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Die Ökumenen und die Ökonomen

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Die Ökumenen, so wurde das ökumenische Team um die Leiterin Maria, von vielen Protestanten und Katholiken liebevoll genannt, traf sich am Mittwoch zur Vorbereitungssitzung: Weihnachten - gemeinsam statt einsam im Zwinglisaal. Es war die gleiche Gruppe, welche für die Seniorenferien im Sommer und den Mittagstisch für alle verantwortlich zeichnete. Das Leiterteam bestand aus Maria und ihrem Mann, Claire, Evi und dem Ehepaar Rebecca und Tobias Fink. Die Organisation der Weihnachtsfeier war für die eingespielte Truppe keine grosse Sache. Die einzelnen Punkte wurden diskutiert. Beim Traktandum Christbaum meinte Rebecca:

»Ich möchte sicher sein, dass der holländische Pfarrer den Christbaumständer wieder zurückgebracht hat. Ihr erinnert euch an das Theater vor einem Jahr.«

Alle lachten und Rebecca überprüfte gewissenhaft den Schrank und fand das wichtige Teil am richtigen Ort.

»He, was ist denn das?«

Sie zog das schmucke Holzetui in dem der gläserne Huldrych gezwungenermassen ruhte, hervor und brachte ihn zum Besprechungstisch. Zwingli wurde aus seinem Verlies gehoben und gebührend bestaunt. Claire kannte die Geschichte von Annemarie und wusste auch, dass nach der Einweihungsfeier des Zwinglisaales kein geeigneter Platz für ihn gefunden werden konnte. Deshalb sei der Reformator neben dem Christbaumständer zwischengelagert worden.

»So geht das aber gar nicht!«

Tobias war sichtlich enttäuscht.

»Da bekommen wir ein so spezielles Geschenk und versorgen es im Geschirrschrank. Ein Skandal. Hoffentlich hat dies Annemarie vom Museum nicht erfahren.«

Claire wusste natürlich, dass sich ihre Freundin keine grossen Gedanken über ihr Präsent machte. Sie weilte vorübergehend in ihrer grossen Zweitwohnung in Zürich um einen ganz besonderen Immobilienhandel erfolgreich abzuschliessen. Die Diskussion über den verschmähten Zwingli war noch voll im Gange, als Franz den Saal betrat. Er wollte seine Sitzung, die in einer Stunde beginnen sollte, vorbereiten.

»Au Entschuldigung! Ich will nicht stören, habe gar nicht auf den Belegungsplan geschaut. Sorry, ich verschwinde wieder!«

Tobias widersprach:

»Nein Franz, du kommst genau zur rechten Zeit! Wir sind mit unserer Besprechung fertig und wollten gerade gehen. Doch der da...«

Er nahm seiner Frau den Zwingli aus der Hand und hob ihn hoch.

»...hat uns am Gehen gehindert. Der gute Zwingli braucht doch einen würdigen Ehrenplatz. Was meinst du?«

Der Kirchenpräsident murmelte etwas von:

»Ist halt technisch nicht gut möglich, das Bild vor ein Fenster zu hängen. Das Kunstwerk braucht aber Licht, damit es richtig zur Geltung kommt!«

Tobias erhob sich, noch immer mit dem Zwingli in den Händen und stellte das Glasbild auf das Einbaumöbel in einer Raumecke. Im Schrank waren die Installationen für die Raumtechnik, Verstärkeranlage, Videobeamer usw. untergebracht.

»Da gehört er hin! Da hat der gute Mann die Übersicht und wird von allen Seiten gut gesehen. Nicht wahr?«

Die Ökumenen waren begeistert:

»Genau da gehört er hin. Aber beleuchtet muss er sein. Von innen her, ist doch klar!«

Franz staunte. Dieser Vorschlag kam von der katholischen Evi, der Lehrerin. Sie fuhr weiter:

»Mein Sohn ist doch Elektriker. Soll ich den Zwingli mitnehmen und eine stilvolle Beleuchtung für ihn organisieren. Das wird die Kirchgemeinde nicht viel kosten. Wenn du meinem Ältesten eine Pizza im Restaurant Post spendierst, bringt er den Zwingli bestimmt zum strahlen. Was meinst du, Franz?«

Franz fand die Idee super. Macht seines Amtes als Präsident der reformierten Kirchgemeinde eines grossen Dorfes, das sich erfolgreich weigerte eine Stadt zu sein, sprach er:

