Читать книгу GLASTRAUM - Hans Rudolf Specht - Страница 10
Es werde Licht
ОглавлениеEvi brachte den Holzkoffer zu ihrem Sohn. Sein Lehrbetrieb befand sich direkt bei der katholischen Kirche. Er stand im vierten Lehrjahr. Ja, bestätigte er, die Beleuchtung sei keine grosse Sache. Sein Lehrmeister war einverstanden, dass der junge Mann die Umsetzung der Idee seiner Mutter übernahm. Mit LED Licht wolle er dies machen. Vielleicht könne er mit farblichen Effekten sogar zusätzlich verschiedene Stimmungen ins Bild bringen. Der Lehrmeister und Evi waren begeistert. Sie liessen ihm freie Hand.
Nach zwei Tagen waren alle Teile für die Installation eingetroffen und der junge Mann machte sich ans Werk. Den ganzen Tag hatten ihn verschiedene Aufträge auf Trab gehalten. Er wollte nach Feierabend, wenn ihm die Werkstatt allein zur Verfügung stand, seine Idee umsetzen. Den Bauplan kannte er auswendig. Deshalb kam er mit der Arbeit zügig voran. Gegen einundzwanzig Uhr stellte er das Glasbild in den von seinem Vater angefertigten Holzständer, schloss das Stromkabel an und drückte den Einschaltknopf. Dieser war gleichzeitig der Drehregler, mit dem die Farbvariationen eingestellt werden konnten. Das Arbeitslicht in der Werkstatt war gelöscht, denn sein Werk sollte richtig zur Geltung kommen. Der junge Mann startete mit dem neutralen D 65 Tageslicht. Der farbige Glashuldrych begann zu leuchten. Doch was war denn das? Aus dem Bild hörte er ein deutliches knarren, so wie wenn sich Holz unter einer gewaltigen Last zu biegen beginnt.
»Verdammt, habe ich was falsch gemacht? Wird das Bild zu heiss?«
Der Lehrling sprach laut vor sich hin und führte mit der Hand einen Kontrollgriff am Bildrahmen aus. Er zuckte sofort zurück. Ihm schien das Holz brennend heiss, doch der Schmerz war wie weggeblasen als er seinen Griff lockerte. Aus dem Nichts zuckten Blitze durch den Raum. Die Strassenbeleuchtung liess nur schummriges Licht in die Werkstatt. Um das Glasbild formierte sich eine dunkelrote Wolke. Auch sie kam, so schien es dem Lehrling jedenfalls, aus dem Nichts. Sie war einfach plötzlich da und wuchs zu einem dicken Nebel heran. Zudem roch es nach verbrannten Haaren und alten Möbeln. Je stärker der Nebel wurde, umso stärker empfand er den typischen Modergeruch, den er gut von der Arbeit seines Vaters kannte. Dieser war Hobbyarchäologe und er begleitete ihn oft bei Ausgrabungen. Das montierte LED Licht wurde stärker und stärker.
»Das ist ja viel zu hell. Dieses Licht kommt bestimmt nicht von den LED's!«
Seine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt. Er erschrak beinahe zu Tode. Verzweifelt klammerte er sich am zum Glück massiven Lista Werkbank, hinter dem er stand, fest. Aus der Wolke bildete sich vor seinen Augen eine menschliche Gestalt, ein in wallende Mäntel gekleideter Mann. Um ihn herum wogte der inzwischen hellrote Nebel. Die Gesichtszüge kristallisierten sich aus dem Dunst. Der Lehrling erkannte den am 11. Oktober 1531 von Landsknechten in Kappel am Albis erschlagenen Reformator Huldrych Zwingli. Er trug die gleiche originelle Dächlikappe wie auf dem Glasbild. Er traute seinen Augen nicht und schüttelte sich ungläubig.
»Das ist nicht wahr. Ich spinne. Das ist ja wahnsinnig!«
Nun begann der Bildergeist sogar zu sprechen, in für den Lehrling nur schwerverständlichem Deutsch:
»Junger Mann, wo bin ich hier? Welches Spiel wird mit mir getrieben? Was soll ich hier?«
Der Angesprochene brachte kein Wort hervor. Zwingli kam auf ihn zu und er wich zurück. Genau in diesem Moment begannen in der Kirche die Glocken zu läuten. Die vorweihnächtliche Abendandacht war zu Ende. Zwingli hob erschrocken den Kopf:
»Was soll dieser Lärm Jüngling? Sind das Kirchenglocken?«
Der Azubi fand endlich Worte und war froh, dass die Geistergestalt stillstand:
»Ja die Andacht ist zu Ende.«
In seiner Todesangst fuhr er weiter:
»Bestimmt kommen gleich viele Menschen hier in diesen Raum.«
Doch Zwingli hatte ganz andere Sorgen:
»Sprich, was für eine Kirche ist das? Wohl keine katholische! Sprich endlich!«
»Doch, doch, katholisch, die heilige Kirche Sankt Antons.«
Zwingli zauderte, schaute sich gehetzt in der Werkstatt um und polterte:
»Sicher sind die katholischen Landsknechte aus der Innerschweiz hinter mir her. Ein gar wilder Haufen. Die wollen mir an die Gurgel. Wenn das eine Falle ist, bist du auch des Todes. Wenn du mir hilfst zu fliehen, werde ich dich aber reich belohnen!«
Der Lehrling wich bei der Todesdrohung des imposanten Nebelmannes weiter zurück. Er hielt noch immer das Anschlusskabel mit dem Schalter in der Hand. Ohne zu wollen riss das gespannte Kabel den Stecker aus der Dose. Das Licht erlosch und Zwingli verschwand augenblicklich. Nur der rote Nebel schwebte im Raum. Es roch nach Antikem und Kulturkampf.
