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Zwinglisaal

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Annemarie überbrachte am grossen Tag der Einweihung mit einer launigen Rede das Geschenk des Ortsmuseums an die reformierte Kirchgemeinde. Es war ein wunderschöner Sonntag im Spätsommer. Der feierliche, kurze und ökumenische Gottesdienst konnte bei strahlendem Sonnenschein im Freien durchgeführt werden. Lediglich der Gemeindepräsident und die Präsidentin der katholischen Kirchgemeinde beteiligten sich mit ihren Grussadressen nebst Annemarie an der Feier. Das hervorragende Bankett mit den offiziellen Gästen zog sich bis in den Nachmittag hinein. Claire, der das kurze Sommerkleid mit den Spaghettiträgern und dem raffinierten Ausschnitt hervorragend stand, hatte die Gäste mit Fingerspitzengefühl und Grips platziert. Annemarie konnte den Gemeindepräsidenten für eine Beitragserhöhung an das Ortsmuseum überzeugen. Die Chefin der Katholiken unterhielt sich glänzend mit dem holländischen, evangelischen Pfarrer. Im Gegenzug lachte der katholische Pfarrer auffallend oft, wenn seine Tischnachbarin, die junge Leiterin der Tagesstätte, lustige Erlebnisse mit ihren Kindern erzählte. Claire freute sich über die aufgeräumte Stimmung und den offensichtlichen Erfolg ihrer Sitzordnung ebenso, wie über die körperliche Nähe zum Finanzminister. An einer Vorstandssitzung vor einigen Monaten, an der sie berufshalber teilnehmen musste, hatte sich der Mann gewaltig für die Aufstockung ihres Pensums auf hundert Prozent eingesetzt. Ihr Antrag auf die Erhöhung ihres vierzig Prozent Pensums war nämlich sehr umstritten. Vor allem die Mitglieder des Zwinglianischen Bibelkreises fanden die Stelle völlig unnötig. Die attraktive Gemeindeschwester sei trotz der ausgewiesenen fachlichen Qualitäten eine Fehlbesetzung. Freiwillige Helferinnen und Helfer sollten nach ihrer Meinung diese Altersbetreuung im christlichen Sinne übernehmen. Franz war unbedingt auf die Unterstützung durch seine Ratskolleginnen und Kollegen angewiesen, um seine Idee der umfassenderen Betreuung der betagten Gemeindemitglieder umsetzen zu können. Dies gelang auch dank des engagierten Einsatzes des redegewohnten Finänzlers. Dank dem starken Votum für Claire, war ihr dieser sehr sympathisch geworden. Gerne hätte sie ihn etwas persönlicher kennen gelernt. Man munkelte im Dorf einiges über ihn und sie spielte ganz gerne mit dem Feuer. Seine versteckten Blicke auf ihr einladendes Dekolleté blieben ihr nicht unverborgen. Claire lächelte den Mann aufmunternd an:

»Ist halt noch immer sommerlich warm heute, nicht wahr?«

Er schenkte ihr einen tiefen, fast schmachtenden Blick und nickte stumm.

Im Verlaufe des Nachmittags zogen sich die Gäste zurück. Der Kirchenpräsident hatte auf drei Uhr zum Debriefing geladen. Er verabschiedete sich mit einem überschwänglichen Dankeschön und schloss:

»Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Einweihung unseres Zwinglisaals war viel schöner als ich es mir vorstellen konnte. Das ist euer aller Verdienst. Diese Feier ist nun zu Ende.«

Er wies mit der Hand auf den schweren, plumpen Bau, der durch die grossen Fenster des Zwinglisaales zu sehen war.

»Nochmals herzlichen Dank, wir treffen uns am Dienstag in einer Woche wieder zu unserer Schlusssitzung. Darf ich den Hausmeister und meine Sekretärin kurz zurückhalten?«

Die Angesprochenen blieben im Zwinglisaal. Die anderen drängten zum Ausgang. Niemand bemerkte die hin und her blitzenden Blicke zwischen Claire und dem Banker. Natürlich blieb auch das Herzklopfen, welches die beiden auf den Parkplatz begleitete, verborgen.

Im Zwinglisaal blickte der Präsident auf die administrative Mitarbeiterin Judith:

»Ist alles klar? Ich bin ja nächste Woche in den Ferien.«

Die Frau wollte auch nach Hause zu Mann und Kindern.

»Ja natürlich, du kannst dich auf mich verlassen!«

Er sprach den Hauswart an:

»Für dich auch? Du erledigst doch die Aufräumarbeiten wie abgemacht. Wenn du Hilfe brauchst, wende dich bitte an meinen Stellvertreter. Er ist über alles informiert. Aber nun die wichtigste Frage: Was machen wir mit DEM da?«

Er wies auf die Holzkiste vor dem Hauswart. Dieser, ein gelernter Schreiner, betrachtete schon die ganze Zeit die kunstvolle Schnitzarbeit. Seine Finger fuhren gedankenverloren über den Hahn, die Rosen und die vollen Rundungen der vier Eckdamen. Sofort liess er von den Frauen ab und öffnete das Holzetui.

»Der Zwingli muss unbedingt in ein Fenster gehängt werden. Der braucht Licht von hinten, sonst erkennt man die wunderschönen Farben ja gar nicht!«

Die Sekretariatsmitarbeiterin hob das Bild aus dem Kistchen und hielt es an eines der raumhohen Fenster.

