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12. Kapitel



„Gehen wir hinein.“

Brock und Spengler hatten den Festgenommenen einige Zeit über den Monitor beobachtet. Stefan Matzke saß fast bewegungslos an dem einzigen Tisch im Vernehmungsraum. Die Handschellen waren ihm abgenommen worden. Er hatte die Hände vor sich auf dem Tisch gefaltet und starrte trübselig in den Raum.

Er sah hoch, als die beiden Beamten den Raum betraten. Seine Lippen zitterten, und seine Augen wurden schon wieder feucht.

Sie setzten sich auf die andere Seite des Tisches.

„Herr Matzke“, begann Brock. „Sie haben verstanden, dass wir Sie wegen Mordes in zwei Fällen festgenommen haben. Dies ist ein offizielles Verhör, und Ihnen steht das Recht auf einen Anwalt zu. Sollen wir jemand anrufen?“

Matzke schüttelte den Kopf. „Ist nicht nötig“, sagte er dumpf. „Ein Anwalt wird mir auch nicht helfen.“

„Vor Gericht werden Sie jedoch einen Anwalt benötigen“, erklärte Brock. „Wir haben gegen Sie genügend Beweise in der Hand, und der Staatsanwalt wird Anklage erheben. Das haben Sie soweit verstanden?“

Matzke nickte. Er wirkte völlig zerknirscht.

„Ich wollte Markus nicht töten. Er war doch mein Freund! Ich bin an dem Abend zu ihm gegangen, um einen letzten Versuch zu machen, unsere Freundschaft zu erneuern. Schon an der Haustür hat er mir Vorwürfe gemacht, aber er hat mich in die Wohnung gelassen. Dann hat er mich beschimpft und gesagt, dass oben in seinem Bett schon der Ersatz für mich wartet, jünger und viel besser als ich es jemals sein würde. Er hat mich einen Versager genannt und mir vorgeworfen, dass ich seine sexuellen Wünsche nicht erfüllen würde.“

„Stimmt das?“, warf Spengler ein.

„Markus hatte sehr abartige Neigungen. Manches wollte ich nicht mitmachen. Deshalb hat er sich irgendwelche Stricher geholt, die er gut bezahlen musste. Jedenfalls hat er sich an dem Abend in richtige Wut hineingesteigert, bis ich völlig außer mir war. Auf seinem Tisch lag zufällig ein Dolch, den ich berührte, als ich vor ihm zurückwich. Ich habe ihn in die Hand genommen und einfach zugestoßen, ohne weiter darüber nachzudenken. Ich bin erst zur Besinnung gekommen, als das Blut über mich spritzte. Vor Entsetzen war ich wie gelähmt und konnte keinen klaren Gedanken fassen.“

„Hing der Dolch nicht an der Wand?“, fragte Brock.

„Nein, nein, der lag auf dem Tisch.“

„Vielleicht“, überlegte Brock, „glaubt Ihnen der Richter diese rührende Geschichte, und Sie kommen mit Totschlag davon. Doch im Fall von Jonas Dücker sieht die Sache anders aus. Da handelt es sich eindeutig um vorsätzlichen Mord.“

Matzke sank in sich zusammen.

„Der kleine Scheißer wollte mich erpressen“, sagte er nach einer langen Pause.

Brock warf Spengler einen schnellen Blick zu. Das war in der Tat ein ganz neuer Sachverhalt. Wie ein Puzzlestein war das Motiv für den zweiten Mord an seinen Platz gefallen.

„Erzählen Sie!“, forderte Spengler den Türsteher auf.

„Er hat mich angerufen.“

„Wann?“, unterbrach Brock scharf.

„An dem Tag, als ich ihn abends besucht habe. Er hätte Fotos von mir, hat er gesagt. Fotos, die zeigen, wie ich Markus umbringe. Das wollte ich erst nicht glauben, aber dann fiel mir ein, dass jemand bei Markus gewesen sein muss – an jenem Abend. Davon hat er ja gesprochen. Also war ich unsicher, ob es nicht doch Fotos geben könnte. Eines hat er mir dann auf mein Handy geschickt. Auf den anderen könne man mich genau erkennen, hat er gesagt. Mir blieb nichts anderes übrig, als mich mit ihm zu verabreden. Er hat mir eine Adresse in der Kirchenallee gegeben, wo wir uns am Abend treffen wollten. Ich bin dann schon am Nachmittag dort gewesen, um mich umzuschauen. Und dann habe ich ihn plötzlich gesehen, wie er über die Straße kam.“

„Das war in Bahnhofsnähe?“, vergewisserte sich Spengler.

