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Altenberg

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Zügig nahm Tobias nach der Ankunft des Postautos in Narrikon den Weg über den Altenberg in Angriff. Er liebte es über alles, allein diese Strecke nach Hause zu gehen und war seiner Rebecca von Herzen dankbar, dass sie ihm diese kleine Auszeit gönnte wann immer er es brauchte. Der Altenberg war ein Teil des Aubodenwaldes. Vor vielen Jahren arbeitete er im Nachbardorf und ging diesen Weg oft. Es liess sich während dem Wandern vortrefflich über aktuelle Probleme nachdenken. An diesem späten Nachmittag beschäftigten ihn zwei Fragen:

Was hat die geisterhafte Erscheinung des schweizerischen Nationalreformators zu bedeuten? Wie soll mit diesem Phänomen umgegangen werden? Welcher Spuck steht hinter dieser wundersamen Auferstehung nach fast fünfhundert Jahren?

Die zweite Frage bereitete aber Tobias ebenfalls echte Sorgen. Franz der Kirchenpräsident hatte ihm die schwierige finanzielle Lage der Kirchgemeinde geschildert und ihn um seinen Rat gebeten. Tobias hatte wie alle Kirchbürgerinnen und Kirchbürger den Ausführungen der Kirchenleitung anlässlich der Orientierung über den Bau des Zwinglisaales geglaubt, dass mit der Abgabe des Landes an die politische Gemeinde im Baurecht die Finanzen für die nächsten Jahrzehnte geregelt wären. Nun war Tobias erschüttert, dass Franz darüber nachdenken musste, diesen wundervollen Wald zu verkaufen, nur um die ärgsten Schulden tilgen zu können. Tobias konnte nicht glauben, dass offensichtlich im Baubudget der Posten Umgebungsarbeiten einfach vergessen worden war. Er machte sich selbst Vorwürfe, denn als Revisor der Kirchgemeinde fiel bei der Rechnungskontrolle dieser Fehler weder ihm noch seinen Kollegen auf. Für Tobias war auch die Rolle des Finanzchefs der Kirchgemeinde unklar. Er traute dem Banker, der so fulminant in der Gemeinde Wohnsitz genommen hatte, nicht. Er war auch einer der Gegner des Verkaufes der Liegenschaft im hinteren Auboden, mit dem der Mann überhaupt in die Gemeinde gelockt wurde. Als Franz den Finanzspezialisten als Rechnungsführer in die Kirchenvorsteherschaft holte, brachte er seine Zweifel an. Der Kirchenpräsident nahm Tobias diese Kritik übel. Doch als sich der Finänzler für die Kirchgemeinde sehr engagierte und auch für die soziale Arbeit Verständnis zeigte, besserte sich sein Verhältnis zu dem Geldmenschen aus Zürich. Als er sich sogar für das Vollzeitpensum von Claire stark machte, entschuldigte sich Tobias bei Franz und die Welt war für die beiden Männer wieder in Ordnung. Tobias half deshalb gerne bei der Sanierung der Finanzen mit und unterstützte den Kirchenpräsidenten bei der Verkaufsabsicht des Waldes.

Seit dem Gespräch mit Zwingli am Nachmittag ging ihm eine Idee nicht mehr aus dem Kopf. Könnte die reformierte Kirchgemeinde diese Erscheinung nicht für ihre Zwecke nutzen und damit Geld verdienen? Vor seinem geistigen Auge schwebte Ulrich in der tristen, viel zu grossen Kirche. Die Bänke vollbesetzt. Zu Tausenden reisten Neugierige an, um das Schauspiel einer wahrhaften Erscheinung selbst zu erleben. Man könnte sehr wohl einen hübschen Eintrittspreis verlangen. Sicher so um die zwanzig Franken. Eine nette Predigt mit etwas Auflockerung durch den Gospelchor, würde zusammen mit dem Auftritt von Zwingli zu einem Renner für die Kirchgemeinde. Aus der ganzen Schweiz und dem Ausland kämen Busse mit Schaulustigen. Diese ominöse halbe Million Schweizerfranken wäre schnell eingenommen und damit die Finanzen saniert. Im wunderschönen, altehrwürdigen Park könnten Pleasure Points für die Kids geschaffen werden. Platz für aufgeblasene Springburgen aus Gummi, Trampolins, Frittenbuden mit grossen Ketchupspendern und Pisten für Elektrogokarts, die sich natürlich nur nach dem Einwurf von einem Zweifrankenstück in Bewegung setzten, wären vorhanden. In der Remise des Ortsmuseums könnte ein Self Service Restaurant gebaut werden. Der Verein Ortsmuseum hätte natürlich eine entsprechende Entschädigung an die reformierte Kirchgemeinde zu zahlen. Dafür könnten Zwinglis original Kappeler-Milchsuppe mit Zwingliwürsten, Zwinglibrot und Zwingliwein verkauft werden. Ja, genau, der Name Zwingli muss geschützt sein. Es braucht ein umfassendes Marketingkonzept. Das im Dorf allgegenwärtige Werbeunternehmen iLemonshit wäre prädestiniert dafür. Tobias war von seinen Ideen derart beeindruckt, dass er mehrmals stehen bleiben musste, seinen Blick über die wundervolle Nachtlandschaft und die Lichter, die weit über den Bodensee hinaus zu sehen waren, schweifen liess und sich selbst auf die Schulter klopfte. Was bin ich doch für ein toller Hecht! Das ist doch der Oberhammer. Zwingli rettet die reformierte Kirchgemeinde eines grossen Dorfes, das sich durchaus Stadt nennen dürfte, vor dem Ruin!