»Was zum Teufel war denn das? Ich habe doch heute weder einen Joint reingezogen noch sonst etwas eingeworfen!«
Er schüttelte benommen seinen Kopf und blickte sich im Raume um. Der rote Nebel war deutlich zu sehen. Der Lehrling murmelte weiter:
»Ich brauche etwas Rechtes.«
Er erinnerte sich, dass im Pausenraum die Flasche mit Appenzeller Alpenbitter des Chefs im Kühlschrank stand. Gelegentlich gönnte der sich einen Feierabendschluck. Der Junge Mann füllte sich ein Glas halbvoll und trank es in kleinen Schlücken aus. Das Glas stellte er auf den Tisch. Er blickte aus dem Fenster gegen die Kirche. Zwei Tatsachen fielen ihm auf. Es hatte zu schneien begonnen. Nicht unerwartet, es war ja schliesslich Dezember und in einem der Unterrichtszimmer im Pfarreizentrum brannte Licht. Dort bereitete seine Mutter die Weihnachtsfeier für ihre Religionsklasse vor. Sie wolle warten bis er fertig sei und ihn mit nach Hause nehmen. So hatten sie sich abgesprochen. Eilig überquerte der erschrockene Lehrling den schon leicht schneebedeckten Vorplatz. Im Schulzimmer traf er auf seinen Vater. Auch er wollte mit ins traute Heim fahren. Noch ganz aus dem Häuschen schilderte der angehende Elektriker den Eltern sein unheimliches Erlebnis und bat sie, ihn zurück in die Werkstätte zu begleiten: 313131
Ich schalte das Licht nur ein, wenn jemand dabei ist. Diese Sache scheint mir doch recht sonderbar, vielleicht sogar gefährlich, lebensgefährlich!«
Sie folgten ihrem Sohne neugierig. Wieder dunkelte er den Raum ab und schloss vorsichtig das Glasbild an das Stromnetz an. Er drückte den Knopf. Es geschah nichts. Lediglich der noch immer erkennbare rote Nebel gab der Szene einen leicht gespenstischen Touch. Der Vater sprach zuerst:
»Ausser der Wolke sehe ich nichts Aussergewöhnliches. Ja, es riecht etwas verbrannt hier. Vielleicht war einfach ein Kurzschluss und ...«
Er näherte sich seinem Sohne, rümpfte die Nase und schaute ihm in die Augen:
»...den Schreck hast du wohl mit einem gehörigen Schluck Appenzeller zu vertreiben versucht?«
Auch die Mutter lächelte nachsichtig:
»Ich meine dein Werk ist absolut geraten. Vielen Dank. Du hast in letzter Zeit viel gearbeitet. Komm lass uns nach Hause gehen, bevor auch wir zu spinnen beginnen!«
Wütend riss der erstgeborene Sohn der Lehrerin und des Hobbyarchäologen das Kabel wieder aus der Steckdose, packte das Zwinglibild, legte es in die Holzkiste und streckte es seiner Mutter hin.
»Hier nimm den Kerl. Ich rühre ihn jedenfalls nie mehr an. Kannst es mir glauben und wenn ich je wieder ein gröberes Problem haben werde, komme ich damit bestimmt nicht mehr zu euch. Ihr seid ja soooo verständnisvoll! Und jetzt raus da, Ich muss abschliessen! «
Das Elternpaar kam der Aufforderung nach. Sie versuchten gar nicht, ihren Sohn zu beschwichtigen.
»Der wird sich schon wieder beruhigen, spätestens bis morgen, wenn er wieder nüchtern ist.« schmunzelte der Vater. Die Mutter brachte das Holzkistchen in ihr Arbeitszimmer, legte es zu oberst auf ein Gestell:
»Da bist du vorläufig in Sicherheit. Ich bringe dich bei Gelegenheit ins reformierte Kirchensekretariat. Der Auftrag von Franz ist jedenfalls ausgeführt!«
Im Kistchen aber sprach Zwingli ganz leise, für Aussenstehende nicht hörbar:
»Glück gehabt! Das war richtig, einfach nicht mehr aus dem Rahmen fallen, wie beim ersten Mal, als es Licht wurde. Ich muss sehr vorsichtig sein. Die Katholiken sind noch immer hinter mir her. Ob ich hier wohl in Sicherheit bin? Ausgerechnet in einer Kirche meiner Feinde? Ich muss auf der Hut sein, wenn sie mich wieder mit Licht hinaustreiben wollen!«