»Wirklich grossartig, Evi. Ich danke Dir, es wäre ja schön wenn ihr an der Weihnachtsfeier für die Einsamen den Zwingli richtig willkommen heissen könntet.«

Die Ökumenen überliessen den Schauplatz den Ökonomen und zogen mit ihrer Trophäe fröhlich davon. Für Franz wurde die Sitzung schwierig. Der Finänzler erklärte vorgängig, dass für ihn völlig überraschend die endgültige Bauabrechnung für das neue Zentrum um einige hunderttausend Franken höher als budgetiert ausfalle. Den Grund für die unerhörte Kostenüberschreitung kenne er erst nach einer Aussprache mit seinem Amtskollegen bei der politischen Gemeinde. Sie müssten ja die Kosten gegenseitig aufschlüsseln. Das sei eine komplizierte Angelegenheit. Auch die Kasse der Kantonalkirche solle leer sein. Deshalb gehe das Gerücht um, die Subventionen vom Kanton könnten ab sofort gestrichen werden. Zudem sei jetzt sicher, dass der Glockenstuhl in der jubilierenden Kirche dringend saniert werden müsse. Das vom Holzwurm befallene Gebälk drohe, der Last nicht mehr Stand zu halten. Die Glocken könnten bald einmal abstürzen und das hätte weitaus schlimmere Folgen als der Seilriss vor hundert Jahren. Eine erste provisorische Schätzung gehe jedenfalls von einigen hunderttausend Franken für die Instandsetzung aus.

Die dunklen Wolken am Finanzhimmel kamen für Franz wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Er machte sich Sorgen. Zu viele finanzielle Aufgaben standen für die Kirchgemeinde an. Der Unterhalt der grossen Kirche beim Haus zu den zwei Linden und der kleineren in Unterglatt verschlang hohe Summen. Die Lohnkosten waren in den letzten Jahren nicht geringer geworden. Die Aufgaben der Kirchgemeinde stiegen laufend. Auf der anderen Seite nahmen die Steuereingänge stetig ab. Um dies zu kompensieren müsste der Steuerfuss um einige Prozente angehoben werden. Oder es könnten einmalige Einkünfte durch den Verkauf von weiteren Liegenschaften erzielt werden. Die Kirchgemeinde besass nebst dem bereits erwähnten Wald im hinteren Auboden, zwei Pfarrhäuser, das Haus zur Buche und eben die beiden umfangreichen Kirchenliegenschaften. Nicht mehr viele Reserven, überlegte sich Franz. An der Sitzung erwähnte er lediglich, dass sich die Finanzen nicht wunschgemäss entwickeln und erteilte deshalb seinen Kolleginnen und Kollegen den Auftrag, im Hinblick auf das Budget die ganze Organisation rigoros nach Einsparungsmöglichkeiten zu durchforschen. Neue Einnahmequellen seien heiss willkommen, fügte der Präsident an. Der Bauverwalter solle sich bitte genau über die notwendigen Sicherungsarbeiten für den Glockenstuhl informieren. Vom Angebot des Aubodenbauers erwähnte er nichts. Das sollte sein Triumph werden. Er schloss mit dem Hinweis, dass die schwierige Finanzlage das einzige Thema an der ersten Sitzung im neuen Jahr sein werde. Bis dahin lägen die verbindlichen Abrechnungen des laufenden Jahres vor und man habe klare Fakten. Der Kirchgemeindeversammlung im Frühjahr müsse wenn immer möglich, ein ausgeglichenes Budget vorgelegt werden.

Nach dem gewohnten, geselligen Umtrunk im Rössli machte er sich gedankenschwer durch den Herbstnebel auf den Heimweg. Der einzige Lichtblick des Tages war nach genauer Betrachtung nur die brillante Idee, den Zwingli beleuchtet zu platzieren. Sein Vorschlag, den Namensspender des Saales an Weihnachten einzuweihen gefiel ihm ausnehmend gut. Er freute sich schon jetzt auf das verdutzte Gesicht des holländischen Pfarrers. Hie und da hatte Franz nämlich das Gefühl, jener sehe sich als der direkte Nachfolger von Calvin oder Luther und letzt genannter galt bekanntlich nicht gerade als Zwinglis Freund.

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