Tobias hatte die Philosophenbank auf dem Altenberg erreicht. Da wollte er rasten und nachdenken. Auf der Bank, die eine leider überraschend verstorbene Freundin von Rebecca und Tobias einst Philosophenbank getauft hatte. Hier hatte er während der gemeinsamen Schulratszeit mit dem Gatten der Verstorbenen einige erfolgreiche Projekte ausgeheckt. Vielleicht, so die Überlegung von Tobias, kommt auch heute die zündende Idee, wie mit diesen sonderbaren Zwingli Erscheinungen umgegangen werden sollte.

Tatsächlich kam es wie eine Erleuchtung über ihn. Nein, nein und nochmals nein. Mit Zwingli durfte man diesen Schabernack nicht treiben. Die katholische Kirche würde die Zwinglipredigten als klaren Affront betrachten. Die Erfolge der Ökumene würden sich im Nichts auflösen. Der Kulturkampf unter dem er, Tobias, weiss Gott schon genug gelitten hatte, würde sofort wieder entflammen. Er liebte die ehrwürdige bald hundert Jahre alte düstere Kirche keineswegs. Doch eine derartige Entweihung zu einer mysteriösen Geisterschau mit Rummelpark hatte sie nicht verdient. Zudem wusste niemand wie die Rückkehr von Zwingli überhaupt zu Stande gekommen war und wie lange diese Erscheinungen anhalten werden. Ebenfalls traut er dem Geist Zwingli durchaus zu, dass er gar nicht mitmachen will und schmollend in seinem Holzrahmen bleibt.

Als Tobias sich von der Bank erhob war ihm klar. Er muss wieder mit Zwingli Kontakt aufnehmen. Seine Erscheinungen mussten aufhören. Im Notfall würde er ihm einfach den Stecker ziehen und das Glasbild wieder zurück in den Holzkoffer legen. Die Finanzen müssen wieder ins Lot gebracht werden und zwar ohne den Zwingligeist.

Die Rast auf der Philosophenbank hatte sich wieder einmal gelohnt. Vor einiger Zeit hatte er hier die Frau des Finänzlers getroffen und sich während einer knappen Stunde vortrefflich mit ihr unterhalten. Er erinnerte sich, dass sie damals das Thema Dürfen wir Menschen Fehler machen? diskutierten und zu ganz verschiedenen Ansichten gelangten. Hoffentlich war sein soeben geplantes Vorgehen kein Fehler.

Tobias hatte keine Erfahrungen in der Waldwirtschaft. Allerdings war auch ihm bekannt, dass sich der Holzpreis in den letzten Jahren positiv entwickelte. Wenn die Kirchgemeinde durch den Verkauf des Aubodenwaldes finanziell saniert werden könnte, sollte es ihm recht sein. Er beschloss, Franz den Verkauf zu empfehlen.

Schon aus einiger Distanz sah Tobias das Licht in ihrer Wohnung. Rebecca ist schon zu Hause. Erleichtert entstieg er dem Lift, der ihn direkt in die Attikawohnung brachte:

»Rebecca, ich habe die Lösung!«

Seine Frau war froh, dass ihr Mann wieder guter Laune war und hörte geduldig seinen Ausführungen zu:

»Tobias, du hast richtig überlegt. Sprich mit Franz und biete ihm deine Hilfe an. Er wird diese sicher nicht ausschlagen.«

Die beiden genossen das herzhafte Abendessen. Gschwellti mit Butter, Salz, Ziger und verschiedenen Käsesorten.

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