Читать книгу GLASTRAUM - Hans Rudolf Specht - Страница 8
Franz
ОглавлениеSein Weg ins schmucke Einfamilienhaus im gepflegten Garten führte zwangsläufig am Bären vorbei. Eigentlich wäre das Rössli präsidialer gewesen. Dort trafen sich die Strippenzieher der Freisinnigen, schwärmten von den guten alten Zeiten und jammerten über den Niedergang ihrer liberalen Partei. Vor einer Woche hatte die Partei den Wahlkampf um das Schulratspräsidium des Dorfes verloren. Die Wunde schmerzte bitterlich. Dieses Gejammer wollte sich Franz ersparen. Franz ist zwar ein katholischer Name und Aussenstehende wunderten sich immer wieder über einen reformierten Kirchenpräsidenten mit dem Namen Franz. Seine Mutter konvertierte bei der Heirat mit dem Vater von Franz zum evangelischen Glauben und war, wie damals üblich, sogleich enterbt worden. Dieses Schicksal trug sie mit erstaunlicher Fassung. Sie stammte aus einer armen Stickerfamilie aus Appenzell Innerrhoden und zu erben gab es lediglich ein verlottertes Heimetli und einen giftigen Appenzeller Bläss. Auf die Enterbungsgeschichte angesprochen erwiderte sie jeweils trocken:
»Wenigstens liessen sie mich am Leben. In einem islamischen Land wäre ich mit Bestimmtheit öffentlich gesteinigt worden.«
Doch mit dem Namen Franz für den Zweitgeborenen wollte sie trotzdem an ihre fröhliche katholische Jugend erinnern. Dem Baby Fränzli waren die nostalgischen Gefühle seiner Mutter gleichgültig, der Präsident Franz hingegen wünschte sich hie und da, er würde Peter, Paul oder Johannes gerufen.
Vor dem Bären stand der neue grüne John Deere seines Schulkollegen, dem Bauer vom Aubodenhof. Er dachte;
Ein Quöllfrisch nach der Sitzung kann nicht verkehrt sein. Meine Frau hat sicher Aufgaben ihrer Schüler zu korrigieren.
Nach dem kühlen Trunk war Franz schlauer und in noch besserer Stimmung. Der Hof des Schulkollegen lag am Zufahrtsweg zum hinteren Auboden. Jenes abgelegene Bauernhaus, das der Finanzchef vor sieben Jahren der Kirchgemeinde abgekauft hatte. Eines der ersten Geschäfte, das Franz als Kirchenpräsident abschloss. Die Gemeinde brauchte auch damals viel Geld. Die Renovation der wundervollen, kleinen Kirche im Weiler Unterglatt kostete deutlich mehr als vorgesehen. Das Loch in der Kasse war gross. Da kam das Angebot des finanzstarken Bankers aus Zürich, die Liegenschaft zu übernehmen, gerade recht. Nur der Bauer vom Aubodenhof, eben sein Schulkollege, war zusammen mit Tobias Fink, dem Ortsbürgerpräsidenten gegen das Geschäft. Der Bauer wollte den Hof für sich, konnte aber die siebenhunderttausend Franken auf keine Art und Weise aufbringen. Tobias hingegen passte die aalglatte Art des Kaufinteressenten nicht. Der Manager aus der Wirtschaftsmetropole renovierte die Liegenschaft aufwändig. Dazu gehörte der Bau eines kleinen Hallenbades in einem verglasten Wintergarten samt Whirlpool im Freien, einer grosszügigen Solaranlage und der Einbau von drei Garagen in die ehemalige Scheune. Der Kirchpräsident war noch immer stolz auf seine Superidee, dem Kauf nur zuzustimmen, wenn der Bänker im Gegenzug das Finanzdepartement der Kirchgemeinde übernehmen würde. Der Zürcher war sofort einverstanden und so erhielt die Kirchgemeinde den ausgewiesensten Finänzler, der je die Kassenbücher führte. Das Privatleben des Yuppie Ehepaares interessierte Franz nicht. Er hörte zwar von den Gerüchten, dass die Frau oft während Wochen nicht zu Hause sei. Die Kinder hatte im Dorf nie jemand zu Gesicht gekommen. Sie studieren eben in den USA, hiess es. Der Finanzverwalter der reformierten Kirchgemeinde des grossen Dorfes jedenfalls machte seine Arbeit hervorragend und war für Franz immer erreichbar. Das genügte ihm vollauf.