»Und wie willst du das hier befestigen. Das sind dreifachverglaste, schalldämmende, Vakuum verschweisste Thermofenster. Schlag da mal einen Nagel rein! Ha, ha. Die Wände kannst du auch gleich vergessen. Das geht bei diesen modernen Materialien nicht so einfach.«

Der Präsident begriff, dass es mit dem Zwingli doch etwas komplizierter sein könnte. Er lenkte ein:

»Ach was, das überlegen wir uns später. Jetzt machen wir Schluss. Du hast bestimmt ein gutes Zwischenlager für unseren Reformator.«

Die Angesprochene nickte eifrig.

»Ja klar doch, dort im Wandschrank.«

Huldrych fand sich schnell in seinem Holzkästchen wieder und wurde in einem der Wandschränke verstaut, direkt neben der Schachtel mit dem Christbaumständer. Auch die drei wollten nur eines. Nach Hause.

So weit so gut. Hier könnte die Geschichte wiederum problemlos enden. Der Saal war erfolgreich eingeweiht. Für die reformierte Kirchgemeinde des grossen Dorfes, das sich so widerspenstig gegen den Titel Stadt sträubte, sah die Zukunft auf den ersten Blick gar nicht so schlecht aus. Die Ökumene war auf einem guten Weg, die Finanzen schienen zumindest ausgeglichen und der Vorstand war zu einem echten Team zusammengewachsen. Der weitere Verlauf der Amour fou der Gemeindeschwester wäre vielleicht schon interessant, geht aber wirklich nur die direkt Betroffenen etwas an.

Doch da haben wir das kleine Schmuckkästchen im grossen Wandkasten. Mit dem Huldrych Zwingli aus Glas drin und genau wegen diesem endet diese kleine Geschichte aus dem grossen Dorf, das sich durchaus auch Stadt nennen könnte, eben nicht hier. Sie geht weiter.

Die Tagesblätter fielen vom Kalender und auch bald färbten sich die Blätter der Bäume und schaukelten der Erde zu. Die ersten Anlässe und Sitzungen fanden im eingeweihten und getauften Saal statt. Das Kirchensekretariat stellte einen Belegungsplan auf und die verschiedenen kirchlichen Organisationen nutzten schnell und gerne den neuen Treffpunkt. Die Seniorinnen und Senioren der ökumenischen Altersferien fuhren mit dem Leiterteam für eine Woche an den Ägerisee. Zu diesem Team gehörte natürlich auch Claire. Der Kirchenpräsident verabschiedete die fröhliche Truppe vor dem Zwinglisaal und empfing sie eine Woche später wieder am gleichen Ort. Die Gruppen 60 - na und?, der Frauentreff und die Herren-Vereinigung Mann bleibt Mann, organisierten erfolgreich verschiedene Anlässe. Das im Volksmund scherzhaft als Ökumenen bezeichnete Team, welches die Weihnachtsfeier für Einsame und die Seniorenferien organisierte, konnte dank einem grosszügigen Legat einer Unternehmerwitwe den Mittagstisch für alle aufbauen. Ein geselliger Anlass, der bald jeden Mittwoch gegen hundertfünfzig Mitglieder der beiden Landeskirchen in den grossen Glattsaal lockte. Abwechselnd gestalteten die Pfarrer der beiden Kirchgemeinden die kurze Besinnung bevor die gut gefüllten Teller aufgetragen wurden. Kurz und gut. Das neue reformierte Kirchenzentrum mit dem Zwinglisaal und auch der bedeutend grössere Glattsaal der politischen Gemeinde erfreuten sich stetig steigender Beliebtheit.

Das Jahr neigte sich dem Ende entgegen. Wieder wurde eine Sitzung der Vorsteherschaft geschlossen. Der Präsident hatte die Angewohnheit, nach der Sitzung Fragen mit einzelnen Kolleginnen und Kollegen zu klären. Kurze Gespräche, Anweisungen, Fragen, Termine regeln. Sein Ziel war stets die Gelegenheit zu nutzen, wenn die Leute gerade verfügbar waren. Heute war sein Stellvertreter an der Reihe. Leicht verunsichert blickte er gespannt auf seinen Chef.

»Kannst du an der Sitzung vom nächsten Mittwoch das ungefähre Budget für das neue Jahr präsentieren? Können wir uns eine halbe Stunde vor der Sitzung hier treffen, um es zu besprechen, bevor wir es unseren Kolleginnen und Kollegen vorstellen?«

Der Finanzverwalter atmete erleichtert auf. Kein Wort über seine Affäre mit Claire.

»Aber selbstverständlich Chef. Ich habe die Zahlen schon einigermassen zusammengestellt und muss allerdings nochmals über die Bücher, denn unsere Finanzlage sieht für mich völlig überraschend gar nicht so rosig aus.«

»Aber hallo jetzt! Wir gehen doch von einer positiven Rechnung aus, jetzt mit unseren neuen Einnahmequellen. Sollte ich mir Sorgen machen?«

»Wie gesagt, ich muss nochmals alles durchrechnen. Ich fürchte, dass ich etwas übersehen habe. Die Bauabrechnung stimmt irgendwie nicht mit dem Budget überein. Gib mir einige Tage, dann ist immer noch genügend Zeit für Sorgen. OK?«

Der Präsident der Kirchgemeinde und sein Stellvertreter verabschiedeten sich und gingen ihre grundverschiedenen Wege.

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