCHON - ZU! Ist doch klar“, wieherte Klaus.

Andrea musste zwar schmunzeln, aber auch hier konnte nur Anton den Witz verstehen. Emil und Emma schauten verständnislos drein.

Eltern wissen, dass man seine Brut auf längeren Fahrten durch ein wechselndes Programm bei Laune halten sollte.

Also versuchte Andrea das immer wieder beliebte Spiel: Ich sehe was, was du nicht siehst.

Ein Spiel, mit dem fast alle Eltern ihre Sprösslinge während der Fahrt mit minimalstem Aufwand zumindest kurzzeitig unterhalten können.

Andrea legte wie immer die Regeln fest: „Der Gegenstand muss im Auto sein. Wir raten der Reihe nach und derjenige, der richtig rät, darf die nächste Frage stellen. Wer fängt an?“

„Ich“, antwortete Klaus wie aus der Pistole geschossen als erster. Nachdem Emil relativ schnell geraten hatte, dass es sich bei dem roten Gegenstand, den Klaus abgefragt hatte, um die rote Ölstandsanzeige neben dem Tachometer handelte, gab es schon den ersten Krach. Denn Emma beschwerte sich zu Recht, dass sie das Zeichen von ihrem Kindersitz aus nicht sehen konnte. Trotzdem beharrte Emil darauf, als nächster dran zu sein.

„Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist Rot/Weiß!“ “Eigentlich ist aber nur eine Farbe erlaubt“, mahnte Andrea. “Na gut, also dann mehr weiß“, schlug Emil großzügig vor. Große Ratlosigkeit im Auto. Eigentlich war nur wenig weiß. Andreas Blusenkragen. Fehlanzeige. Die Dachverkleidung im Auto - auch falsch und sowieso nicht Rot/Weiß. Nach 3 Minuten drängte Anton genervt: “Nun sag schon, Emil!“

„Meine Afte“, stellte Emil stolz fest.

„Was ist das?“ fragte Emma sofort. “Das ist wie ein schmerzhafter Pickel im Mund“, erklärte Andrea. “Aber das gilt nicht, das kann ja keiner sehen.“ Anton war jetzt beleidigt. “Doch, im Spiegel, wenn ich den Mund aufmache,“ protestierte Emil, riss seinen Mund mit einem Finger weit auf und zeigte seiner kleinen Schwester ein Prachtexemplar von einer rot weißen Afte.

„Das gilt wirklich nicht“, versuchte Klaus zu schlichten, aber weder Anton noch Emma hatten jetzt Lust, noch weiter zu spielen.

Und genau deswegen schaute Klaus jetzt zufrieden in den Spiegel und war dankbar, dass die Zeit der Witze und der Spiele durch die Handys überholt war.

Vatter - es heißt donde

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