Im Bären hatte ihm der Bauer gesagt, er sei nun auch zufrieden, so wie es gekommen sei. Sein neuer Nachbar störe ihn überhaupt nicht und habe sogar das Strässchen von der Hauptstrasse bis zum hinteren Auboden auf seine Rechnung asphaltieren lassen. Das nütze auch ihm sehr. Doch den ausgedehnten Wald auf den Hügeln hinter der Liegenschaft des Zürchers gelegen, den Aubodenwald, der sich im Besitze der Kirchgemeinde befand, den würde er schon gerne kaufen. Er meinte, dass man sich über den Preis bestimmt einigen könnte. Das freute Franz enorm. Hatte er nicht gerade wieder einmal von aufziehenden, von dunklen Wolken über dem kirchlichen Finanzhimmel gehört? Den Wert des Waldes kannte er zwar nicht, aber so um eine halbe Million müsste doch bestimmt zu lösen sein. Das Angebot des Aubodenbauers würde somit auch den Finänzler freuen. Franz nahm sich vor, demnächst einmal den Wald genau zu besichtigen. Er war sehr gewissenhaft und wusste gerne, um was es bei den kirchlichen Finanzgeschäften ging.
Dass Franz überhaupt der Präsident der Kirchgemeinde war, hatte weniger mit seiner religiösen Grundhaltung zu tun. Seine Frau spielte im Kammerorchester Cello. Seit der Gründung des Orchesters fanden die Proben in der Unterglättler Kirche statt. Von einer dieser Proben kam seine Frau vor acht Jahren ganz aufgeregt nach Hause.
»Sie brauchen einen neuen Kirchenpräsidenten. Das wäre doch etwas für dich. Du wirst doch wegen deiner Krankheit vorzeitig pensioniert. Das Amt ist ein zwanzig Prozent Job. Zusammen mit der Rente, welche sie dir angeboten haben würden wir, äh du, ja mehr verdienen als heute!«
»Ja meinst du ich könnte das. Ich gehe ja nie in die Kirche und die beiden ausländischen Pfarrer sollen ganz schwierige Gesellen sein. Zudem ist da der erzkonservative Zwinglianische Bibelkreis, der zu allen Geschäften des Rates seinen Senf dazu gibt und immer etwas zu meckern hat. Ich weiss nicht...«
Seine Frau wurde energisch:
»Ach komm, du kannst das mindestens so gut wie alle, die das Amt je innehatten. So wie du die schwierigen Instrumente im Jumbojet im Griff hattest, so wirst du bestimmt auch die speziellen Typen in der Kirche unter deine Kontrolle bekommen. Sei kein Frosch und melde dich!«
Franz war einer der letzten Bordingenieure der Swissair auf dem Jumbojet gewesen. Im Zuge der Reduktion auf die Zweimannbesatzungen, bot ihm die Airline die Umschulung zum Piloten an. Doch als er nach zwei Jahren Copilot auf den Sitz des Flugkapitäns wechseln sollte, war er der Belastung nicht gewachsen und bekam den ersten Pilotenburnout der Swissair. Es war auch gleichzeitig der Letzte, denn kurz nach seiner Erkrankung brannte die Swissair selbst finanziell aus und musste ihre Flugzeugflotte grounden. Dies geschah genau drei Tage nachdem Franz in die vorzeitige Pension gegangen war. Seither war Franz unter dem Beinamen der Glückliche in den alten Swissairkreisen wohlbekannt.
Er tat wie ihm seine Frau geraten hatte, und die Sache kam gut. Alle Gäste waren einstimmig der Meinung:
Da haben die Reformierten Glück gehabt, als sie dich in dieses Amt hievten. Du machst deine Sache ausgezeichnet.
Darauf hin hatte Franz eine weitere Runde spendiert und sich verabschiedet. In seinem Zuhause angekommen stellte er überrascht fest, dass seine Frau nicht wie angenommen Schülerarbeiten korrigierte. Sie wartete ungeduldig auf ihn und kam ihm mit rotem Kopf entgegen, schlang ihre Arme um sein Genick, küsste ihn und war richtiggehend aus dem Häuschen.
»Du kannst dir nicht vorstellen, wer gerade angerufen hat!«
Tatsächlich sah er bei genauerer Betrachtung, dass ihr rechtes Ohr ganz verkrugelt und rot war.
»Nein, wie auch? Es war aber offensichtlich ein langes Gespräch.«
»Wirklich, in der Tat! Ein sehr langes. Unsere Schwiegertochter in St. Gallen ist wieder schwanger und hat mich gefragt, ob wir nicht die Buben für ein paar Tage nehmen könnten. Es sei ihr oft grauenhaft übel. Morgen früh kannst du deine Enkelkinder holen.«
Diese Nachricht erfüllte das Ehepaar mit unbändiger Vorfreude.