„Ja. Ich bin ihm dann gefolgt. Es war nicht weit, bis er in einem Haus verschwand. Ich habe noch eine Zeit lang gewartet und bin ihm schließlich gefolgt. Ich wollte ihm etwas Geld geben und mir die Fotos holen.“

„Das Rasiermesser haben Sie aber vorsichtshalber mitgenommen“, stellte Brock fest. „Das bezeichnen wir als Vorsatz.“

Matzke schwieg und kniff die Lippen zusammen.

„Was geschah dann?“, fragte Brock.

„Erst hat er mir erzählt, dass er dankbar ist, weil ich Markus umgebracht habe. Er hat ihn gehasst. An dem Abend wollte Markus Dinge mit ihm tun, die einfach widerlich waren. Der Junge wollte das nicht und hat sich gewehrt. Mit einer Nagelfeile, wie er mir verriet.“

Matzke lachte spöttisch.

„Dann hat es geklingelt, und Markus ging nach unten. Jonas hat sich aus dem Schlafzimmer geschlichen und Fotos gemacht. Ich habe ihn leider nicht gesehen, sonst wären wir uns wahrscheinlich gleich einig geworden.“

„Doch so war es nicht, und Sie haben ihn ermordet.“

„Auf ziemlich brutale Weise“, ergänzte Spengler.

„Er wollte einfach zu viel haben“, murmelte Matzke. „Was hätte ich tun können? Ich hatte keine andere Wahl.“

„Man hat immer eine Wahl“, sagte Brock und erhob sich.

„Sie müssen noch warten, bis das Protokoll geschrieben ist. Anschließend kommen Sie in Untersuchungshaft. Alles Weitere ist Sache des Staatsanwalts.“

Spengler folgte seinem Chef nach draußen.

„Ich habe die ganze Zeit gedacht, dass wir es mit einem schwierigen Fall im Zusammenhang mit Kunstfälschung und illegalem Handel zu tun haben.“

„Aber in Wirklichkeit war es nur ein Fall von persönlicher Eifersucht“, spann Brock den Gedanken weiter.

„Mir war allerdings der Herr Professor auch nicht geheuer“, fuhr Spengler fort. „Er hat ja auch noch dieses gefälschte Gefäß mit dem Hundekopf, das auf dem Laserscan gefehlt hat Das müsste Diefenbachs Schwester eigentlich zurückbekommen.“

„Es ist ein Schakal, Spengler. Das geht uns jedoch nichts an. Und außerdem hat das Ding als Fälschung keinen Wert.“

*



Professor Ernst Hochstein starrte auf den Bildschirm seines Computers. Lautlos bewegten sich seine Lippen, als er den selbst geschriebenen Text noch einmal las.

Er lächelte. Es war wie immer brillant formuliert.

Seine Finger schwebten einen Augenblick über der Tastatur, ehe er den letzten Absatz des Gutachtens formulierte.

Insofern beurteile ich das oben beschriebene Kanopengefäß inclusive des dazugehörenden Deckels in Form eines Schakalkopfes als eine originale Arbeit aus dem Neuen Reich des alten Ägypten. Die Entstehungszeit dürfte in der zweiten Hälfte der achtzehnten Dynastie liegen, also im vierzehnten Jahrhundert vor Christus.

Hochsteins Lächeln wurde breiter. Er wählte die Druckfunktion, und der Laserdrucker spuckte das Schreiben aus. Er musterte sorgfältig das Blatt mit seinem offiziellen Briefkopf. Keine Fehler, sehr schön.

Professor Ernst Hochstein blickte zu dem Schakalkopf hinüber, der ihn mit seinen handgemalten Augen hochmütig anzustarren schien, die keineswegs über dreitausend Jahre alt waren. Eher drei, wie er vermutete.

„Du weißt gar nicht, wie teuer du gerade eben geworden bist“, murmelte er.

––––––––



ENDE

Alstermorde: 9 Hamburg Krimis

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